Meistersänger [1]

[97] Meistersänger (Meistersinger), zur Zeit der Minnesänger ein Rhapsod, welcher die Lieder der Dichter, die oft ihrer Vorzüglichkeit wegen Meister genannt wurden, absang od. declamirte, u. nachdem der Minnegesang verstummt war, begannen um die Mitte des 44. Jahrh., sich an jene anschließend, die M. ihr eignes Institut. Anfangs gehörten auch angesehene u. gelehrte Leute zu denselben, daher sie sich auch nicht als eine Gilde od. Zunft, sondern als poetische Akademien betrachtet wissen wollten u. sich Liebhaber des deutschen Meistergesangs nannten. Doch waren schon damals die meisten u. nachmals alle Mitglieder Handwerker, die dann eine förmliche Zunft (Meistergenossenschaft) unter sich ausmachten u. gleich den Handwerksinnungen ihre Statuten, Privilegien, bestimmte Zusammenkünfte u. Ceremonien hatten. Die Meistergenossenschaft wurde vom Kaiser Karl IV. 1378 mit einem Freiheitsbrief u. dem Rechte, ein eignes Wappen zu führen, begnadigt. Ihre vornehmsten Versammlungsplätze, wo Meisterschulen blühten, waren Mainz, Nürnberg u. Strasburg; ähnliche Gesellschaften entstanden in Memmingen, Ulm, Heilbronn, Augsburg, Frankfurt, Regensburg u. in andern Reichsstädten; zu Mainz verwahrte man die Privilegien, den Wappenbrief u. eine goldene Krone, welche die M., einer fabelhaften Erzählung nach, vom Kaiser Otto (bis auf dessen Zeit die M. auch den Ursprung ihres Ordens zurückführten) zum Geschenk erhalten haben wollten. Ohne Prüfung, auch des sittlichen Lebens, wurde keiner in die Genossenschaft aufgenommen, daher dieselben auch sittlichen Werth für jene Zeit hatten, u. dieser war der wichtigere, während der poetische nur gering war, da sich unter den M. nur selten ein wahrer Dichter zeigte. Mit dem 17. Jahrh. begannen die Schulen der M. einzugehen; die letzte Genossenschaft der Art erhielt sich in Ulm bis 1839 u. ihr Inventar kam an den Liederkranz daselbst.

Der Inbegriff ihrer, aus frühern Dichtern, bes. Wolfram von Eschenbach, Heinrich Frauenlob u. Klingsor, abstrahirten Regeln od. Gesetzen des Minnegesangs waren in der sogenannten Tabulatur enthalten. Das Lied, welches immer lyrisch war, hieß Bar. Der Bar bestand aus mehren Gesätzen (Strophen), diese wieder aus zwei Stollen (Strophe u. Antistrophe), die gleiches Maß (Gebäude) u. gleiche Melodie hatten u. deren Ende durch ein Kreuz bezeichnet wurde; nach diesen beiden folgte der Abgesang, ein einzelner Stoll (Epodos), in anderm Maß. Körner hießen die letzten Verse einer Strophe, die sich auf keinen Vers dieser Strophe reimten, wohl aber auf die letzte Zeile der folgenden Strophe Gegen Reim u. Sylbenzahl eines Verses konnten 32 Fehler begangen werden (Versingen). Solche Fehler waren z.B. nicht hochdeutscher Reim, falsche Meinungen (d.i. schwärmerische, unchristliche, unzüchtige Bilder), blinde Meinungen (undeutliche Ausdrücke), Halbwort (Abkürzung eines Wortes um eine Sylbe, od. die Theilung eines Wortes am Ende eines Verses, z.B. Der Türkenkaiser reitet froh. Auf einem constantinopo- | Litauisch schwarzen Hengst vorbei), Anhang (z.B. Monde statt Mond), Klebsylbe (z.B. lan statt lassen, zur statt zu der), Mylben od. Milben (z.B. singe statt singen), Stuzen od. Zucken (Pausiren ohne Noth), Lind u. Hart (wenn die Reimsylben den harten