Halle [1]

[655] Halle (griech. Stōa, lat. Porticus), bei Griechen und Römern ein entweder frei stehendes oder an ein andres öffentliches Gebäude, an einen Tempel, ein Gymnasium oder Theater, sich anlehnendes Bauwerk, das aus mehr oder weniger langen, bedeckten Gängen, deren Decke auf Säulen ruhte, bestand. Dergleichen Säulenhallen, die gewöhnlich auch um die quadratischen Marktplätze herumgeführt wurden, dienten bei großer Hitze oder auch bei Regenwetter zu Spaziergängen, öfters aber auch als Hörsäle, Versammlungsplätze etc. Sie waren z. T. offen, z. T. verschlossen, in welch letzterm Fall die Zwischenräume zwischen den Säulen mit Mauerwerk ausgefüllt und oft mit Gemälden und Reliefs verziert waren. Im Innern waren Sitze (Ephedrä) angebracht. Auch die offenen Hallen waren an der einen Seite durch eine Wand geschlossen, indem sie sich entweder an die Wand eines andern Gebäudes anlehnten, oder in der Mitte eine Mauer hatten, die auf beiden Seiten Malereien trug und den Gang in zwei nach außen offene Hallen teilte. Die berühmteste der mit Gemälden geschmückten Hallen in Griechenland war die Stoa Poikile in Athen (vgl. Poikile). Andre vielgenannte Hallen des Altertums waren: die persische H. in Sparta, die Stoa des Attalos und die des Eumenes in Athen. War die Säulenhalle rings um ein Gebäude herumgeführt, so hieß letzteres Peripteros (s. d.); umgab sie aber einen freien Platz, so hieß dieser Peristylos (s. d.). Je nach der Länge dieser Hallen gab es Porticus stadiatae, semistadiatae etc., je nach der Zahl der Säulenreihen aber Porticus duplices, triplices etc. Bisweilen waren auch Springbrunnen und Wasserkünste in diesen Hallen angebracht. In Rom wurden sie entweder nach den anliegenden Gebäuden, z. B. Porticus Concordiae, Apollinis, Quirini, Herculis, theatri, circi etc., oder nach ihren Erbauern, z. B. Porticus Pompeja, Livia, Octavia etc., oder nach den darin befindlichen Gemälden, z. B. Porticus Argonautarum, oder endlich auch von dem Geschäft, das darin vornehmlich betrieben wurde, z. B. Porticus argentaria, Sammelplatz für Geldwechsler, benannt. Die Bestimmung dieser Gebäude war mannigfach. Gerichtssitzungen, Senatsversammlungen und gymnastische Übungen wurden darin abgehalten; Juwelen- und Gemäldehändler legten darin ihre Waren aus, Schriftsteller lasen darin ihre Werke vor, Philosophen (Stoiker) lehrten und disputierten darin. Vgl. Konr. Lange, Haus und H. (Leipz. 1885). Von den Römern wurde die H. vom gotischen Mittelalter übernommen, das offene Hallen vor Rathäusern und andern öffentlichen Gebäuden anlegte (Vorhallen) oder um diese ganz oder teilweise herumführte. Besonders glänzende Beispiele sind die Doppelhalle am Dogenpalast in Venedig, die Tuchhalle in Ypern (s. Tafel »Architektur IX«, Fig. 1) und die H. am Altstadt-Rathaus in Braunschweig (das., Fig. 5). Auch um Marktplätze wurden Hallen herumgeführt und[655] ganze Straßen damit versehen (vgl. Laube). Noch mehr wurde das Motiv der H. durch die Renaissance ausgenutzt. Großartige oder künstlerisch hervorragende Beispiele sind die H. am Palazzo Communale in Brescia, am Palazzo del Consiglio in Verona, die Loggia del Consiglio in Padua, die Basilika (Palazzo della Ragione) in Vicenza, die Hallen der Prokurazien und die H. der Markusbibliothek in Venedig (s. Tafel »Architektur X«, Fig. 5), die den Platz um die Peterskirche in Rom umfassenden Hallen von Bernini und die elegante Doppelhalle vor dem Rathaus in Köln (s. Tafel »Architektur XI«, Fig. 2). Auch die Höfe von Palästen wurden, oft in drei Geschossen übereinander, von offenen Hallen umgeben (Hallenhöfe). Beispiele sind der Hof des Dogenpalastes in Venedig, der Hof des Damasus im Vatikan und der Cancellaria in Rom, der Hof des alten Schlosses in Stuttgart. Vgl. auch Loggia. Zu einer besonders reichen Ausbildung gelangte die H. in England, sowohl als selbständiges Gebäude für verschiedene Zwecke (Westminsterhall, Guildhall und Templehall in London) wie als wichtiger Bestandteil der englischen Adelsschlösser. Jetzt bezeichnet H. gewöhnlich ein bedecktes, an den beiden Langseiten offenes Gebäude, besonders auf Marktplätzen zum Feilhalten von Waren, Getreide-, Fleischhallen (vgl. Markthallen); auch einen bedeckten und gewöhnlich auf Säulen ruhenden Vorbau an Kirchen und andern öffentlichen Gebäuden (Museen), durch den man zur Tür gelangt; ferner einen Platz in Gebäuden, der als Vorraum zu andern Räumlichkeiten dient (z. B. Wartehallen auf den Bahnhöfen); endlich einen mehr oder minder langgestreckten, offenen Gang, der zum Spazierengehen bei regnerischem oder heißem Wetter dient (Wandelhalle), z. B. die Trinkhallen in Bädern, von denen die in Baden-Baden, erbaut von Hübsch, und die in Karlsbad, erbaut von Fellner und Helmer, die künstlerisch bedeutendsten in Deutschland und Österreich sind. Eine Spezialität der Neuzeit sind die für besondere Gelegenheiten erbauten provisorischen Festhallen, die in solchem Grade zum Bedürfnis geworden sind, daß in den letzten Jahren auch monumentale Festhallen, besonders auch für musikalische Aufführungen, in Mainz, Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg errichtet worden sind.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 655-656.
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