[9] Ablösung, ein Wort, das in neuerer Zeit von der gesetzlichen Aufhebung aller Bannrechte, alles Zwanges und aller Verpflichtungen gebraucht wird, die ein Staatsbürger gegen einen andern Staatsbürger zu erfüllen hatte; im Besondern aber wird es gebraucht von der gesetzlichen Aufhebung der Lasten, welche auf dem bäuerlichen Grundbesitze ruhen und von dem Besitzer dieser Grundstücke getragen werden müssen. Diese Lasten sind im Allgemeinen entweder Dienste oder Abgaben, unter sehr verschiedenen Namen. Die Entstehung derselben dürfte oft schwer auszumitteln, im Allgemeinen aber zu behaupten sein: daß wenn auch manche ihr Dasein einem rechtlichen Grunde verdanken mögen, so sind doch zuverlässig die meisten von dem Stärkern den Schwächern aufgezwungen und von diesen nur übernommen worden, um beständigen Quälereien und Mishandlungen zu entgehen.[9] Denn in den Jahrhunderten des herrschenden Lehnwesens gab es allerdings auch Gesetze, aber nirgends eine Macht, diese Gesetze in Ausführung zu bringen und aufrecht zu erhalten. Deswegen fanden die sogenannten armen Leute, d.h. diejenigen Menschen, die nicht Vasallen waren, nirgends Schutz gegen die übermächtigen Ritter, deren Verwilderung in dem wüsten Treiben jener Zeit so groß ward, daß sie, der Menschlichkeit uneingedenk, ihre Gewalt bis zu der äußersten Grenze trieben, und nicht eher ruheten, als bis sie den armen Leuten ihr Eigenthum abgepreßt und sie selbst in die Hörigkeit oder Leibeigenschaft gebracht hatten. Strenge Hörigkeit und Leibeigenschaft sind, wo das Schwert den Händen der Vasallen entfallen war, vor der Gestaltung späterer Zeiten nach und nach verschwunden; aber sie haben unglückselige Verhältnisse, Zinsen und Dienste, hinter sich zurückgelassen. Inzwischen sind viele Menschengeschlechter gestorben und sowohl Derjenige, welcher Zins und Dienst zu fodern hat, der Berechtigte, als Derjenige, der Zins und Dienst leisten und zahlen soll, der Pflichtige, haben den Ursprung ihres Verhältnisses zueinander vergessen. Um aber dasselbe zu rechtfertigen, ist die Annahme beliebt worden: der Berechtigte sei der Grundherr des Pflichtigen; er habe demselben den Grundbesitz, dessen er sich erfreue, zugetheilt, oder, falls derselbe sich keines Grundbesitzes erfreut, er habe ihm den Aufenthalt auf seinem Gute und Schutz in diesem Aufenthalte bewilligt, und eben deswegen sei Jener, wie Dieser, ihm zu Dienst und Zins verpflichtet worden. Diese Lehre ist im Laufe der Zeiten zum Rechte geworden, und im Vertrauen auf dieses Recht sind die Besitzungen der Berechtigten wie die Besitzungen der Pflichtigen durch Erbschaft und Kauf von Hand in Hand gegangen. Das Verhältniß besteht also in rechtlicher Weise und in rechtlicher Kraft, kann aber nicht fortbestehen. Die Ordnung unserer Zeit macht die Aufhebung zum Bedürfniß und das öffentliche Wohl, die menschliche Würde, die ewige Gerechtigkeit fodern dieselbe.
