Stadt

[660] Stadt, eine Gemeinde, deren Bevölkerung vorzugsweise ihren Erwerb in der Industrie u. im Handel findet, unter einer geordneten Communalobrigkeit steht u. deren Baulichkeiten ein mehr od. weniger geschlossenes Ganze zeigt. Städte bildeten sich zuerst als solche Aufenthaltsorte seßhafter Völker, welche durch den gegenseitigen Verkehr bes. belebt wurden; außer den einzelnen Wohnhäusern enthielten sie meist als erste gemeinschaftliche Anlagen ein Gotteshaus u. einen Brunnen. Zum Schutz gegen jähe feindliche Überfälle traten dann Mauern hinzu u. bei weiterer socialer Bildung der Bewohner ein Versammlungshaus für obrigkeitliche Personen, ein Markt, Theater, Gymnasium etc. Die alten Griechen, welche die ersten Städte angelegt haben sollen u. bei denen Athen u. Lykosura um das höhere Alter stritten, hatten kleine Städte, bei denen die Hauptsache die Akropolis (s.d.) war; zweckmäßigere Anlage ging von Ionien aus u. wurde in, Griechenland allgemeiner seit der Zeit des Perikles, wo Hippodamos aus Miletos den Piräeus zu einer herrlichen S. umschuf, Thurii nach winkelrechten, großen Straßen anlegte u. Rhodos symmetrisch aufbaute. Seit dieser Zeit war die Anlage von Städten eine vorzügliche Aufgabe für die Architekten; reizende Aussichten, bes. von den Theatern aus, wurden dabei berücksichtigt, außerdem die kluge Benutzung u. Abhaltung von Wind u. Sonne; die amphitheatralische Anlage wurde die beliebteste. In Griechenland hieß eine S. Polis, bes. mit dem Nebenbegriff eines Gemeinwesens; während Asty den Platz als festes, ummauertes Vertheidigungsmittel gegen Feinde bezeichnete od. einen alten Stadttheil im Gegensatz zu den später dazu gezogenen Theilen. In Italien waren bes. die Gebräuche der Etrurier bei Städtegründungen merkwürdig. Zuvörderst wurde eine Grube gegraben u. die Erstlinge von Allem, dessen Genuß das Gesetz empfahl u. die Natur zum Bedürfniß machte, hineingelegt u. zuletzt von jedem, welcher die S. mit beziehen wollte, etwas Erde des Landes, aus welchem er gekommen war, hineingeworfen. Der Gründer spannte dann einen weißen Stier rechts u. eine weiße Kuh links an einen Pflug u. zog in einem Viereck eine ununterbrochene, gleichmäßig fortlaufende Furche, wobei die Schollen nach innen geworfen wurden, deren Anhäufung die zu erbauende Mauer, die Furche selbst den Graben vorbildeten; wo ein Thor stehen sollte, wurde der Pflug aufgehoben u. über die Stelle weggetragen. Feierlich gegründete Städte hießen in Italien Urbes, u. sie blieben für die Zukunft, wo sich andere noch daneben erhoben, die Hauptstädte; die andern, weniger festen, wenn auch an Größe oft der Hauptstadt nichtnachstehenden, welche sich allmälig gebildet hatten, hießen Oppida. Als Haupttheil einer S. findet sich auch in Gallien die Mauer u. der Graben angegeben; jene bestand aus Balken u. Steinen. In Deutschland, bes. dem westlichen, in den Rheingegenden, entstanden schon früh Städte aus römischen Lagern u. Castellen, welche um so mehr befestigt wurden, da seit Tiberius' Zeit die Soldaten auch in den Lagern überwinterten; in dem östlichen wurden die meisten, wenigstens der Grund zu den später an ihren Stellen entstandenen Städten, unter Heinrich dem Vogler angelegt, welcher sie als Vertheidigungsmittel gegen die einfallenden Magyaren u. Slawen gründete u. zur Vertheidigung einen Theil des wehrbaren Landvolkes, den je 9. Mann, zum ständigen Aufenthalt dahin befehligte, woraus der besondere Stand der Städter entstand; diese mußten in der Zeit der Noth die Landleute mit ihren Heerden u. Familien aufnehmen. Heinrich gab auch den Städten manche Vorrechte, verlegte in dieselben die Gauversammlungen, Gerichte, öffentlichen Feierlichkeiten, gewährte den in ihre