Meistersänger

[103] Meistersänger Die unselige Zeit der Verwirrung, welche um die Mitte des 13. Jahrh. mit dem Erlöschen des schwäb. Kaiserhauses (s. Hohenstaufen) in Deutschland begann, führte auch den Verfall der damaligen deutschen Dichtkunst mit sich, welche im vorhergehenden Zeitraume durch die Minnesänger (s.d.) mit dem Ritterwesen ihre höchste mittelalterliche Ausbildung erreicht hatte. Der Adel hörte auf, wie in edler Tapferkeit und rühmlichen Abenteuern, so auch in der Dichtkunst zu wetteifern, die rohe Raub- und Fehdekunst nahm wieder überhand und zu Anfang des 14. Jahrh. gab es nur noch wenige, der ältern Minnesänger würdige Dichter. Diese fanden aber jetzt an den Bürgern und Handwerkern, vorzüglich der Reichsstädte, eifrige Nachahmer, freilich nur in ihrer Art und Weise, denn sie unterwarfen die Dichtkunst festen und strengen Regeln, wie sie es von ihren Gewerben her gewohnt waren, und diese sogenannten Meistersänger, welche außer der Form fast gar nichts von der frühern romantischen Liebes-und Heldenpoesie beibehielten, bildeten gegen Ende des 14. Jahrh. eine Art von Zünften, welche ihre Privilegien, bestimmte Zusammenkünste und Gebräuche hatten, nannten sich selbst aber bescheiden nur »Liebhaber des deutschen Meistergesangs«. Die aus den Dichtungen ihrer Vorbilder hergeleiteten Grundsätze wurden von ihnen zu unverbrüchlichen Innungsartikeln gemacht und die Tabulatur genannt; ein danach eingerichtetes Lied hieß Bar, seine Abtheilungen hießen Gesätze, die Versarten aber Gebäude. Alle Lieder der Meistersänger waren für das Singen berechnet und eine Versart mit ihrer Melodie hieß zusammen ein Ton, deren neue und den Regeln der Tabulatur entsprechende zu erfinden, für den größten Ruhm erachtet ward. Diese Töne waren nach der Anzahl der Reimzeilen in Classen getheilt und nächst den Namen ihrer Erfinder durch oft sehr wunderliche Benennungen unterschieden, wie z.B. die Rosmarinweise Hans Findeisen's, Blasii Luftweis, die schwarze Titenweise des M. Ambrosius Metzger, die geblümte Paradiesweise Joseph Schmierer's, der kurze Ton Barthel Regenbogen's u.s.w. Die Meistersänger selbst sahen in den Minnesängern nur ihre Vorgänger und Genossen in der Kunst zu singen und verlegten die Stiftung ihres Vereins in die Zeiten Kaiser Otto's des Großen, von dem sie sogar eine goldene Krone erhalten haben wollten, die in Mainz verwahrt wurde. Indessen scheint nur gewiß, daß im Anfange des 14. Jahrh. ihre Art zu singen zuerst in Mainz in Aufnahme kam, dann zu Strasburg, zu Colmar vorzüglich durch die Schuhmacher, in keiner Reichsstadt aber mit mehr Ehre betrieben ward als in Nürnberg, wo ihre Zusammenkünfte oder Singeschulen, welche gewöhnlich nur in den Herbergen stattfanden, an Festtagen und nach beendigtem Gottesdienste sogar in den Kirchen gestattet waren und dazu durch öffentlich ausgehängte Bekanntmachung eingeladen wurde. Jede Genossenschaft der Meistersänger hatte Vorsteher, Merker genannt, weil sie bei den Singübungen die begangenen Fehler anzumerken und mit Geld zu bestrafen hatten, was der Büchsenmeister einnahm. Sie saßen in den Singeschulen an einem oft mit einem Vorhang verhüllten Tische und der eine beachtete hauptsächlich den Reim, der andere die Melodie und so jeder einen besondern Theil des Gesangs und zeichnete die dagegen bemerkten Verstöße auf, um nachher Dem, welcher am fehlerfreiesten gesungen, den Preis ertheilen zu können, d.h. er wurde mit einer goldenen Kette und der Zweitbeste mit einem Kranze von künstlichen Blumen für die Dauer der Versammlung geziert und durfte das nächste Mal mit bei den Merkern sitzen und auf Befragen seine Stimme abgeben. Von Kaiser Karl IV. erhielten die Meistersänger 1378 einen Freiheitsbrief und. ein stattliches Wappen und ihre Zusammenkünfte, sowie der Meistergesang überhaupt genossen stets einen gewissen Grad von öffentlichem Ansehen; auch gehörten Gelehrte, wie z.B. Heinr. Frauenlob (s.d.), und Edelleute zu ihrem Vereine, in dem nur die Meisterschaft im Gesange Anspruch auf Rang hatte. In mehren Reichsstädten er hielt sich, trotz der zunehmenden Werthlosigkeit ihrer Gesänge, ihre Genossenschaft bis ins 18. Jahrh., und z.B. zu Nürnberg soll 1788 in der Vorstadt Wöhrd die letzte Zusammenkunft von nürnberg. Meistersängern stattgefunden, in Ulm aber 1792 noch ihr Verein im besten Flore gestanden haben. Zu den berühmtern Meistersängern der fruhern Zeit gehören Heinrich von Muglin, der Schmied Barthel Regenbogen, Muscablüt, Meister Hadlaub und seit dem 15. Jahrh. der Barbier Hans Folz von Worms, vor [103] Allen aber Hans Sachs (s.d.). Merkwürdig ist übrigens der deutsche Meistergesang schon darum, weil er einzig in seiner Art war und geblieben ist; schlichte Handwerker waren es, die ihn, wenn auch nicht stifteten, doch aufrecht erhielten, und es ist kein Beispiel von einer ähnlichen Verbrüderung zum Besten vaterländischer Dichtung bei andern Nationen bekannt. Der Meistergesang ist daher auch ein Beweis der bei den gewerbtreibenden Classen in Deutschland zu jener frühen Zeit heimischen Cultur, und gewiß konnte im 14. und 15. Jahrh. kein anderes Land Versammlungen so gebildeter Schmiede, Weber, Schuster und Schneider aufweisen, wie sie in den deutschen Reichsstädten stattfanden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 103-104.
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