Serbien

[169] Serbien oder Servien, ein der Pforte tributpflichtiges, übrigens aber unabhängiges und erbliches Fürstenthum, liegt südl. von der Donau, zwischen der Walachei, der Bulgarei, Macedonien, Albanien, Bosnien und Ungarn. Seine Größe beträgt 5–600 ! M., die Zahl der Einwohner 7–800,000. Letztere sind Slawen (s.d.), welche im 7. Jahrh. v. Chr. diese Gegenden, die früher einen Theil des röm. Reichs ausgemacht hatten, überschwemmten und einen Staat gründeten, zu dem bis zum Anfange des 11. Jahrh. auch noch das heutige Bosnien gehörte. Die Fürsten führten den Titel Supan oder Zupan. Den schwachen oström. oder byzantin. Kaisern gelang es nicht, S. dauernd zu unterwerfen, auch gegen Ungarn behauptete es seine Unabhängigkeit. Es verlor dieselbe erst an die Osmanen. Bald nach Stephan Duschan nämlich (1336–56), dem größten Serbenfürsten, der den kaiserl. Titel annahm, das Reich erweiterte und ihm völlige Unabhängigkeit wieder verschaffte, besiegte der türk. Sultan Murad I. die Serbier 1389 auf dem Amselfelde unweit Kossowa (wonach die Schlacht auch benannt wird), und ließ den gefangenen serb. Fürsten Lazar hinrichten, worauf das Land von Murad's Nachfolger Bajazet (Murad selbst wurde auf dem Schlachtfelde in seinem Zelte von drei Serbiern ermordet) tributpflichtig gemacht wurde. S. blieb jetzt der Schauplatz des Krieges zwischen den Türken und Ungarn. Ein neuer Sieg auf dem Amselfelde, den Murad II. 1447 über den berühmten ungar. Feldherrn Hunyades erfocht, machte S. endlich der Pforte gänzlich unterthan; das Land war verödet, die edelsten Geschlechter ausgerottet, die Kraft des Volkes gebrochen. In diesem Zustande blieb das Land, zum Ejalet Rumili gehörig, bis zum Anfange dieses Jahrhunderts. Da brach im J. 1801, unter Georg Petrowitsch, gewöhnlich Georg Czerny, d.h. der schwarze Georg, genannt, ein Aufstand aus, der, unter russ. Beistande, den glücklichsten Erfolg hatte. Schon war Czerny als Fürst von S. eingesetzt und von Rußland anerkannt, schon hatte die Pforte die wichtigsten Freiheiten des Landes bewilligt und dieses arbeitete bereits an seiner Verfassung, als Rußland 1812, im Frieden mit der Pforte, S. preisgab. Da begann die Pforte 1813 einen neuen Unterwerfungskrieg, der mit der größten Grausamkeit und mit Glück geführt wurde. Czerny flüchtete nach fruchtlosem Widerstande nach Rußland. Seine Rolle übernahm aber Milosch Obrenowicz, geb. 1780, der früher unter Czerny als General gedient hatte. Diesem Manne, gleich ausgezeichnet durch persönliche Tapferkeit und Feldherrntalente, wie durch Einsicht in die Regierungsangelegenheiten, gelang die Befreiung seines Vaterlandes. Die Pforte erkannte S. 1815 als unabhängigen und ihr nur tributpflichtigen Staat an, Milosch wurde 1827 auf der großen Nationalversammlung zu Kragujewaz zum erblichen Fürsten erwählt und als solcher 1834 von der Pforte bestätigt. Diese genehmigte endlich auch, nachdem sie mehre Verfassungsentwürfe verworfen, die Verfassung vom Dec. 1838. Bald darauf traten aber neue Verwickelungen in den serb. Verhältnissen ein. Im Jun. 1839 brach ein Aufstand aus, der den Umsturz der Verfassung zum Zwecke hatte. Der Aufstand mislang, und Fürst Milosch, den man im Verdacht hatte, ein Haupturheber desselben zu sein, um sich von den ihm durch die Verfassung aufgelegten Fesseln zu befreien, wurde zur Abdankung genöthigt. Er zog sich darauf auf seine Güter in der Walachei zurück und sein Sohn folgte ihm in seiner Würde. Übrigens war die Regierung des Fürsten Milosch ausgezeichnet und seine Weisheit und Umsicht, mit der er die Hülfsquellen des Landes zur Benutzung gefödert und neue geschaffen hat, mit der er, der selbst nicht lesen und schreiben kann, sein Land nach dem Muster anderer civilisirten Staaten zu einer höhern Cultur erhoben hat, ist es eben, wodurch seit zwanzig Jahren die Augen Europas mit lebhafterm Interesse auf S. gezogen worden sind. In der jüngsten Zeit'ist der älteste Sohn des Fürsten Milosch, Milan, welcher nach der Abdankung seines Vaters zu dessen Nachfolger bezeichnet war, gestorben und der zweite Sohn des Fürsten, Michael, der sich mit seinem Vater nach der Walachei zurückgezogen, hat auf die von dem Senate an ihn erlassene Auffoderung, die Nachfolge anzunehmen, zustimmend geantwortet. Über die Zukunft S.'s wird allem Anscheine nach auch das der Türkei vorbehaltene Schicksal entscheiden, welches zu errathen bei den drohenden Verwickelungen der politischen Verhältnisse im Osten, zur Stunde unmöglich erscheint.

