Murat

[220] Murat (Joachim), seit 1806 Großherzog von Berg, von 1808–15 König von Neapel, war der Sohn eines Gastwirths zu Cahors im südl. Frankreich und am 25. März 1771 geboren. Nach mancherlei abenteuerlichen Jugendstreichen wurde M. gemeiner Soldat, desertirte bald, ließ sich aber bei der constitutionnellen Garde Ludwig XVI. wieder anwerben und hatte es, zum Theil wegen seiner revolutionnairen Gesinnungen, in der Armee bis zum Obristlieutenant gebracht, als der Sturz der Schreckensherrschaft ihn 1794 außer Thätigkeit setzte. Um diese Zeit lernte Bonaparte den von keckem, mehr abenteuerlichem als besonnenem Muthe beseelten, durch eine männlichschöne Gestalt ausgezeichneten M. kennen, zog ihn an sich, nahm ihn 1796 als Adjutanten mit nach Italien und 1798 nach Ägypten, wo er sich wiederholt als Reiteranführer auszeichnete und als Divisionsgeneral mit Bonaparte nach Frankreich zurückkam. Bei der Revolution des 18. Brumaire (s.d.) sprengte M. den Rath der Fünfhundert, vermählte sich im Jan. 1800 mit Bonaparte's jüngster Schwester Marie Annunciate Karoline und fand 1800–1 in den Feldzügen in Italien Gelegenheit zu neuen glänzenden Waffenthaten. Im J. 1804 zum franz. Prinzen und Reichsmarschall ernannt, führte er im Feldzuge gegen Östreich 1805 den Oberbefehl der gesammten Reiterei, bestand eine Menge glücklicher Gefechte und zeichnete sich auch in der Schlacht bei Austerlitz aus. Napoleon erhob ihn hierauf zum Großherzog von Berg, das in ihm wenigstens einen milden Fürsten erhielt. Im Kriege mit Preußen befand er sich 1806 wieder an der Spitze der Reiterei, nahm Erfurt am Tage nach der Schlacht bei Jena durch Capitulation, leitete dann die Verfolgung der Preußen, von denen das Corps unter Hohenlohe sich bei Prenzlau, Blücher bei Lübeck sich ergab, und nahm Küstrin und Stettin mit der Reiterei, bei welcher Gelegenheit ihm Napoleon schrieb: »Da Sie Festungen mit Cavalerie nehmen, werde ich wol mein Geniecorps verabschieden und mein schweres Geschütz umgießen lassen können.« M. war auch bei der Schlacht von Eylau, zog während der Schlacht bei Friedland gegen Königsberg und begleitete Napoleon zu seiner Zusammenkunft mit dem Kaiser Alexander und König von Preußen auf dem Niemen. Als Oberbefehlshaber der Armee, deren geheime Bestimmung die Entthronung der span. Herrscherfamilie war, zog M. 1808 in Madrid ein, nicht ohne die Hoffnung, sich dort selbst ein Königreich zu erobern, erhielt aber dafür am 15. Jul. von Napoleon das Königreich Neapel, welches seiner Regierung viele Verbesserungen und einen vorher nicht gekannten Zustand von öffentlicher Sicherheit und verhältnißmäßigem [220] Wohlstand dankte. Seine mit großen Kosten 1810 veranstaltete Expedition zur Eroberung des von den Engländern besetzten Siciliens mislang jedoch, da selbst von Paris aus heimlich dagegen gewirkt wurde. Ungeachtet eines mit Napoleon eingetretenen gespannten Verhältnisses folgte M. ihm doch 1812 mit 10000 M. nach Rußland, wo er die Reservecavalerie der großen Armee anführte und an der Spitze der Vorhut in Moskau einzog, während des Rückzugs bei Napoleon's Abreise am 5. Dec. den Oberbefehl erhielt, da er sich aber an der Weichsel nicht halten konnte, am 17. Jan. 1813 das Commando plötzlich an den Vicekönig von Italien (s. Beauharnais) abtrat und nach Neapel eilte. Jetzt schon bewarb er sich um Östreichs Gunst, fand sich jedoch auf Napoleon's Wunsch wieder bei diesem ein, befehligte in den Schlachten bei Dresden und Leipzig, ging dann abermals nach Neapel und brachte im Jun. 1814 wirklich einen Vertrag mit Östreich zu Stande, in Folge dessen er in Italien mit 30,000 M. auf die Seite der Alliirten trat und ihm der Besitz seiner Staaten verbürgt wurde. Rußland und Preußen traten demselben bei, England aber ging nur einen Waffenstillstand ein. Ungeachtet nun M.'s Benehmen, den freilich Englands Haltung und die auf seine Entsetzung dringenden bourbonischen Höfe auch besorgt machten, immer zweideutig war, hatte der wiener Congreß doch seine Anerkennung fast in dem Augenblicke beschlossen, wo jener nach Napole on's Rückkehr von Elba im März 1815, durch den Kirchenstaat nach Oberitalien vordrang und sich zum Herrn von ganz Italien aufzuwerfen suchte. Seinen anfänglichen Erfolgen setzten aber die Östreicher ein rasches Ziel und nach der verlorenen Schlacht bei Tolentino mußte er Italien als einzelner Flüchtling verlassen und kam Ende Mai im südl. Frankreich an, von wo er sich nach gänzlicher Besiegung Napoleon's, der ihn nicht vor sich gelassen hatte, nach Corsica rettete. Hier erhielt er östr. Pässe und das Anerbieten eines Zufluchtsorts in Östreich, wo sich auch seine Familie befand, indem er eben mit 250 M. auf sechs Barken abging, um eine Landung in Calabrien zu wagen, die er auch, obgleich von den übrigen Fahrzeugen durch einen Windstoß getrennt, am 8. Oct. mit 30 M. bei Pizzo ausführte. Er fand jedoch die ihm versprochene günstige Aufnahme nicht, wurde vielmehr verfolgt, gefangen genommen, vor ein Kriegsgericht gestellt und auf dessen Verurtheilung am 13. Oct. 1815 erschossen. M. liebte den äußern Prunk und trug am Hofe wie im Felde stets prächtige Stickereien, eine Menge Orden und Ehrenzeichen und bunte Straußfedern auf dem Hute oder der Mütze, wovon er nach einem pariser Seiltänzer den Spitznamen Franconi erhalten hatte. Seine Witwe, geb. 1782, lebte als Gräfin von Lipano zeither bei Triest, hält sich aber seit 1835 in Paris auf, um gewisse Ansprüche an die franz. Regierung geltend zu machen. Von ihren beiden Söhnen, Achille und Lucian, die beide Landwirthe und Advocaten in Nordamerika sind, ist der erstere auch als Schriftsteller über amerik. Verhältnisse bekannt; die älteste Schwester derselben ist an einen Marquis von Pepoli in Bologna, die zweite an den Grafen von Rusponi aus Ravenna verheirathet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 220-221.
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