Wolynĭen

[744] Wolynĭen (unrichtig: Wolhynien), Gouvernement im südwestlichen Rußland, grenzt an die Gouvernements Grodno, Minsk, Kiew, Podolien, Österreichisch-Galizien, Lublin und Sjedlez (s. Karte »Westrußland« beim Artikel »Polen«) und umfaßt 71,852,7 qkm (1304,9 QM.). Das Land wird im S von Ausläufern der Karpathen (sogen. Awratynski-Erhebung) durchzogen, deren Höhen bei Kremenez 402m erreichen, und auf denen viele Flüsse entspringen. Der nördliche Teil ist eine sumpfige Ebene und gehört zum Polessjegebiet (s. d.). Größere Ströme fehlen gänzlich. Die meisten Flüsse (die schiffbare Turia, der Styr, Goryn, Slutsch) gehören zum Pripet. Von andern sind erwähnenswert der Bug und der Teterew (zum Dnjepr). Zu den mineralischen Reichtümern gehören: Porzellanerde, Töpferton, Granit, Graphit und gelber Bernstein, der auf dem Gute Dombrowizy in der Nähe von Dubno gefunden wird. Das Klima ist gemäßigt und mild, die mittlere Jahrestemperatur beträgt für Shitomir 7,6°. Vom Areal entfallen 37, d Proz. auf Äcker, 32 auf Wald, 18,2 auf Wiese und Weide, 12,3 Proz. auf Unland. Die Bevölkerung betrug 1897: 2,989,482 Seelen (41,7 auf 1 qkm) und bestand zu 73,7 Proz. aus Russen (vorwiegend Kleinrussen), 13,2 Proz. Juden, 6,2 Proz. Polen, 5,7 Proz. Deutschen. Dem Bekenntnis nach waren 71 Proz. griechisch-orthodox, 13,2 Proz. jüdisch, 9,9 Proz. römisch-katholisch, 5,8 Proz. lutherisch. Haupterwerbsquellen sind Ackerbau, besonders im S., Viehzucht, Waldkultur im N. (mit reichem Gewinn an Bauholz, Pech und Teer), Fischerei, Jagd und Obstbau, der gut entwickelt ist. Die Ernte lieferte in Tonnen: Weizen 303,728, Roggen 564,861, Gerste 133,889, Buchweizen 70,897, Hirse 38,802, [744] Hafer 341,694, Kartoffeln 968,322, außerdem Zuckerrüben (1904: 368,302 Ton.) und Tabak. Der Viehstand bezifferte sich 1904 auf 700,000 Pferde, 1,132,000 Stück Rindvieh, 820,000 grob- und 115,000 feinwollige Schafe, 1,010,000 Schweine, 10,000 Ziegen. Die Industrie steht noch auf einer niedrigen Stufe. Man zählte 1900: 1827 gewerbliche Betriebe mit 19,511 Arbeitern und 29,5 Mill. Rubel Produktionswert, darunter 16 Zuckerfabriken, die für 12,2 Mill. Rubel produzierten. Danach folgen Getreidemühlen, Branntweinbrennereien, Holzsägereien. Der Handel vertreibt besonders Getreide und Holzwaren ins Ausland. Die wichtigsten Handelsplätze sind: Dubno, Shitomir, Ostrog und Radsiwilow (s. d.). Das Gouvernement zerfällt in zwölf Kreise: Dubno, Kowel, Kremenez, Luzk, Nowgorod-Wolynsk, Ostrog, Owrutsch, Rowno, Sasslawi, Shitomir, Staro-Konstantinow und Wladimir-Wolynsk. Hauptstadt ist Shitomir. – W. bildete in ältester Zeit einen Teil von Rotrußland. Im 14. Jahrh. kam W. an die litauischen Fürsten angeblich durch die Heirat Ljubarts, des Sohnes Gedimins, mit der Tochter des Jurij Andrejewitsch von Wladimir 1335. Im J. 1569 fiel W. mit ganz Litauen an Polen, und bei der zweiten und dritten Teilung Polens kam es größtenteils an Rußland. Seit 1797 besteht das jetzige Gouvernement W.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 744-745.
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