Rubens

[209] Rubens, Peter Paul, niederländ. Maler, das Haupt der flandrischen Malerschule, geb. 28. Juni 1577 in Siegen (nach andern in Köln), gest. 30. Mai 1640 in Antwerpen. Sein Vater, der Schöffe in Antwerpen gewesen, unter der Herrschaft des Herzogs von Alba sich aber nach Köln geflüchtet hatte, war wegen Ehebruchs mit der Gemahlin des Prinzen Wilhelm von Oranien zwei Jahre lang gefangen gehalten und dann zum dauernden Aufenthalt in Siegen verpflichtet worden. Nach seinem 1587 erfolgten Tode zog die Witwe mit ihren Kindern nach Antwerpen zurück, wo R. zunächst die Lateinschule besuchte, dann eine Zeitlang Page war und sich seit etwa 1592 nacheinander unter Tobias Verhaegt, van Noort und namentlich Otto van Veen der Kunst widmete. 1598 wurde er in die Malergilde zu Antwerpen aufgenommen. Im Mai 1600 ging er nach Italien und verweilte zunächst in Venedig, wo er Tizian, Tintoretto und die andern Venezianer kennen lernte und kopierte. Hier wurde der Herzog Vincenzo Gonzaga von Mantua auf ihn aufmerksam gemacht, der ihn als Hofmaler nach Mantua berief. Die Kunstschätze des Herzogs, die Fresken Giulio Romanos, die Arbeiten Mantegnas in Mantua boten ihm die reichste Anregung. Nach längerm Aufenthalt in Rom, wo er im Auftrag des Erzherzogs Albert von Österreich drei Bilder für die Kirche Santa Croce in Gerusalemme malte (jetzt zu Grasse in Südfrankreich), begab sich R. 1603 als Überbringer kostbarer Geschenke des Herzogs an den spanischen Hof nach Madrid. 1604 zurückgekehrt, malte er ein Triptychon mit der heiligen Dreifaltigkeit für die Jesuitenkirche in Mantua (sehr verdorben; Teile in Mantua, Nancy und Antwerpen). 1605 ging er wieder nach Rom, wo er ein Altarbild für Santa Maria in Vallicella (Madonna mit sechs Heiligen) zu malen begann (1608 vollendet, in demselben Jahre aber durch ein andres dreiteiliges von seiner Hand ersetzt; das erste jetzt in Grenoble). 1607 wurde sein römischer Aufenthalt durch eine Reise nach Genua in Begleitung des Herzogs unterbrochen. Die Nachricht von der Krankheit seiner Mutter rief ihn im Herbst 1608 nach Antwerpen zurück, und die Trauer über ihren noch vor seiner Abreise erfolgten Tod sowie die freundliche Aufnahme durch den Erzherzog Albert, den Statthalter der Niederlande, hielten ihn dort fest. 1609 wurde er zum Hofmaler ernannt; drei Wochen darauf vermählte er sich mit Isabella Brant (gest. 1626) und 1611 gründete er sich ein eignes prächtiges Heim, in dem er seine reichen Sammlungen unterbrachte. Sein Atelier füllte sich bald mit Schülern. Die ersten Bilder dieser Periode sind: das berühmte Doppelbildnis in der Pinakothek zu München, das ihn und seine Frau in einer Laube sitzend darstellt, und die Anbetung der Könige (1610, Museum in Madrid). Welche Meisterschaft R. damals schon in dramatisch bewegten Darstellungen entfalten konnte, zeigen die Kreuzaufrichtung von 1610, in der noch die Erinnerungen an Michelangelo und Caravaggio nachklingen, und die 1611 begonnene, noch weit großartigere Kreuzabnahme (beide in der Kathedrale zu Antwerpen). Von Jahr zu Jahr mehrte sich der Ruhm R.' wie sein Reichtum, seine Ehren und die Zahl seiner Schüler. 