S. ist ein von der Natur sehr reich begabtes Land. Die Gebirge, welche den größten Theil des Bodens einnehmen, gewähren ebenso wol Schönheiten für das Auge als Nutzungen für den Fleiß der Bewohner, namentlich unerschöpfliche Waldungen und reiche Viehweiden auf den Hochebenen. Viehzucht ist auch von jeher der Haupterwerb der Einwohner gewesen. Der Ackerbau wird, ungeachtet der Fruchtbarkeit des Landes, erst seit neuern Zeiten lebhafter betrieben. Der Bergbau, der ganz in Verfall gerathen war, ist durch Milosch wieder ins Leben gerufen worden. Fabriken fehlen dagegen noch ganz. Das Land wird durch die Morawa und einige andere Nebenflüsse der Donau hinlänglich bewässert, die Donau sichert ihm auch Handelsverbindungen, die in späterer Zeit von der größten Wichtigkeit werden können. Alle Einkünfte gehören dem Lande, und die Pforte bezieht nur einen jährlichen Tribut von 2,300,000 türk. Piastern. Nur in Belgrad ist eine türk. Besatzung, im übrigen[169] Lande darf sich kein Türke ansiedeln. Die Serbier sind ein schönes, tapferes und kräftiges Volk und eines bessern Looses würdig, als sie Jahrhunderte hindurch ertragen haben. Einen Adel gibt es unter ihnen nicht, und Alle sind persönlich frei. Zum Christenthume wurden sie bereits im 9. Jahrh. bekehrt. Das Land ist in 18 Districte getheilt. Die Residenz des Fürsten ist Kragujewaz, eine offene und nur kleine Stadt am rudniker Gebirge. Außerdem sind die wichtigsten Städte die Hauptstadt Belgrad (s.d.), Semendria oder Smederowo an der Mündung der Jessawa, eines Seitenarmes der Morawa, in die Donau, mit etwa 10,000 Einw., nicht weit davon der Flecken Passarowiz, berühmt durch den Frieden von 1718, Schabaz, Festung an der Save, und Uschize, Festung an der Morawa, mit 20,000 Einw.

In neuerer Zeit ist auch, mit dem Fortschreiten der Cultur im Lande selbst, die serbische Sprache und Literatur bekannter geworden. Die Sprache, eine der vier Hauptmundarten der slaw. Sprache, wird nicht blos in S. selbst, sondern auch in den Nachbarländern, mehr oder weniger vorherrschend, im Ganzen von etwa 5 Mill. Menschen gesprochen. Sie steht dem Russischen näher als dem Polnischen und Böhmischen, übertrifft aber alle slaw. Mundarten an melodischem Klange. In S. trat, wie in Rußland, sehr früh eine Scheidung zwischen der Kirchensprache und der Volkssprache ein, und die wenigen bis in die Mitte des 18. Jahrh. geschriebenen Bücher sind in jener verfaßt. Eine neue Epoche der Literatur beginnt mit dem Bestreben, die weit reinere und bildsamere Volkssprache zur Schriftsprache zu erheben. Dies wagte zuerst Dosithei Obradowitsch, geb. 1739, gest. 1811, ihm folgte Demetrius Dawidowitsch, Secretair des Fürsten Milosch, der 1814–22 die serb. Zeitung herausgab, und besonders Wuk Stephanowitsch, geb. 1787, der ein Wörterbuch der serb. Sprache und eine serb. Grammatik verfaßte. Auch vollendete er den Sieg der Volkssprache über die alte Schriftsprache dadurch, daß er aus dem Munde des Volkes die herrlichen Volkslieder sammelte, die bald europ. Berühmtheit erlangten, und von Grimm, Talvj (Fräulein von Jakob) und W. Gerhard ins Deutsche übersetzt wurden. Seitdem regt sich die serb. Literatur immer mehr; eine Gesellschaft vertheilt Preise für die besten serb. Werke.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 169-170.
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