Staël Holstein

Staël Holstein

[272] Staël Holstein (Anne Louise Germaine von), geborene Necker, eine der ausgezeichnetsten Schriftstellerinnen, welche jemals gelebt haben, war, geb. zu Paris 1766, eine Tochter des berühmten Finanzministers Necker (s.d.).

Sie erhielt als Kind eine ausgezeichnete Erziehung und hatte in dem Hause ihres sie zärtlich liebenden Vaters vielfache Gelegenheit, ihren Geist auszubilden, denn dasselbe war der Sammelplatz der ausgezeichnetsten Geister Frankreichs. Die darauf folgende Revolution in Frankreich und die vielen Reisen, welche die geistreiche Frau machte, dienten dazu, ihrem Geist eine noch höhere Ausbildung und seltene Stärke zu geben. Sie wurde 1786 mit dem schwed. Gesandten in Paris, dem Baron von Staël-Holstein, verheirathet. Ergriffen [272] von den Ideen, welche die Revolution hervorriefen, nahm Frau von S. an dieser den lebhaftesten Antheil. Ihr Vater legte 1790 zum zweiten Male das Ministerium nieder und zog sich nach Coppet zurück. Seine Familie durfte Paris nicht verlassen. Es gelang Mad. S., mehre ihrer Freunde dem Schicksale zu entreißen, welches ihnen drohte. Sie war noch an den schrecklichen Septembertagen in Paris und wäre wahrscheinlich selbst als Opfer der Revolution gefallen, wenn ihr nicht der damalige Procureur der Commun Manuel zur Flucht behülflich gewesen wäre. Sie hielt sich eine kurze Zeit bei ihren Ältern auf und begab sich dann nach England. Zu London erfuhr sie den Tod Ludwig XVI., und sie schrieb nun mit Aufwendung aller ihrer Beredtsamkeit ihre »Betrachtungen über den Proceß der Königin«, durch welche sie derselben zu nützen hoffte. Sie hatte schon früher einen Plan zur Flucht der königl. Familie ausgearbeitet und denselben dem Minister Montmorin mitgetheilt, ohne daß er benutzt worden wäre. Nach dem Sturze Robespierre's veröffentlichte sie »Betrachtungen über den Frieden« (Paris 1794), welche an den engl. Minister Pitt und an die Franzosen gerichtet waren, und »Betrachtungen über den Frieden im Innern« (Paris 1795). Schweden erkannte endlich die Republik Frankreich an. Mit ihrem Gemahl kehrte Frau von S. 1795 nach Paris zurück, wo sie jedoch von der herrschenden Partei nicht eben gern gesehen wurde, weil sie sich etwas vorlaut in die politischen Angelegenheiten zu mischen pflegte. Hier trennte sie sich auf einige Zeit von ihrem Gemahl, kehrte jedoch zu ihm zurück, als sie glaubte, daß derselbe ihrer Pflege bedürftig sei, und begleitete ihn 1798 nach der Schweiz, wo er starb. Bonaparte, welcher Frau von S. zuerst nach seiner Rückkehr aus Italien kennen lernte, war ihr unweibliches Weien zuwider, und sie selbst nahm eine feindselige Stellung gegen ihn an, indem sie bemüht war, ihm durch die Waffen des Spottes und der Satire zu schaden, und ihr Haus zum Sammelplatz seiner politischen Gegner machte, wovon die endliche Folge war, daß sie aus Paris verbannt wurde. Man machte ihr den Vorwurf, sie habe ihrem Vater, welcher 1802 ein Werk unter dem Titel: »Dernières vues de politique et de finances«, herausgab, falsche Berichte über Frankreich mitgetheilt. Nachdem Napoleon vergebliche Versuche gemacht, sie für die Regierung zu gewinnen, sprach er die Verbannung gegen sie mit den Worten aus: »er überlasse ihr den Erdkreis, doch wolle er Paris für sich behalten.« Sie hielt sich hierauf längere Zeit in Deutschland auf, machte sich mit der deutschen Literatur und mit den angesehensten deutschen Schriftstellern bekannt und verkehrte vorzüglich mit A. W. Schlegel, welcher sie auf ihren Reisen begleitete. Die Frucht dieses Umgangs war ihr Werk »De l'Allemagne«, welches großes Aufsehen machte und jedenfalls dazu dienen mußte, einen innigern Verkehr zwischen franz. und deutscher Bildung zu begründen, so einseitig und vorurtheilsvoll es auch in vieler Beziehung war. Dasselbe hatte sie bereits 1809 vollendet, nachdem es aber in der ersten Auflage auf Befehl des franz. Policeiministers Savary vernichtet worden war, erschien es erst 1813 zu Baden und im folgenden Jahre in Leipzig. In Berlin erfuhr Frau von S. den Tod ihres Vaters, und wurde von demselben aufs tiefste ergriffen, da sie mit der größten Liebe und Dankbarkeit an ihm hing. Sie hielt sich nachher abwechselnd in Italien, Frankreich, Deutschland, England und zu Coppet, der Herrschaft, welche ihr Vater in der Nähe von Genf erstanden, auf. Sie erhielt endlich von der franz. Regierung den Befehl, Coppet nicht zu verlassen, entfloh jedoch von dort 1812 und begab sich nach Wien, Moskau und Petersburg, bereiste Schweden und kehrte endlich von London aus, nach dem Einzuge der Verbündeten in Paris, nach dieser ihrer Vaterstadt zurück. Als Napoleon von St.-Elba zurückkehrte, begab sich Frau von S. nach Coppet, in der Folge aber brachte sie ihre meiste Zeit wieder in Paris zu. Sie hatte sich noch einmal verheirathet, aber um ihren Namen nicht aufzugeben, nur insgeheim, mit einem franz. Offizier de Rocca. Sie starb zu Paris 1817. Unter ihren 18 Bände (Par. 1820–21) umfassenden Werken sind besonders auszuzeichnen die Romane »Delphine« und »Corinna« (beide mehrmals ins Deutsche übersetzt), und man hat gesagt, daß sie in jenem sich selbst, in diesem das Ideal, nach welchem sie gestrebt, geschildert habe. Ihr letztes Werk waren ihre »Betrachtungen über die franz. Revolution«, welches zwar höchst interessant ist, aber doch das Zeugniß ablegt, daß sie sich nicht über die einseitigen Ideen ihrer Zeit zu erheben vermochte. – Ihr Sohn August ist der Verfasser sehr werthvoller »Briefe über England« (Paris 1826) und starb 1827.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 272-273.
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