1622 rief ihn Maria de' Medici nach Paris, um ihren dort erbauten Luxembourgpalast mit Darstellungen der merkwürdigsten Begebenheiten ihres eignen Lebens zu schmücken. R. entwarf die Skizzen (Münchener Pinakothek) und ließ danach von seinen Schülern die Gemälde ausführen, die er überging und 1625 selbst nach Paris brachte (jetzt im Louvre). Sie sind sehr merkwürdig in ihrer Verquickung von Mythologie und Geschichte, aber von hohem dekorativen Reiz. Nachdem er schon seit 1623 als diplomatischer Agent in den Diensten der Erzherzogin Isabella zum Zweck von Friedensunterhandlungen tätig gewesen, sandte ihn 1628 die Erzherzogin in gleicher Absicht nach Spanien. R. gewann das Vertrauen des Königs, wurde Sekretär des Geheimen Rates und geadelt, führte während seines Aufenthalts in Madrid mehrere Werke aus und erneuerte dort seine Studien nach Tizian, die auf die letzte Periode seines Schaffens von starkem Einfluß wurden. Von Madrid wurde er unmittelbar 1629 nach London gesandt, um mit dem König wegen des Friedens zu verhandeln, und diesen Vorbesprechungen wurde es verdankt, daß der Friede 1630 unterzeichnet wurde. Der König von England schlug ihn zum Ritter. Auch in London war er als Maler tätig. In der Folge ward er noch zu mehreren Staatsgeschäften gebraucht, die ihm jedoch[209] geringere Ehren einbrachten. 1630 vermählte er sich mit der jungen, schönen Helene Fourment, deren liebliches Antlitz er häufig festgehalten hat und deren blühende Körperformen ihm bei fast allen seinen mythologischen Bildern als Modell dienten. In den spätern Jahren seines Wirkens entwarf er, da sich die Aufträge zu sehr häuften, fast nur noch die Skizzen selbst; die Ausführung mußte er seinen Schülern überlassen, überging aber wenigstens bei den wichtigen Werken das Ganze mit eigner Hand. Seit 1635 lebte er bald in der Stadt, bald auf seinem Landsitz Steen bei Mecheln und malte meist kleinere Staffeleibilder von seiner Ausführung. Er starb nach längerm Leiden an der Gicht. Die Stelle, wo seine Gebeine in der St. Jakobskirche zu Antwerpen ruhen, bezeichnet ein vortreffliches Werk seiner Hand, die Madonna mit dem Kind und mehreren Heiligen darstellend. Der Erlös aus dem Verkauf seines Nachlasses belief sich auf 1,010,000 Gulden. 1840 wurde R. in Antwerpen eine von Geefs modellierte Bronzestatue gesetzt und 1877 sein 300jähriger Geburtstag in Antwerpen und Siegen feierlich begangen. R.' Hauptstreben ging auf höchste Lebendigkeit der Darstellung und auf das höchste Maß von koloristischer Wirkung. Seine Werke tragen mehr als die jedes andern Malers das Gepräge des ursprünglichsten, frischesten, lebendigsten Ergusses der Phantasie. An Reichtum der Erfindung kommt ihm kein andrer gleich. Etwa 3000 Bilder, unter denen sich allerdings viele Wiederholungen, Schülerarbeiten und Kopien befinden, gehen unter seinem Namen. Seine Kunst umfaßt den gesamten Kreis des Darstellbaren. In der Darstellung des Nackten, in der wunderbaren Leuchtkraft der Fleischfarbe ist er unübertroffen. Seine Gestalten, besonders die weiblichen, leiden bisweilen unter einem Übermaß von Fleischesfülle und Muskelreichtum; aber diese Üppigkeit bildet einen Bestandteil seiner über menschliches Maß hinaus gesteigerten, mit Michelangelo verwandten Formensprache. Seine Freude an der sinnlichen Erscheinung bildet einen scharfen Gegensatz zu der weltentrückten Frömmigkeit der Andachtsbilder der ältern Schule; aber die sinnliche Glut seiner Farbe und das berauschende Fortissimo seiner religiösen Kompositionen kamen den katholischen Reformbestrebungen, die in erster Linie durch die Jesuiten vertreten wurden, sehr entgegen, weshalb ihn auch die Jesuiten 1620 mit der Ausschmückung ihrer Kirche in Antwerpen betrauten und er bis an sein Lebensende der bevorzugte Kirchenmaler der katholischen Welt blieb.

