Festzüge

[486] Festzüge, festliche Schaustellungen zu Ehren von Göttern, Herrschern und siegreichen Helden, waren, wie die ägyptischen und babylonisch-assyrischen Denkmäler bezeugen, schon im frühesten Altertum, besonders im Orient, üblich. Den gottesdienstlichen Festzügen dienten besondere, auf die Tempel führende Straßen, die in Ägypten von Sphinxen und Widdern eingefaßt waren. Einer der berühmtesten F. des Altertums war der zu Ehren der Athena von der gesamten Bevölkerung Athens am letzten Tage der großen Panathenäen (s.d.) veranstaltete (am Cellafries des Parthenon dargestellt, s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 7). Mit größter Pracht wurden die F. unter Alexander d. Gr. (Einzug in Babylon, dargestellt von Thorwaldsen, s. Tafel »Bildhauerkunst XIV«, Fig. 3) und unter den Ptolemäern ausgestattet, die zur Verherrlichung ihrer eignen Personen dienten. Ihrem Muster wurden später die Triumphzuge nachgebildet, mit denen die Römer ihre siegreich heimkehrenden Feld herren ehrten (Darstellungen auf dem Bogen des Titus [s. Tafel »Bildhauerkunst VI«, Fig. 7], Septimius Severus u. Konstantin in Rom; Näheres s. Triumph). Auch zu Beginn gewisser Spiele im Circus Maximus zu Rom fanden F. statt, die sich vom Kapitol durch die Stadt zum Zirkus bewegten. In Byzanz wurden F. mit besonders großem Prunk veranstaltet, und auch während des ganzen Mittelalters bis in die neuere Zeit waren sie sehr beliebt, die kirchlichen sowohl, die sich an den Festtagen zwischen den einzelnen Gotteshäusern bewegten, als die weltlichen, von denen sich namentlich die zum Empfang der deutschen Kaiser von großen und kleinen Städten veranstalteten oft durch höchste Prachtentfaltung auszeichneten (Einzug Karls V. in Antwerpen, von Dürer in seinen Tagebüchern erwähnt [vgl. Festdekoration], Einzug und Krönungszug Kaiser Josephs II. in Frankfurt a. M., von Goethe in »Dichtung und Wahrheit« geschildert). Freie Schöpfungen künstlerischer Phantasie sind dagegen der Triumphzug Cäsars von Mantegna (s.d.) und der Triumphzug Kaiser Maximilians, auf dessen Bestellung zur Verherrlichung seiner Person noch Zeichnungen von Dürer, Burgkmaier u. a. in Holz geschnitten. Auch in Italien spielten F. im 15. u. 16. Jahrh. eine große Rolle, in erster Reihe die Fronleichnams prozessionen und die F. beim Einzug und bei Hochzeiten fürstlicher Personen, aber auch bei Leichenfeiern. Es gab besondere Festkünstler, die von Stadt zu Stadt herumreisten. Aus dem 17. Jahrh. ist durch seine künstlerische, von Rubens geleitete Ausstattung berühmt[486] der Einzug des Kardinalinfanten Ferdinand in Antwerpen (1635, vgl. Festdekoration). Im 19. Jahrh. kamen die F. besonders durch die in den 1850er und 1860er Jahren veranstalteten Turner-, Sänger- und Schützenfeste wieder in Aufnahme, und seit 1870 haben sie allmählich einen solchen Raum im öffentlichen Leben eingenommen, daß kein dynastisches oder patriotisches Fest, kein Stadtjubiläum, kein Erinnerungsfest an ein bedeutsames geschichtliches Ereignis ohne Festzug vorübergeht. Es gibt sogar Geschäfte, die sich lediglich mit der Lieferung aller zu Festzügen nötigen Kostüme, Waffen, Rüstungen, Pferdegeschirren und sonstigen Requisiten befassen (F. u. A. Diringer in München). Eine alte Spezialität der F. sind die Karnevalsfestzüge (mit besonderm Glanz in Köln und Mainz veranstaltet). Von den historischen Festzügen der neuern Zeit waren von hervorragender künstlerischer Bedeutung der zur Vollendung des Doms 16. Dez. 1880 in Köln veranstaltete und der zum 500jährigen Jubiläum der Universität Heidelberg (August 1886). Viele der neuern F. sind auch in photographischen und andern Nachbildungen für die Erinnerung aufbewahrt worden. Vgl. z. B. Jauslin u. Roux, Album des historischen Zuges zur-400jährigen Jubelfeier der Schlacht bei Murten 1876 (Bern 1877); Stadlin, Makarts Festzug der Stadt Wien (Wien 1879); Huldigungsfestzug der Stadt Wien zur Feier der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares (das. 1881); Heyberger u. Füßlen, Festzug zur Vollendung des Ulmer Münsters (Ulm 1890); Götz, Jubiläumsfestzug zum 70. Geburtstage des Großherzogs Friedrich von Baden (Karlsr. 1896); Wiese u. Schultz, Historischer Festzug zur 300jährigen Jubelfeier der Neustadt Hanau (Hanau 1897). S. auch Prozession.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 486-487.
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