Bitzĭus

[7] Bitzĭus, 1) Albert, unter dem Namen Jeremias Gotthelf bekannter Erzähler, geb. 4. Okt. 1797 zu Murten im schweizerischen Kanton Freiburg, gest. 22. Okt. 1854 zu Lützelflüh im Kanton Bern, war der Sohn eines reformierten Pfarrers, verbrachte seine Jugend auf dem Lande, besuchte seit 1812 das Gymnasium in Bern und widmete sich theologischen Studien, die er 1821 in Göttingen vollendete. Im selben Jahre machte er seine einzige Reise durch Norddeutschland. Nach der Heimkehr versah B. die Vikariate in Utzenstorf, Herzogenbuchsee und Bern, bis er 1832 die Pfarrei von Lützelflüh im Emmental erhielt, auf der er bis zu seinem Lebensende verblieb. Dort wurde ihm ein Denkmal errichtet, das am 22. Sept. 1889 enthüllt wurde. Eine tatkräftige Natur, beteiligte sich B. bald am öffentlichen Leben, doch trieb er nicht bloß Politik, sondern bemühte sich insbes. um die Hebung von Schule und Armenpflege. Um stärker zu wirken, griff er zur Feder, und im 40. Lebensjahre, reif als Mensch und Kenner des Volkes, wurde B. Dichter, ohne es recht zu wollen, denn ihm war die Kunst zuvörderst nur ein Mittel der Belehrung. 1837 schrieb er den »Bauernspiegel« oder »Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf von ihm selbst berichtet«. Hier hat B. in der Geschichte des armen Bauern Gotthelf ein Gesamtbild der bäuerlichen Zustände und Mißstände gegeben, so daß es gleichsam das Programm aller seiner spätern Schriften enthält. Der große Erfolg dieses Bauernspiegels veranlaßte B. dazu, alle seine folgenden Bücher unter dem Namen seines ersten Helden herauszugeben. Unter steigendem Beifall der Schweiz und Deutschlands und mit erstaunlicher Schaffenskraft schrieb er die lange Reihe seiner gehaltreichen Dorfgeschichten: 1838 die »Leiden und Freuden eines Schulmeisters«; 1839 gegen die Genußsucht und Branntweinpest: »Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen« u. »Dursli, der Branntweinsäufer«; 1840 »Die Armennot«, die das Kapitel der Verdingung armer Kinder illustriert; 1841 den Erziehungsroman »Wie Uli, der Knecht, glücklich ward. Eine Gabe für Dienstboten und Meisterleute«, die das Verhältnis von Herr und Diener im Bauernstand darstellt. Die Fortsetzung dieses berühmtesten seiner Werke schrieb B. 1846: »Uli der Pachter«. Das patriarchalische Leben im reichen Bauernhause schilderte er 1842 in »Geld und Geist«. Die Pfuscherei in der Medizin und Seelsorge beleuchtete er satirisch 1843 in: »Wie Anne Bäbi Jowäger haushaltet, und wie es ihm mit dem Doktern ergeht«; ein Wunsch der Berner Regierung gab die Anregung dazu. Allgemeinern Inhalts sind (1843–46) die »Bilder und Sagen aus der Schweiz«, denen sich die Erzählung für die Jugend: »Der Knabe des Tell«, sowie die kleinern »Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz« (1852–55, 5 Bde.) anreihen. Die politischen Bewegungen in der Schweiz spiegeln sich in »Jakobs, des Handwerksgesellen, Wanderungen durch die Schweiz« (1847) und im »Zeitgeist und Bernergeist« (1852), wo er den Konflikt der politischen Umtriebe mit dem Stillleben der Familie darstellt. Im »Geltstag« (1846) schildert B. den Unfug des Wirtshauslebens und dessen Einwirkung auf das Bauernleben. Ein Gegenstück zu »Geld und Geist« bietet der düstere »Schuldenbauer« (1854): das mühevolle und vergebliche Ringen des armen Landbesitzers. »Die Käserei in der Vehfreude« (1850) deckt die genossenschaftlichen und kommunalen Verhältnisse im Dorfleben auf. In »Käthe, die Großmutter, oder: Der wahre Weg führt durch jede Not« (1847) erscheint das rührende Bild ehrlicher Armut im täglichen Kampf mit der Not. Dies sind die Hauptwerke von B., die mit vielen andern kleinern Arbeiten in der Gesamtausgabe seiner Schriften (Berl. 1855–58, 24 Bde.; neue Ausg. 1861) gesammelt vorliegen. Eine neue Volksausgabe im Urtext besorgten F. Vetter und Kronauer (1. Reihe in 10 Bdn., Bern 1898–1900). B. besaß ein Erzählertalent ersten Ranges, schwelgte im Reichtum seiner Anschauungen und Erfindungen und[7] war eine geschlossene Persönlichkeit von imponierender Kraft. Aber sein Stilgefühl war nicht durchgebildet. Der ausgezeichnete Wirklichkeitskenner und volkstümliche Realist schreckte auch vor der Darstellung des Rohen und Häßlichen nicht zurück, und der orthodoxe Pastor zerstört den künstlerischen Eindruck, den seine Dichtung hervorruft, oft durch die aufdringliche Tendenz. Wichtig für das Verständnis des Dichters sind die »Beiträge zur Erklärung und Geschichte der Werke Jeremias Gotthelfs« (von F. Vetter), die der erwähnten neuen Volksausgabe beigegeben sind. Biographien sind in den verschiedenen Ausgaben (so von Manuel in der Berliner Gesamtausgabe, von Vetter in Reclams Universalbibliothek) enthalten; vgl. auch A. Bartels, Jeremias Gotthelf (Berl. 1902).

2) Albert, Sohn des vorigen, geb. 6. Nov. 1835 in Lützelflüh, gest. 20. Sept. 1882 in Bern, entwickelte als Pfarrer zu Twann am Bieler See eine rege Tätigkeit für die Sache der Sozialreform und wurde infolgedessen 1878 als Rat in der Regierung des Kantons Bern mit der Leitung des Erziehungs- und Gefängniswesens betraut. Nach seinem Tod erschienen sieben Bände seiner originellen Predigten (Bern 1884 bis 1902). Von seinen Schriften wurde »Die Todesstrafe vom Standpunkte der Religion« (Leid. 1870) preisgekrönt. Vgl. Balmer, Albert B. (Bern 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 7-8.
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