Mauern geflohenen Hörigen die Freiheit etc. Viele Städte entstanden außerdem an Bischofssitzen durch die diesen gewährten Immunitäten. Vom 11. Jahrh. an gewannen die Städte durch republikanische Verfassungen, Handel u. Ordnung mehr Ansehen; dies machte den Adel, welcher außer- od. auch innerhalb der Städte wohnte, eifersüchtig, u. bald entspannen sich Fehden zwischen Adel u. Städten. Dies gab Anlaß, daß sich die Städte zu größeren Vereinen mit einander verbanden (Städtebünde). Das erste Beispiel hiervon gab der Bund der Lombardischen Städte, welcher selbst den deutschen Kaisern furchtbar wurde; ihm folgte der Rheinische u. der Schwäbische Städtebund; im Norden Deutschlands verbanden sich viele Städte an der Nord- u. Ostsee u. tiefer ins Land hinein, am Niederrhein, in Westfalen, Niedersachsen u. Preußen bis Riga hin zu der sehr mächtigen Hansa (s.d.). Während dieser Vereine gewann das Ansehen der Städte dergestalt, daß sie an den Berathungen der Stände zum Besten des Landes zugezogen wurden. Die Städte, welche im Mittelalter nicht den Fürsten unterthan waren (Mediatstädte), sondern unmittelbar unter dem Reiche u. dem Kaiser standen, hießen Freie od. Reichsstädte (s.d.); sie hatten Landeshoheit in ihrem Gebiet u. Sitz u. Stimme auf dem Reichstag, wo sie ein eigenes, das städtische Corpus, bildeten (s.u. Reichstag). Gegenwärtig ist die Zahl derselben auf vier (Hamburg, Lübeck, Bremen, Frankfurt) herabgesunken.

Die Verfassung der Städteentwickelte sich meist in der Weise, daß an der Spitze der Verwaltung in der Regel ursprünglich ein von dem Territorialherrn ernannter Beamter stand, welcher entweder Voigt (Advocatus civitatis) od. Burggraf hieß, letzteres bes. da, wo ihm zugleich die Bewachung einer mit der S. verbundenen Burg anvertraut war. Zuweilen kommen auch beide Beamte neben einander vor. An der Spitze der Civiljurisdiction dagegen stand ein gleichfalls von dem Territorialherrn ernannter Schultheiß (Scultetus), welcher aber dabei durch ein Collegium von sieben od. zwölf Schöffen, die aus der Bürgerschaft gewählt wurden, beschränkt war. Späterhin suchte die Bürgerschaft sich von der Herrschaft der landesherrlichen Vögte u. Burggrafen mehr u. mehr loszuringen, indem sie bald mit Gewalt, bald durch Kauf od. sonstigen Vertrag die Gewalt dieser Ämter an sich brachte. Dagegen entstand neben dem Collegium der Schöffen meist noch ein zweites Raths-collegium, welches bald ebenfalls aus der Bürgerschaft, bald aber auch nur aus den hervorragenden Geschlechtern derselben gewählt wurde u. dessen Beruf vorzugsweise in der Controlirung von jenem bei der Verwaltung des Stadtvermögens, bei der Erhebung der Einkünfte u. der Vertheilung der Lasten bestand. Ja es erhob sich, bes. in Folge des Strebens der Handwerker nach Gleichstellung mit den übrigen Bürgern, in manchen Städten auch noch ein dritter Rath; welche dann entweder jährlich[660] mit einander wechselten od. zusammen bei wichtigeren Angelegenheiten einen weiteren Rath gegenüber dem engeren Rath bildeten. Der Vorstand eines jeden der Räthe erhielt den Namen Bürgermeister (Magister civium s. consulum). Seit der Reformation u. namentlich seit dem Dreißigjährigen Kriege sank indessen die errungene Selbständigkeit der Städte wieder bedeutend herab. Die unabhängige Verfassung, die mannigfachen Privilegien u. Immunitäten, welche dieselben sich zu erwerben gewußt hatten, wurden durch die wachsende Macht der Landeshoheit mehr u. mehr eingeschränkt, die Bürgerschaft selbst verlor unter dem einengenden Zunftzwang die frühere Spannkraft, welche sie befähigt hätte die materiellen Verluste, welche der Krieg den Städten gebracht hatte, wieder einzubringen. Erst die im Anfang des 19. Jahrh. neuerlassenen Städteordnungen brachten eine durchgreifende Reform des städtischen Wesens. Die Preußische Städteordnung vom 19. Novbr. 