entsprechenden weichen Consonanten enthalten, z.B. Rad – That, Gott – todt etc.). Für die verschiedenen Weisen (Töne) od. Melodien, deren Zahl sich auf mehre hundert belief, hatten sie sonderbare Benennungen, z.B. die Schnecken-, die schwarze Tinten-, die verschlossene Helm-, des Cupidinis Handbogen-, die fröhliche Studenten-, Apollinis Harfen-, die Gelblöwenhaut-, die Cliosposaunen-, Rosmarin-, geblumie Paradies-, treu Pelikans-, scharf Meisterwurz-, hohe Fermamentsweis etc. Wer die ganze Tabulatur vollkommen inne hatte, hieß ein Schulfreund, wer sie noch nicht recht verstand, ein Schüler, wer einige Töne vorsingen konnte, ein Singer, wer nach den Tönen Anderer Lieder machte, ein Dichter, u. wer selbst einen Ton erfand, ein Meister, se wie die Mitglieder der Zunft Gesellschafter. Dabei gab es Singschulen, in denen oft Wettstreite angestellt wurden. Ein Merker (Vorsteher) sagte die Versammlung an u. hing in der Stadt Tafeln aus; in dem Locale (meist Kirchen) standen die Vorsteher auf dem Gemerke (einem Gerüst) u. der Singende auf dem Singestuhl (einer Art Kanzel). Den Anfang machte das Freisingen, d.h. es durfte Jeder, auch ein Fremder singen, aber ohne Wettstreit u. Belohnung. Nun stimmten alle Meister ein Lied in vollem Chor an. Hierauf folgte das Hauptsingen, d.h. es wurde um die Wette gesungen (der Inhalt nur aus der Bibel, mit Angabe des Buchs u. Capitels). Ein Merker bestimmte die Ordnung der Wettsänger. Vier Merker waren Richter: der eine verglich den Inhalt des Liedes mit der Bibel; der andere gab Acht, ob die Regeln des Bars genau beobachtet waren; der dritte prüfte die Reime, der vierte die Weise. Der erste Preis war ein silbernes Gehäng mit einer, den auf der Harfe spielenden König David enthaltenden Münze (daher der Sieger: Königdavidgewinner); der zweite Preis von seidenen Blumen. Wer einen dieser Preise errungen hatte, durfte Merker werden. Die übrigen Zusammenkünfte wurden in Wirthshäusern gehalten. Wurden die Neulinge nach einiger Zeit losgesprochen, so hieß es Freiung. Bei der Taufe eines M-s, d.i. der feierlichen Einweihung zur Meistersängerkunst, waren drei Merker als Zeugen zugegen, deren Einen er zum Täufer wählte, dem er treues Halten an der Kunst gelobte. Die Gegenstände der Meistersängerpoesie waren gewöhnlich Vorfälle des gemeinen. Lebens od. biblische Geschichten od. gereimte Chroniken, vgl. Spruchsprecher. Die meisten Meistergesänge sind noch ungedruckt u. dürften wohl auch nur zum kleinsten Theil der Veröffentlichung werth sein; ebenso sind auch nur wenige Meister bisher aus der Masse der übrigen herausgehoben u. dabei oft mehr ihrer sonstigen Werke als ihrer kunstmäßigen Lieder wegen besonderer Beachtung würdig befunden worden. Dahin gehören im 14. Jahrh. Heinrich von Maglein, u. der wandernde M. Suchensinn, aus dem 15. Jahrh. Muscatblüt[97] u. Michael Beheim, aus dem 16. Jahrh. Hans Sachs u. Adam Puschmann. Von Letzterm ist Gründlicher Bericht des deutschen Meistergesangs, Görlitz 1571, Bresl. 1584; vermehrt, Frkf. a. d. O. 1596; vgl. Wagenseil, Buch von der Meistersänger holdseliger Kunst etc. (hinter Dessen Commentatio de civitate Noribergensi), Alt. 1696.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 97-98.
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