Aufsichtsrat

[98] Aufsichtsrat (Verwaltungsrat, Ausschuß), ein den Aktiengesellschaften und den Aktienkommanditgesellschaften gesetzlich vorgeschriebenes, früher (wie auch gegenwärtig noch in Österreich) fakultatives, bei den eingetragenen Genossenschaften zulässiges (in Deutschland nach dem Gesetz vom 1. Mai 1889 in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 obligatorisches), bei den Gesellschaften mit beschrankter Haftung nach dem Gesetz vom 20. April 1892 in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 fakultatives, bei den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit nach dem Gesetz vom 12. Mai 1901 obligatorisches (für kleinere Vereine dieser Art nur fakultatives), kontrollierendes ständiges Gesellschaftsorgan, das durch die Generalversammlung gewählt wird, bei den Aktien- und Aktienkommanditgesellschaften aus[98] mindestens drei Mitgliedern (nicht gerade Aktionären) bestehen muß, und durch das die Gesellschafter dem Vorstand gegenüber die ihnen zustehenden Rechte ausüben. Nach dem Handelsgesetzbuch hat bei Aktien- und Kommanditaktiengesellschaften der A. die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und zu dem Zweck sich von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten; er kann Bücher und Schriften der Gesellschaft jederzeit einsehen und den Kassenbestand etc. untersuchen. Er soll die Jahresrechnungen, Bilanzen und Vorschläge zur Gewinnverteilung prüfen und darüber alljährlich der Generalversammlung Bericht erstatten. Ferner hat er eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der Gesellschaft erforderlich ist. Beruht auch die Hauptaufgabe des Aufsichtsrates in der Beaufsichtigung der gesamten Geschäftsführung des Vorstandes, so ist er doch nicht von einer tätigen Mitwirkung ausgeschlossen, wie ihm denn auch das Gesetz die Ernennung des Vorstandes gestattet, als Regel die Bestellung eines Prokuristen von seiner Zustimmung abhängig macht, ihn in wichtigen Fällen mit der Prozeßführung für die Gesellschaft betraut und ihn berechtigt, die Annahme und Abberufung von Liquidatoren bei dem Handelsgericht zu beantragen etc. Die Befugnisse des Aufsichtsrates können durch Statut noch mehr erweitert werden. Bisweilen ist so der Vorstand bei allen wichtigern Angelegenheiten an die Mitwirkung des Aufsichtsrates gebunden. Die Mitglieder des Aufsichtsrates können die Ausübung ihrer Obliegenheiten, bei denen sie die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden haben, nicht andern Personen übertragen. Sie dürfen nicht zugleich Mitglieder des Vorstandes oder dauernd deren Stellvertreter, dann (bei Kommanditgesellschaften auf Aktien) nicht persönlich haftende Gesellschafter sein, auch nicht als Beamte die Geschäfte der Gesellschaft führen. Sie haften für allen Schaden, der durch Versäumnis ihrer Pflichten entsteht; insbes. sind sie persönlich und solidarisch (auch den Gesellschaftsgläubigern) zum Schadenersatz verpflichtet, wenn mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten entgegen den gesetzlichen Bestimmungen: 1) Einlagen an die Aktionäre zurückgezahlt, 2) Zinsen oder Dividenden gezahlt sind; 3) eigne Aktien oder Interimsscheine der Gesellschaft erworben, zum Pfand genommen oder amortisiert worden; 4) Aktien vor der vollen Leistung des Nominalbetrags oder einer festgesetzten höhern Summe etc. ausgegeben sind; 5) die Verteilung des Gesellschaftsvermögens, eine teilweise Zurückzahlung oder eine Herabsetzung des Grundkapitals erfolgt ist oder Zahlungen geleistet-worden sind, nachdem Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sich ergeben hat. Die Mitglieder des Aufsichtsrates werden, wenn sie absichtlich zum Nachteil der Gesellschaft handeln, mit Gefängnis und zugleich mit Geldstrafe bis zu 20,000 Mk. bestraft. Besondere Strafvorschriften bestehen für doloses Verhalten bei der Gründung und der Erhöhung des Grundkapitals, für wissentlich unwahre Angaben über den Vermögensstand, für Ausgabe von Aktien vor der Volleinzahlung oder zu einem geringern als dem gesetzlich zulässigen Betrag sowie endlich für schuldhaftes Belassen der Gesellschaft ohne A. Bei Kommanditgesellschaften auf Aktien ist der A. ermächtigt, gegen die persönlich haftenden Gesellschafter die von der Generalversammlung beschlossenen oder im Interesse der eignen Verantwortlichkeit erforderlichen Prozesse zu führen. Prozesse gegen den A. oder dessen Mitglieder sind durch Bevollmächtigte zu führen, die in einer Generalversammlung zu diesem Zwecke gewählt wurden.

Nachdem 1870 die Konzessionspflicht der Aktiengesellschaften aufgehoben worden ist, soll auf dem A. hauptsächlich die Sicherheit der Aktionäre und Gesellschaftsgläubiger gegen Benachteiligungen durch die Geschäftsführer beruhen. Daher schreibt auch das Gesetz für den A. eine Minimalzahl von drei Mitgliedern vor. Um dem überwiegenden Einfluß der Gründer und der Gefahr vorzubeugen, daß diese sich auf längere Zeit im A. festsetzen, ferner damit auch später mißliebige Personen leichter zu entfernen seien und eine Garantie dafür geboten werde, daß auf Grund gewonnener Erfahrungen sachkundige und zuverlässige Personen gewählt werden können, bestimmt das Gesetz, daß der erste A. nur für die Zeit bis zur Beendigung der ersten Generalversammlung, die nach dem Ablauf eines Jahres seit Eintragung der Gesellschaft zur Beschlußfassung über die Jahresbilanz abgehalten wird, gewählt werden darf, daß die Amtsdauer der weitern Aufsichtsräte fünf Geschäftsjahre nicht überschreite und die Bestellung zum Mitgliede des Aufsichtsrates auch vor Ablauf dieses Zeitraums durch die Generalversammlung (und zwar, falls der Gesellschaftsvertrag nichts andres bestimmt, durch eine Mehrheit von drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals) widerrufen werden kann. Um zu verhüten, daß von vornherein die Aufsichtsräte für längere Zeit in unabänderlicher Weise mit hohen Tantiemen bedacht werden, ist festgesetzt, daß den Mitgliedern des ersten Aufsichtsrates eine Vergütung nur durch die Generalversammlung nach Ablauf des Zeitraums, für den der A. gewählt ist, bewilligt werden darf. Über Tantiemen s. d. Vgl. Bauer, Der A., Rechte und Pflichten etc. (2. Aufl., Leipz. 1900); Küntzel, Der A. (das. 1902). – Über den A. in der Invaliditäts- und Altersversicherung s. Invaliditätsversicherung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 98-99.
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