Declamation

[786] Declamation (v. lat.), 1) ein Theil der äußern Beredtsamkeit; als Kunst die Fertigkeit, stylistische Producte so vorzutragen, daß nicht nur der Sinn der Worte vollkommen verständlich wird, sondern auch die Stimmung, in welcher das vorgetragene Stück verfaßt ist, sich dem Hörer mittheilt; als Wissenschaft, der Inbegriff der Regeln, welche zu befolgen find, um diese Fertigkeit zu erlangen. Zur D. in erster Bedeutung gehört zunächst als Erforderniß eine Darstellung, welche dem Charakter des Vorzutragenden angemessen ist. Die D. hat es aber D. mit den Elementen der Rede, ohne Rücksicht auf deren Import, zu thun (grammatische D.), u. die ersten Bedingungen sind: eine durch Gewandtheit u. Ausbildung der Sprachorgane bedingte richtige Aussprache, verbunden mit der richtigen Betonung der einzelnen Sylben; dann die Beobachtung der grammatikalischen Pausen, d.h. Stillstand der Stimme, zur Bezeichnung der verschiedenen Periodentheile. Oder b) die D. beschäftigt sich mit den Totaleffect der ganzen Rede (charakterisirende D.), indem sie den Charakter des vorzutragenden Stückes u. aller feiner einzelnen Theile, so wie auch das vom Declamator bei den vorgeschriebenen Worten selbst Empfundene darstellen soll. Erfordernisse dazu sind: aa) eine volltönige, starke, biegsame Stimme, die sich nach den verschiedenen Seelenstimmungen modificiren läßt, auch das Darzustellende der größeren Lebendigkeit wegen tonbildlich nachahmt (malende D.); bb) die richtige Anwendung des hohen, mittlern u. tiefen Tons, nebst deren mannigfachen Abstufungen, je nachdem sie z.B. Sanftmuth, Zorn, Freude etc. ausdrücken sollen; cc) richtiger Gebrauch des Rede od. declamatorischen Accents, od. der Betonung, d.h. Hervorhebung der wichtigsten Vorstellungen durch einen stärkeren Druck der Stimme, dessen falscher Gebrauch die Rede unverständlich, dessen Mangel dieselbe eintönig macht; dd) das richtige Zeitmaß, d.h. der richtige Grad der Geschwindigkeit od. des Ganges der Rede, in der schnellen (z.B. beim Zorn), gemäßigten (wie bei ruhigem Nachdenken) od. langsamen (wie bei dumpfer Traurigkeit) Bewegung der Stimme. Endlich c) soll die D. den Charakter der Person darlegen, der eine gewisse Reihe von Empfindungen, Grundsätzen etc. beigelegt wird (personificirende D.), genau zusammenhängend mit der charakterisirenden D., welche den Charakter jeder einzelnen Stelle u. der ganzen Rede darstellt. Diese Personification kann aber zweierlei Art fein, indem sie entweder den ganzen Menschen, nach feiner physischen u. geistigen Beschaffenheit, wie nach feinen äußern Verhältnissen betrifft, od. nur eine, in diesem Menschen herrschende bestimmte Empfindung od. Leidenschaft. Die erste Art gehört dem Schauspieler an, der in einer fremden Person auftritt, unterstützt durch Masken, Farben, Costüm; die andere Art aber, die in dem Ausdruck des augenblicklichen Affects, nach Alter, Nation, Stand bes. sich zeigt, darf der Declamator weise benutzen. Daß dieser in eigner Person auftritt, ist das Wesentlichste, was ihn vom Schauspieler unterscheidet u. was er gemeinschaftlich mit dem Redner hat. Der Werth der Kunst der D. für den künftigen öffentlichen Redner u. jeden, welcher freie Vorträge zu halten hat, ist der Grund der Einführung von Declamationsübungen auf Schulen; Declamatorien d.h. Productionen der Declamationskunst nach Art der Concerte, öffentlich vor Zuhörerkreisen zu geben, wie es früher Solbrig, v. Sydow u. A. thaten, ist wieder außer Gebrauch gekommen. Eine sehr entfernte Nachahmung der mehr dem heutigen Recitativ ähnliche 2) Declamation der Alten (Hypokritik), ist die sogenannte musikalische (melodramatische) D., wo den Vortrag fortdauernd od. stellenweis eine sanfte Musik begleitet. Sonst versteht man unter musikalischer D. auch die Art u. Weise des musikalischen Vortrags, die übrigens, weniger von dem Spieler od. Sänger abhängig u. in der Hauptsache vom Componisten vorgeschrieben ist. Vgl.: Rambach, Fragmente über D., Berl. 1800 ff.; Bielefeld, Über die D. als Wissenschaft, Hamb. 1807; Larive, Cours de déclamation, Par. 1804; Wötzel, Geschichte der D., ebd. 1815. 3) (röm. Lit.), Übungsrede, als die Beredtsamkeit durch die seit August veränderte Staatsverfassung allmälig auf die juristische Praxis eingeschränkt, dadurch an Umfang, innerer Kraft u. Würde verloren hatte, in den Rednerschulen von sophistischen Rednerkünstlern veranstaltet, welche ihre Schüler Reden über allerlei Gegenstände (Laudationes, Vituperationes, Suasiones etc.), verfertigen ließen, bald nach klassischen Reden der Vorzeit, bald nach selbst gelieferten Mustern. Zu[786] solchen D-en gehören die Controversiae u. Suasoriae Seneca's, die dem Quinctilian zugeschriebenen, in den Ausgaben des Sallustius befindlichen, die des M. Porcius Latro u.a. Demetrios Phalerius soll sie eingeführt haben.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 786-787.
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