1808 (revidirt 17. Mai 1831) wurde dabei das Vorbild u. Muster, nach welchem auch die anderen Staaten vorwärts schritten, s.u. Gemeinde. Neuerdings haben auch die vermehrten Verkehrswege, namentlich die Eisenbahnen, der damit wieder eingetretene Aufschwung des Handels u. der Gewerbe sehr zur Hebung des städtischen Wesens beigetragen. Als der Kernpunkt der neueren städtischen Verfassungen erscheint dabei, daß die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten besonderen, von u. aus der Bürgerschaft selbst gewählten Behörden übertragen ist, von denen die eine (Magistrat, Stadtrath) das Organ der executiven Verwaltung ist, das andere (Stadtverordnete), Bürgervorstand, Bürgerausschuß die Controle führt u. bei allen wichtigeren Angelegenheiten (Feststellung des städtischen Haushaltes, Vertheilung der städtischen Abgaben, wichtigeren Bauten, Aufnahme neuer Bürger etc.) auch die entscheidende Stimme hat. Beide Behörden sind in der Regel collegialisch organisirt, doch so, daß die Mitglieder nicht lebenslänglich, sondern nur auf Zeit ihre Ämter bekleiden Nur der Vorstand des, Stadtrathes u. dessen Stellvertreter sind in der Regel lebenslänglich angestellt. Die Ortspolizei ist meist dem Magistrate übertragen geblieben: nur in größeren Städten u. Residenzen bestehen für dieselben besondere landesherrliche Behörden (Polizeidirectionen). Die eigene Gerichtsbarkeit dagegen, welche sonst fast allen Städten zukam, ist denselben mit der gänzlichen Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit (s.d.) überall genommen worden. Das städtische Bürgerrecht wird durch Aufnahme erworben (s.u. Bürger S. 472). Personen, welche in einer S. nur ihren Wohnsitz haben, ohne in die Bürgerschaft aufgenommen zu sein, heißen Schutzverwandte od. Beisassen. Die Vorstädte, welche sonst zuweilen eigene, mehr od. weniger von der Communalobrigkeit abhängige Gemeinden bildeten u. deren Einwohner Pfahlbürger (s.d. 1) hießen, sind jetzt regelmäßig ganz in die Stadtgemeinde aufgenommen. Größere Städte zerfallen in Bezirke (sonst gewöhnlich Viertel), denen Bezirksvorsteher (Viertelsmeister) vorgesetzt sind; dieselben unterstützen dann die Stadtbehörde in der Aufsicht über polizeiliche Angelegenheiten, bei Wahlen u. dgl. Im Ganzen ist neuerdings die Verfassung der Stadtgemeinden von den Landgemeinden nicht mehr so wesentlich verschieden, wie sonst; manche Staaten haben sogar die Verfassung beider Arten von Gemeinden auf einen u. denselben Fuß gebracht (s.u. Gemeinde). Als Privilegien, welche die Städte noch jetzt vor den Landgemeinden gewöhnlich auszeichnen, kommen nur noch das Marktrecht, d.h. die Befugniß Wochen- u. Jahrmärkte zu halten, u. das Recht der bürgerlichen Nahrung, d.h. das Recht in einem beschränkten Umfang eine Schankgerechtigkeit für die in die Stadt kommenden Geschäftsleute zu üben, vor; die anderen gewerblichen Vorrechte, wie z.B. das ausschließliche Recht des Bierbrauens, zünftigen Gewerbebetriebes, des Colonialhandels etc., sind fast überall mit den neueren, auf Einführung größerer Gewerbefreiheit beruhenden Gesetzen hinweggefallen. Vgl. Gaupp, Über deutsche Städtegründung, Jena 1825; Hüllmann, Das deutsche Städtewesen im Mittelalter, Bonn 1827, 2 Bde.; Kortüm, Entstehungsgeschichte der freistädtischen Bünde, Zür. 1827–30, 3 Bde.; Reichardt, Ansichten u. Untersuchungen der städtischen Verfassungen, Altenb. 1830; Dessen Statistik u. Vergleichung der jetzt geltenden städtischen Verfassungen, ebd. 1844.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 660-661.
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