Das reifste und mildeste seiner religiösen Bilder ist der bald nach 1630 gemalte Ildefonsoaltar (kaiserliche Galerie in Wien). Sein dramatisches Pathos entfaltet sich am stärksten in den Bildern der Münchener Pinakothek (der Sturz der rebellischen Engel, der Sturz der Verdammten, das große und kleine Jüngste Gericht, das apokalyptische Weib, die Niederlage Sanheribs und der bethlehemitische Kindermord). Von andern biblischen Darstellungen sind zu nennen: Simson und Delila, Christus und die bußfertigen Sünder (München), Lot mit Frau und Töchtern von einem Engel aus Sodom geleitet (im Louvre zu Paris), zahlreiche Darstellungen der Anbetung der Könige und der Himmelfahrt Mariä (letztere in Antwerpen, Brüssel, Düsseldorf, Wien), die Kreuzigung Petri (Peterskirche in Köln), die Kreuzigung Christi (coup de lance, Antwerpen), die Kreuztragung Christi (Brüssel), Christus im Grabe (Antwerpen), Pauli Bekehrung und die heil. Cäcilia (Berlin). Dazu kommt eine Anzahl Bilder aus der Geschichte der Heiligen, wie Loyola, Franz Xaver (Wien), Franz von Assisi (Antwerpen) u.a. Ganz frei und eigentümlich erscheint der Künstler in der Behandlung des. klassischen Altertums, dem er eine große Zahl von Bildern entnahm, zum Teil aus der Göttergeschichte, besonders aus dem bacchischen Kreis (zahlreiche Bacchanalien), zum Teil aus der Heroengeschichte (sechs Bilder mit der Geschichte des Decius Mus in der Liechtensteinschen Galerie zu Wien). Hervorzuheben sind: der Raub der Töchter des Leukippos, die Amazonenschlacht und der sterbende Seneca (München), das Venusfest und Boreas und Oreithyia (Wien), Jupiter und Kallisto (Kassel), Neptun und Amphitrite, die gefesselte Andromeda und Bacchanal (Berlin), das Urteil des Paris (Madrid) und Neptun auf dem Meer (Dresden, ein Teil der unter R. Leitung ausgeführten Dekorationen zum Einzug des Kardinal-Infanten Ferdinand in Antwerpen, 1635). Mit gleicher Wärme und Liebe umfaßte R. die Darstellung des Naturlebens und des fröhlichen Treibens der Kinder (Früchtekranz, München). Höchste Lebendigkeit und dramatische Kraft atmen seine Tierbilder, die zum Teil in Gemeinschaft mit F. Snyders entstanden sind. Es sind zumeist Jagden, wie die Löwenjagd (München), die Wolfsjagd (Lord Ashburton), die Wildschweinsjagd (Dresden) und die Hirschjagd der Diana (Berlin). Zum großen Teil eigenhändig sind seine Landschaften, die bald, mit Zuziehung einiger Motive aus der Natur, aus freier Phantasie hervorgegangen sind und die Elemente oft in ihrem Aufruhr zeigen (Odysseus an der Küste der Phäaken, in Florenz; Überschwemmung mit Philemon und Baucis, in Wien), bald den idyllischen Charakter von R. reichgesegnetem Heimatsland darstellen, und in denen er alle Lichterscheinungen zauberhaft wiederzugeben verstand (Landschaften mit Regenbogen, in München und in St. Petersburg, Mondscheinlandschaft bei Mrs. Mond in London). Unter seinen wenigen Genrebildern sind die Bauernkirmes (Paris) und der Bauerntanz (Madrid) von ausgelassenstem Humor erfüllt. Von den Konversations- und Schäferstücken existiert der Liebesgarten in vielen Exemplaren, von denen aber das Bild in Madrid, nicht das in Dresden, als das Original zu betrachten ist. Ein andres Konversationsstück befindet sich unter dem Namen »der Schloßpark« im Hofmuseum