Die Gesetzgebung, welche, den Foderungen der Zeit nachgebend, Hand ans Werk legen will, braucht nur das Bedürfniß der Zeit ins Auge zu fassen und ihre Aufmerksamkeit auf die Frage zu richten: in welcher Weise die Aufhebung zu bewirken sei? Da hier von wirklich bestehenden Rechten die Rede ist und da die Aufhebung derselben kein Recht verletzen darf, da sie vielmehr nur schonend und versöhnend verfahren muß, so wird sich wol kein anderer Ausweg finden lassen, als daß der Berechtigte vollkommen für seinen Verlust entschädigt und der Verpflichtete für den Gewinn der Freiheit durch die Entschädigung so wenig als möglich in anderer Weise belastet werde. Die Anwendung dieses Grundsatzes ist es nun, was man Ablösung nennt. An und für sich ist die Ablösung ein Kauf. Der Berechtigte ist der Verkäufer, der Pflichtige der Käufer. Sobald aber die Gesetzgebung sich der Sache annimmt, so bleibt dieser Kauf kein freiwilliges Geschäft mehr, und eben deswegen möchte die Gesetzgebung zwei Obliegenheiten haben: zuerst muß sie einen Kaufpreis festsetzen, mit welchem der Berechtigte zufrieden sein kann, und zweitens muß sie dem Verpflichteten es möglich machen, den Kaufpreis erlegen zu können. Zuvörderst aber sollten von den Lasten diejenigen gesondert werden, die keinen Preis haben können. Von dieser Art sind alle Lasten, welche nicht an den Besitz geknüpft sind und mit demselben übergetragen werden, sondern an der Person haften, wie Gesindezwang, Leibzins, Sterbefälle, Abzugsgeld, Schutzgeld, Einmiethungssteuer u.s.w. Diese Lasten sollten ohne Entschädigung aufgehoben werden, wie die Leibeigenschaft selbst, deren Überreste sie sind. Die Lasten aber, welche an dem Besitze des Grund und Bodens hängen und welche den eigentlichen Gegenstand der Ablösung ausmachen, können wieder doppelter Art sein. Entweder sie bestehen in gewissen Dienstleistungen, oder in der Entrichtung von Abgaben. Zuerst mag von der Ablösung der Lasten der erstern Art die Rede sein, und von den Grundsätzen, nach welchen dieselbe vorgenommen worden oder vorzunehmen ist.
Der Berechtigte soll vollkommene Entschädigung erhalten. Darum kommt es vor allen Dingen darauf an, zu berechnen, wie viel derselbe Dienstberechtigte jährlichen Mehraufwand haben werde, wenn ihm der Frohndienst nicht mehr geleistet wird. Entweder berechnet man wie viel Gesinde und wie viel Spannvieh sich der Dienstberechtigte mehr halten muß, um die bisherigen Frohndienste verrichten zu lassen, und wie hoch dieses in Gelde anzuschlagen sei; oder man berechnet, wie viel der Dienstberechtigte aufzuwenden haben würde, wenn er durch gemiethete Arbeiter und durch gemiethetes Geschirr die Arbeit verrichten ließe, die ihm sonst zur Frohne gethan werden mußte. Wenn diese beiden Berechnungsweisen ein verschiedenes Resultat liefern, so ist dasjenige anzunehmen, welches für den Verpflichteten das günstigere ist. Bei dieser Werthsbestimmung werden mehrjährige Durchschnittspreise zu Grunde gelegt, entweder von 10 oder 14 oder 25 Jahren. Nachdem auf diese Weise der Werth der Frohnen ermittelt worden, muß von denselben der Werth der Gegenleistungen des Dienstberechtigten abgezogen werden und zwar nach demselben Durchschnittspreise. Was bleibt, muß als Rente des Ablösungscapitales erscheinen. Nimmt man nun den Zinsfuß zu fünf Procent an, so würde man den gefundenen Geldbetrag mit zwanzig zu multipliciren haben, um die Größe des Ablösungscapitales zu finden. Auf diese Weise haben denn auch mehre Gesetzgebungen der neuern Zeit die Größe des Ablösungscapitales festgesetzt. Wenn man aber bedenkt, daß Frohnpflichtige die Arbeit jederzeit schlechter verrichten, als eigenes Gesinde oder Tagelöhner, und wenn man auf der andern Seite erwägt, daß es für die Berechtigten ein großer Vortheil ist, wenn sie durch die Ablösung in Stand gesetzt werden, über ein Capital zu verfügen, so möchte es nicht unbillig sein, den gefundenen Werthbetrag der Frohnen anstatt mit zwanzig nur mit funfzehn zu multipliciren und die so gefundene Summe als das Ablösungscapital anzunehmen. – Die Grundsätze, nach welchen die meist neuern Reallasten, die in der Entrichtung gewisser Abgaben bestehen, abgelöst werden, sind im Wesentlichen dieselben. Bei ständigen Abgaben, wie Zinsen und Gülten, berechnet man