Huss

[428] Huss (Johannes) oder Joh. von Hussinecz, der berühmte Reformator, hatte seinen Namen von dem Orte Hussinecz bei Prachaticz in Böhmen angenommen, wo er 1373 geboren worden. Sich früh durch Talent und Fleiß auszeichnend, fand er in seinem Grundherrn und in andern wohlhabenden Männern Gönner, durch deren Unterstützung es ihm möglich wurde, 1389 die Universität Prag zu beziehen, um sich dem Studium der Theologie und Philosophie zu widmen. Nachdem er Magister geworden war, hielt er seit 1398 Vorlesungen an der prager Universität, und noch umfangsreicher wurde sein Einfluß, nachdem er 1402 böhm. Prediger an der Bethlehemskapelle zu Prag und nachher Beichtvater der Königin Sophie geworden war. In der scholastischen Philosophie hatte sich allmälig ein scharfer Gegensatz zwischen den sogenannten Nominalisten und den Realisten (s. Scholastiker) ausgebildet, und auf der prager Universität schloß sich an diesen wissenschaftlichen noch ein nationaler Gegensatz an. Es waren nämlich in Prag sowol von Lehrern als von Studirenden eine große Anzahl Fremde, namentlich Deutsche und Polen, und diese genossen gewisse Vorrechte, welche ihnen die Böhmen, zu denen auch H. gehörte, streitig machten. Hieraus entstanden heftige Zwistigkeiten, welche der böhm. König Wenzel zu Gunsten der Böhmen entschied, und hierauf verließen gegen 5000 ausländische Professoren und Studenten Prag und begaben sich nach Leipzig, Erfurt, Ingolstadt, Rostock und Krakau, indem sie theils die schon vorhandenen Universitäten verstärkten, theils neue stifteten. In Böhmen selbst hatte die päpstliche Gewalt seit längerer Zeit bedeutend an Ansehen verloren, wozu besonders die seit längerer Zeit schon bestehende Uneinigkeit über die Papstwahl (das große von 1378–1417[428] währende Schisma, s. d.) Veranlassung gegeben hatte. König Wenzel war zu schwach, um in die religiösen Meinungen durch seinen Einfluß Halt und Festigkeit zu bringen, und so hatte sich im Volke überall das Bewußtsein von den Mängeln der bestehenden Kirchenverfassung ausgebreitet. H. hatte schon um die Zeit seiner Berufung zum Beichtvater der Königin die Schriften Wiclef's kennen gelernt und aus ihnen die bestimmte Überzeugung von den der h. Schrift zuwiderlaufenden Irrungen und Misbräuchen der röm.-katholischen Kirche gewonnen. Gegen dieselben trat er nun in seinen Predigten, Vorlesungen und bald auch in Schriften auf und fand einen in jeder Hinsicht tüchtigen Gehülfen in Hieronymus von Prag (s.d.). Papst Alexander V. und später Papst Johann XXIII. hatten H. zur Verantwortung nach Rom gefodert, aber dieser war nicht erschienen und hatte sich ebenso wenig den Verordnungen des prager Erzbischofs Sbynko gefügt, der 1410 gegen 200 Bände Wiclef'scher Schriften in seinem Palast verbrennen ließ und das böhm. Predigen in der Bethlehemskirche untersagte. H. appellirte an ein allgemeines Concilium, auf welchem er seine Lehre offen bekennen wollte und die Wahrheit derselben auf überzeugende Weise darzuthun hoffte. Noch heftiger wurde der Zwiespalt mit Rom, als der Papst gegen Ladislaw von Neapel den Kreuzzug predigen ließ, denn H. und Hieronymus traten laut gegen denselben auf und der Letztere wagte sogar Gewaltschritte, welche zur Folge hatten, daß der Papst H. mit dem Kirchenbanne und Prag, so lange H. in ihm wäre, mit dem Interdict belegte. H. begab sich unter den Schutz des Grundherrn seines Geburtsorts, Nicolaus von Hussinecz, eines aufgeklärten und der Sache der von ihm erkannten Wahrheit eifrig zugethanen Mannes. H. predigte nun im Freien gegen die vom Papste ausgegangenen Misverhältnisse und schrieb »von den sechs Irrthümern und von der Kirche«. Er leugnete die Verwandlung der Hostie in den wirklichen Leib Christi, verwarf den Glauben an die Unfehlbarkeit des Papstes und an die Heiligen, leugnete, daß auch ein lasterhafter Priester eine gültige Absolution (Freisprechung von den Sünden) ertheilen könne, verwarf die. unbedingte Unterwürfigkeit (Obedienz) unter irdische Vorgesetzte, indem man nur Gott und dem göttlichen Worte unbedingt treu sein solle, kämpfte gegen Simonie (s.d.) und erkannte in allen Glaubenssachen einzig die h. Schrift als Richterin an. H. fand einen großen Anhang und glaubte mit der Wahrheit seiner Lehre auch die auf dem Concilium zu Konstanz versammelten Priester und Fürsten überzeugen zu können. Mit freudigem Muthe kam er am 4. Nov. 1414 zu Konstanz an, geleitet von dem Grafen Chlam und zwei andern böhm. Adeligen, welche König Wenzel ihm mitgegeben hatte, und durch einen Geleitsbrief vom Kaiser Sigismund vor persönlicher Gefahr sichergestellt. Auch Papst Johann XXIII. gab ihm das Versprechen persönlicher Sicherheit. Aber einem Ketzer meinte man nicht Wort halten zu dürfen und als solchen behandelte man ihn, ohne seine Gründe zu hören, oder die gehörten in Erwägung zu ziehen. Schon am 28. Nov. wurde H. verhaftet und als er am 5. Jun. 1415 in das öffentliche Verhör gebracht wurde, konnte er vor den lärmenden Schmähungen, mit welchen ihn die Väter des Conciliums überhäuften, nicht zu Worte kommen. Am 7. und 8. Jun. sprach H. zwar im Beisein des Kaisers ausführlich zu seiner Vertheidigung, aber statt ihm zu antworten, foderte man von ihm nur unbedingten Widerruf seiner Ketzereien. H. weigerte sich, die Wahrheit abzuschwören, und so wurde er in dem letzten Verhör am 6. Jul. 1415 zum Feuertode verurtheilt. Zwar wagte es H., den Kaiser an seinen Geleitsbrief zu erinnern, aber vergebens. Man verbrannte ihn noch an demselben Tage und streute seine Asche in den Rhein. Als er beim Hingange zum Scheiterhaufen sah, wie man seine Schriften verbrannte, lächelte er, denn er wußte wohl, daß dies ein vergebliches Beginnen seiner Feinde war, und als er selbst auf dem Scheiterhaufen stand, verschied er unter freudigen Gebeten. Eine alte Sage erzählt, als H. auf dem Scheiterhaufen stand, habe er gesagt: »Jetzt bratet ihr eine Gans (welche im Böhmischen Huß heißt), aber in 100 Jahren wird ein Schwan kommen, den werdet ihr ungebraten lassen.« Man hat diesen Ausruf für eine Vorherverkündigung Luther's angesehen, welcher das von H. begonnene Werk der Kirchenreformation siegreich ausführte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 428-429.
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