zu Wien. Unter seinen zahlreichen Bildnissen gehört das Bild im Palast Pitti zu Florenz, bekannt unter dem Namen der vier Philosophen, das Justus Lipsius, Jan Woverius, Philipp Rubens und den Künstler selbst vorstellt, seiner frühesten Zeit an. Unter den zahlreichen Bildnissen seiner Familie ragen die von ihm und seiner Frau im Schloß zu Windsor, das Familienporträt in der Nationalgalerie zu London, das Bild seiner Frau mit Kind in München, das Bildnis der nur mit einem Pelz bekleideten Helene Fourment in Wien, das Doppelbildnis seiner Söhne in der Galerie Liechtenstein zu Wien, unter denen fremder Personen die des Jean Charles de Cordes und seiner Frau im Museum zu Brüssel und das des Doktors van Thulden in der Pinakothek zu München hervor; ausgezeichnet durch sein magisches Helldunkel ist das unter dem Namen des Strohhutes bekannte Bildnis seiner Schwägerin Susanne Fourment in der Nationalgalerie zu London. Wenige Künstler haben auf ihre Zeit einen so mächtigen, unwiderstehlichen Einfluß geübt wie R.; es gibt keinen Zweig der niederländischen Malerei, auf den er nicht bestimmend eingewirkt hätte. Selbst auf die Architektur hat er durch seine Herausgabe der »Palazzi antichi di Genova« (Antwerp. 1622) in Kupferstichen eingewirkt. Die Zahl[210] seiner Schüler war sehr groß. Die bedeutendsten sind: van Dyck, Soutman, Th. van Thulden, M. Pepyn, A. Diepenbeek, C. Schut, E. Quellinus, J. van Egmont, J. van Hoeck etc. Außerdem aber hat er auch eine Schule von ausgezeichneten Kupferstechern herangezogen, wie Vorsterman, Schelte a Bolswert, Pontius etc., die seine Werke auf seine Kosten für den Verkauf in Kupfer stachen, während Chr. Jegher sie in Holz schnitt. Auch war er selbst der Radierkunst mächtig, und überdies hat er eine große Zahl von Zeichnungen für Büchertitel (s. Tafel »Buchschmuck I«, Fig. 3), Bücherverzierungen u. dgl. angefertigt. Die meisten seiner Handzeichnungen besitzen die Museen in London, Paris, Wien und das Museum Plantin-Moretus in Antwerpen, der frühere Sitz der Buchdruckerfamilie dieses Namens. R. war ein Mann von universeller, gelehrter Bildung, der sich in lateinischer Sprache geläufig auszudrücken wußte, eingehende Studien der klassischen Literatur betrieb und mit zahlreichen Zeitgenossen in Briefwechsel stand. Die frühere Literatur über R. ist überholt durch die Werke von Rooses, L'œuvre de R. (Antwerp. 1882–92, 5 Bde.) und R., sa vie et ses œuvres (das. 1903; deutsch, Stuttg. 1904). Vgl. ferner Rosenberg, R., des Meisters Gemälde in 551 Abbildungen (2. Aufl., Stuttg. 1905), Rubensbriefe (Leipz. 1881) und Der Kupferstich in der Schule und unter dem Einfluß des R. (Wien 1888–93); »Correspondance de R.« (hrsg. von Ruelens und Rooses, Antwerp. 1887–1907, Bd. 1–5); Michel, R., sa vie, ses œuvres et son temps (Par. 1900); J. Burckhardt, Erinnerungen aus R. (Basel 1898); Rob. Vischer, P. P. R. (Berl. 1904); Stevenson, P. P. R. (Lond. 1906); Schneevoogt, Catalogue des estampes gravées d'après P. P. R. (Haarl. 1873). Den Mittelpunkt der Rubensforschung bildet das Jahrbuch »Bulletin Rubens« (Antwerp., seit 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 209-211.
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209 | 210 | 211
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