den jährlichen Reinertrag derselben und multiplicirt die gefundene Summe mit zwanzig, um das Ablösungscapital zu ermitteln. Bei Abgaben, welche nach gewissen Procenten von dem jährlichen Rohertrage eines Grundstückes zu entrichten waren, dir also steigend und fallend sind, wie bei Zehnten aller Art, sucht man den Ertrag derselben nach einem etwa zehnjährigen Durchschnitte zu ermitteln und auf diese Weise in eine feste Geldrente zu verwandeln, die alsdann nach denselben Grundsätzen abgelöst wird. Doch möchte es auch hier aus den oben angegebenen Gründen billig sein, wenn man diese Rente [10] mit funfzehn multiplicirte. Abgaben, die nicht ständig sind, d.h. die nicht alljährlich, sondern in andern bestimmten oder unbestimmten Zeitfristen zu entrichten sind, werden zuvörderst in eine feste, auf gleiche Weise abzulösende Geldrente umgewandelt. – Die Ablösung ist ohnstreitig eine Wohlthat für beide Theile. Wer bisher verpflichtet war, muß sich unendlich gehoben fühlen durch die Befreiung seines Grundeigenthums, und auch für den Berechtigten ist es ein großer Vortheil, daß dem gehässigen Verhältnisse ein Ende gemacht werden kann. Wie die Ablösung vortheilhaft ist, so ist sie auch aus vielen Gründen nothwendig; darum ist dieselbe ein rechtliches Geschäft, welches von dem Staate erzwungen werden kann. Daß der Berechtigte sich nicht widersetzen darf, wenn der Verpflichtete dieselbe will, liegt in der Natur der Sache, ob ebenso das Gegentheil, ist nicht so kurz zu bestimmen; denn auf der andern Seite ist gewiß, daß der Verpflichtete Derjenige ist, welcher ein Capital geben muß, von welchem er bisher nur die Interessen zu zahlen hatte. Es kann kommen, daß der Verpflichtete die erfoderliche Ablösungssumme nicht sogleich aufbringen kann, und alsdann würde, wenn er zur Ablösung gezwungen werden könnte, diese leicht ein Mittel zu neuer Qual werden. Darum haben neuere Gesetzgebungen dem Berechtigten die Pflicht auferlegt, in die Ablösung einzuwilligen, dem Verpflichteten aber haben sie das Recht gegeben, auf dieselbe anzutragen, ohne ihn zu derselben zu zwingen. Es liegt aber auf der Hand, daß der Verpflichtete nur durch Zahlungsunfähigkeit oder Mangel an Einsicht abgehalten werden könnte, nicht eine so wesentliche Verbesserung seiner Umstände zu erlangen. Damit aber das Ablösungsgeschäft nicht wegen Zahlungsunfähigkeit unterbleibe oder verhindert werde, muß der Staat dieser zu Hülfe kommen. In Baden hat man darum die Ablösungssumme zur Hälfte auf die Staatskasse übernommen, wenn dagegen auch Manches wieder einzuwenden ist.
Größeren Beifall möchte dagegen die Errichtung einer Landrentenbank verdienen, wie dieselbe im Königreiche Sachsen unter der Garantie des Staates besteht. Ihr Zweck ist, daß in den Fällen, in welchen der Verpflichtete nicht ablösen kann, der Berechtigte in den Stand gesetzt werde, die Rente, welche für ihn ermittelt worden, in ein verfügungsfreies Capital zu verwandeln. Zu diesem Zwecke muß er seine Rente an die Landrentenbank überweisen. Diese gibt ihm hierfür Rentenbriefe, die dem capitalisirten Betrage seiner Rente gleichkommen. Der Rentenbrief wird verzinset und die Rückzahlung des Capitales erfolgt nach einer zweckmäßig eingerichteten Auslösung. Der Verpflichtete zahlt dagegen die ihm obliegende Rente alljährlich an die Landrentenbank. Er kann, wie es ihm bequem ist, sein Rentencapital auf einmal oder nach und nach tilgen und sich dadurch mehr oder weniger oder auch gänzlich von der jährlich ihm obliegenden Rentenzahlung befreien. Auch wenn er gar nicht geneigt ist, zu der Abtragung des Capitales etwas beizutragen, so hat er doch die Aussicht, mit der Zeit das Capital getilgt zu sehen; denn die Bank zahlt an die Inhaber der Rentenbriefe etwas weniger an Interessen, als sie von den Verpflichteten an Renten einnimmt. Aus diesem Überschusse wird ein besonderer Tilgungsfond gegründet zur allmäligen Entlastung der Rentenpflichtigen. – Übrigens sind Lasten, welche die Natur von Staats- oder Communalabgaben haben, in der Regel nicht Gegenstand der Ablösung. Auch braucht kaum bemerkt zu werden, daß, wo einmal Ablösung Statt gefunden, unter keiner Rechtsform gestattet sein kann, von Neuem Reallasten zu begründen.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro