Hanoi

[788] Hanoi (Kescho, »Markt«), Hauptstadt der franz. Kolonie Tongking u. der Provinz H. (1900: 590,021 Einw.), seit 1902 (an Stelle von Saigon), auch von ganz Französisch-Indochina, unter 21°2´ nördl. Br. und 105°45´ östl. L., am linken Ufer des Songkoi, 175 km von dessen Mündung in den Meerbusen von Tongking, ist terrassenförmig angelegt mit 20 m breiten, in der Mitte mit schwarzen Marmorplatten belegten Straßen und hübschen Promenaden, ganz in chinesischem Stil, aber aus Ziegeln oder Steinen erbauten Häusern, Sitz eines französischen Oberresidenten, mit (1900) 103,188, mit Nachbarorten etwa 150,000 Einw., darunter 2000 Chinesen, zahlreiche eingeborne Christen, die teils von französischen Missionaren, teils von spanischen Dominikanern bekehrt wurden, und 1088 Europäern (ohne das Militär). H. ist der literarische Mittelpunkt des anamitischen Reiches, wo die anamitischen Bücher gedruckt werden und in jedem Winter in das ummauerte »Lager der Wissenschaften« an 3000 Aspiranten für literarische Grade aus den entferntesten Provinzen zusammenkommen. 1899 bestanden 30 Schulen mit 1800 Schülern. Die eingeborne Industrie erzeugt für die dortige Mode maßgebende Baumwoll- u. Seidenstoffe, Filigranarbeiten aus Gold und Silber, lackierte Waren. Der Handel, meist in den Händen von Chinesen, neuerdings auch von Europäern, ist bedeutend; 1901 betrug die Ausfuhr 150,818 Ton. (besonders Reis, Zuckerrohr, Seide). Der Seehafen von H. ist das 93 km abwärts gelegene, jetzt mit Eisenbahn erreichbare Haiphong (s. d.); Schiffe von 1,8 m Tiefgang können bis H. hinausgelangen, Boote bis Laokai. Die Eisenbahn nach Laokai war 1902 bis Ketoy fertig; außerdem führen Bahnen von H. nach Namdiuh (Viuh) und Lungtschóu. Außerhalb der Stadt liegt die alte, für den damaligen Herrscher von Anam nach Vaubanschem System durch französische Offiziere erbaute Zitadelle mit einem Tempel, Wohnungen der Mandarinen, Bureaus, Kasernen, Magazinen, Arsenal, Schatzkammer etc. H. wurde angeblich 767 n. Chr. von den Chinesen gegründet und lag damals dem Meere ganz nahe, ist ihm aber durch stetiges Anwachsen des Flußdeltas immer mehr entrückt worden. 1427 wurde H. durch die nationale Le-Dynastie zur Hauptstadt von Anam und Tongking erhoben. Infolge des 1874 abgeschlossenen Vertrags von Saigon wurde neben zwei andern Häfen auch der von H. dem fremden Handel eröffnet und ein französischer Konsul mit militärischer Bedeckung in die Stadt zugelassen, die nach dem Kriege von 1882 beschossen, besetzt und mit Tongking 1883 unter französisches Protektorat gestellt wurde.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 788.
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