Stadt

[272] Stadt nennt man im weitern Sinne jeden Ort, an welchem eine größere Anzahl von Menschen zusammen wohnen, im engern eine solche Gemeinheit, welche im Gegensatz der Dörfer und Flecken das Recht hat, jede bürgerliche Nahrung, als Handel, Fabriken und Handwerke, zunftmäßig zu betreiben, und eine ihr eigne Obrigkeit hat. Die Städte sind zum Theil aus der Ausbreitung der Familien, mehr aber noch aus dem Bedürfnisse gemeinsamen Schutzes nach außen und vielseitiger Unterstützung zu gemeinsamen Unternehmungen, wie zur Herbeischaffung der mancherlei und immer zahlreicher werdenden Lebensbedürfnisse, entstanden. Die Ägypter und die dem Handel zugethanen Phönizier legten namentlich viele Städte an, die Letztern auch auswärts, um feste Punkte zu haben, von denen aus sie den Handel ausbreiten konnten und wo sie Sicherheit für ihre Waaren fanden. Während in Asien schon in den frühesten Zeiten größere Reiche entstanden, indem es einzelnen Despoten gelang, ihre Macht über einen weiten Kreis der sklavisch gesinnten Einwohner auszubreiten, und während daher dort die einzelnen Städte nur Bestandtheile größerer Staaten ausmachten, waren die Städte des südl. Europas, namentlich Griechenlands und Italiens, selbständig, und wo einzelne Städte ihre Selbständigkeit gegen andere aufgeben mußten, geschah solches nur nach hartnäckigen Kämpfen. Der Umstand, daß hier das Staatsleben aus den Städten sich herausbildete, ist einer der wichtigsten Gründe zu den republikanischen Verfassungen dieser Staaten. Viele Städte entstanden durch Entsendung von Colonien, welche nur durch Bande der Pietät von den Mutterstädten abhängig, übrigens selbständige Staaten waren. Die Stadt Rom breitete ihre Macht endlich so gewaltig aus, daß alle frühern Staaten von dem röm. verschlungen wurden und alle Städte gegen diese Eine ihre Selbständigkeit verloren. Unter dem Kaiser Augustus singen die Römer an, auch in Deutschland Städte zu gründen, um ihre Macht daselbst zu befestigen, z.B. Augusta Vindelicorum, das jetzige Augsburg; Drusomagus, das jetzige Memmingen, und andere. Indeß blieben die Deutschen dem Stadtleben immer abhold, bis endlich Karl der Große durch Zwang und Heinrich I. durch die Vorrechte, welche er den Städtebewohnern einräumte, das Vorurtheil der Deutschen gegen die Städte immer mehr ausrotteten. Da die neu anzulegenden Städte größtentheils in der Nähe kais. Burgen aufgebaut wurden, da man alle Städte mit Mauern und andern Befestigungswerken umgab, und auf diese Weise auch ältere Ortschaften zu Städten erhob, so entstand für die Bewohner der Städte der Name Bürger, welchen sie im Gegensatz eines Theils gegen die Dorfbewohner, andern Theils gegen den Adel, der damals noch auf seinen Burgen lebte, behielten. Das Bürgerrecht wurde bald ein gesuchter Vorzug, und man nannte diejenigen fürstlichen und adeligen Unterthanen, welche es erlangten, ohne in den Städten selbst zu wohnen, Pfahlbürger, wahrscheinlich weil sie außerhalb der Pfähle, welche die Umgrenzung der Stadt ausmachten, ihre Wohnung hatten. In politischer Bedeutung erhoben sich die Städte im Mittelalter, namentlich durch die Bündnisse, welche sie untereinander schlossen, um sich gegenseitig Schutz gegen den raubsüchtigen Adel zu gewähren, oder auch um gegen Fürsten und Herren ihre Freiheiten zu behaupten. Schon im Alterthume gab es Bündnisse von Städten, doch waren dieselben mehr Bündnisse kleiner selbständiger Staaten gegen gemeinschaftliche Feinde oder zur Vertretung gemeinsamer Interessen. Unter den Städtebünden des Mittelalters zeichnen sich besonders die Hansa (s.d.) und der Bund der oberdeutschen und rhein. Städte aus. Nachdem die Städte in den meisten europ. Staaten allmälig das Recht der Reichs- oder Landstandschaft erlangt hatten, griffen sie immer mächtiger in die Umgestaltung der socialen Verhältnisse der Staaten ein, um so mehr, da sich in den Städten Reichthümer aufhäuften und zu weiterer Anregung des Kunstfleißes dienten, während der Adel und die Geistlichkeit mehr oder weniger verarmten. Zwar verloren die meisten früher unabhängigen Städte nach und nach ihre Selbständigkeit an die Fürsten, aber diese hatten von nun an die mächtigsten Stützen ihrer Herrschaft an den Städten. Viele Misbräuche und nicht mehr zeitgemäße Einrichtungen in der Gemeindeverfassung der Städte sind, zum fernern Gedeihen der Städte selbst, durch die neuern Städteordnungen (s. Gemeinde) abgeschafft worden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 272.
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