Waisenhäuser

[317] Waisenhäuser. Schon im griechischen und römischen Altertum finden sich gewisse staatliche Ordnungen zu Schutz und Pflege der Waisen gefallener Krieger. Kaiser Trajan, die beiden Antonine und Alexander Severus nahmen sich der Waisen von Bürgern durch eigne Stiftungen an. Das Christentum empfahl die Waisenpflege als eins der wichtigsten Werke der Nächstenliebe. Daher nahmen Klöster, Bruderschaften etc. neben andern Armen besonders verlassene Waisen auf. Eigentliche W. entstanden seit Ausgang des 15. Jahrh. in italienischen, niederländischen und deutschen Städten (Amsterdam 1520, Augsburg 1572, Darmstadt 1596, Hamburg 1604, Hannover 1643 etc.). Gleichzeitig gaben Karl Borromeo, Erzbischof von Mailand (gest. 1584) und Vinzenz von Paul (gest. 1660) erneute Anregung zur Waisenpflege durch Mönchs- und Nonnenorden. Das 1698 von A. H. Francke begründete Hallische Waisenhaus fand im 18. Jahrh. viel Nachfolge (W. in Königsberg 1701, Gotha 1702, Stuttgart 1710, Langendorf bei Weißenfels 1711, Potsdam 1713, Züllichau 1719, Stettin 1730, Bunzlau 1754 u. a.). Den nach Franckes Vorgang eingerichteten Waisenhäusern ist eigentümlich die Verbindung mit niedern und höhern Schulen sowie vielfach mit Kosthäusern für Nichtwaisen (Fundatisten und Pensionäre). Das philanthropische Zeitalter (1779 Preisaufgabe der Hamburger Patriotischen Gesellschaft) regte die Frage an, ob nicht Unterbringung der Waisen in rechtschaffenen Familien ihrer Anhäufung in geschlossenen Anstalten vorzuziehen wäre. Vielfach ist seither dieser Weg beschritten, gleichzeitig jedoch Unterkunft und Pflege der Waisen in Waisenhäusern nicht entbehrlich geworden. Auch ist ihnen[317] zugute gekommen, daß im Laufe des 19. Jahrh. und namentlich seit Erlaß des deutschen Strafgesetzbuches von 1871 die Fürsorge für die sittlich verwahrloste oder gefährdete Jugend strenger von der Waisenpflege getrennt und eignen Rettungshäusern (s. d.) überwiesen ward. Zahlreiche W. sind in neuerer Zeit durch äußere und innere Mission und andre humane Vereine, besonders auch durch kommunale Fürsorge in den großen Städten begründet worden. Unter den Gemeindeanstalten verdient das große Berliner Waisenhaus zu Rummelsburg (1859), unter denen der innern Mission die großartige Stiftung des Deutschengländers Georg Müller (s. d. 14) in Ashley-Down bei Bristol besonders hervorgehoben zu werden. Eine einigermaßen zuverlässige und planmäßige Statistik der W. und der Waisenpflege gibt es bisher kaum, da diese nicht nur in den einzelnen Ländern sehr verschieden gehandhabt wird, sondern auch innerhalb desselben Staatsgebietes an ihr, wie angedeutet, die verschiedensten staatlichen, kirchlichen, kommunalen, freisozialen Körperschaften beteiligt sind. Über die sogen. Reichswaisenhäuser s. Reichsfechtschule.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 317-318.
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