Kaiser Wilhelm-Kanal

[440] Kaiser Wilhelm-Kanal (Nordostseekanal, hierzu die Karte »Kaiser Wilhelm-Kanal«), Schiffahrtskanal in der preuß. Provinz Schleswig-Holstein, der mit Umgehung der Halbinsel Jütland Nord- und Ostsee in direkte Verbindung miteinander bringt (Fig. 1), beginnt oberhalb Brunsbüttel im Mündungsgebiete der Elbe, zieht sich in drei etwa gleichen Teilen zuerst bis Grünenthal nach NO., dann bis Borgstedt nach O. und zuletzt nach SO., folgt auf letzterer Strecke meist dem alten Eiderkanal (s. Eider), jedoch mit Vermeidung der Krümmungen desselben, und mündet 4 km nordöstlich von Kiel unterhalb Holtenau in den Kieler Busen. Die Länge beträgt 98,65 km, die Tiefe 9, die Sohlenbreite 22, die Spiegelbreite 60 m. Großartige Schleusenanlagen befinden sich an beiden Endpunkten, bei Brunsbüttel und Holtenau (Fig. 2 u. 3). Sie sind als Doppelschleusen angelegt, d. h. sie haben zwei nebeneinander liegende Kammern, die gleichzeitig zum Durchschleusen von Schiffen in Benutzung genommen werden können. Die nutzbare Länge zwischen den Schleusentoren beträgt 150, die lichte Breite 25, die Tiefe 9,8 m. Die Schleusen ermöglichen also das Passieren von Seeschiffen bis zu 150 m Länge. Die Bewegung der Schleusentore erfolgt mit hydraulischer Kraft. Die Brunsbütteler Schleuse bleibt während der Flut geschlossen und wird erst geöffnet, wenn der äußere Wasserstand mit dem in der Schleuse, bez. dem Kanal befindlichen gleich ist. Die Holtenauer Schleuse ist stets geöffnet, ausgenommen bei Sturm. Zum Schutz des Kanals sind außerhalb der Brunshütteler Schleuse noch zwei gewaltige Molen in den Elbstrom gebaut, deren Köpfe durch zwei Leuchttürme gesichert werden. An den Innenseiten der Schleusen befindet sich je ein Binnenhafen. Auf der ganzen Strecke des Kanals sind sieben Ausweichestellen angebracht, die indessen nur für die Kreuzung besonders großer Kriegsschiffe notwendig sind. Den Kanal kreuzen vier Eisenbahnlinien, zwei davon auf Hochbrücken mit einer lichten Höhe von 42 m, von denen die eine im Zuge der Linie Neumünster-Tönning bei Grünenthal (s. Tafel »Eisenbau I«, Fig. 2), mit einer Spannweite von 156 m, die andre, mit 165 m Spannweite, im Zuge der Linie Kiel-Flensburg bei Levensau (Fig. 4) liegt. Der Übergang der beiden andern Eisenbahnlinien erfolgt durch Drehbrücken bei Taterfahl, bez. bei Rendsburg (Fig. 5), während 17 Fähren dem übrigen Verkehr dienen. Nachts wird der Kanal durch elektrische Lampen erhellt. Ein großer Betriebs- und Reparaturhafen befindet sich in Rendsburg. Von Brunsbüttel bis Rendsburg durchzieht der Kanal fast ausschließlich eine einförmige Moorgegend. Hinter Rendsburg nimmt das Landschaftsbild einen anmutigen Charakter an, da Wiesen, Täler, gut bestandene Buchenwälder[440] und zahlreiche Binnenseen miteinander wechseln. Die Fahrt durch den Kanal unter Lotsenkontrolle, die auch die Zollaufsicht bewirkt, darf nicht 5,8 Knoten Geschwindigkeit überschreiten, so daß mit geringem Aufenthalt bei Schleusen und Brücken eine Durchgangszeit von 13 Stunden zu rechnen ist. Der Kanal ist zweischiffig; ohne Gefahr des Zusammenstoßes können nicht nur zwei der größten Handelsdampfer, sondern auch ein großes Kriegsschiff und ein Handelsdampfer aneinander vorüberpassieren.

Der Bau wurde durch Gesetz vom 16. März 1886 beschlossen, die Kosten waren auf 156 Mill. Mk. veranschlagt, wozu der preußische Staat eine Summe von 50 Mill. Mk. unter Verzicht auf jede Verzinsung im voraus übernahm. Die Oberleitung des Baues hatte der Geheime Oberbaurat Bänsch. Am 3. Juli 1887 wurde durch Kaiser Wilhelm I. der Grundstein in Holtenau gelegt, 18. Juni 1895 erfolgte die Schlußsteinlegung durch Kaiser Wilhelm II. und die Eröffnung für den allgemeinen Verkehr. Der Vorteil, den dieser Kanal für die Schiffahrt bietet, ist bedeutend. Abgesehen davon, daß der Weg durch den Kanal bei weitem sicherer ist als durch das unruhige, wegen seiner vielen Schiffbrüche berüchtigte Skagerrak, ist er von der Ostsee vor allen Dingen nach allen südlich von Newcastle an der englischen Ostküste liegenden Häfen viel kürzer. Auch seine militärische Bedeutung ist nicht gering. Ungesehen vom Feinde gestattet der Kanal die gesamte Flotte in kurzer Zeit je nach Bedürfnis aus der Nordsee in die Ostsee oder aus der Ostsee in die Nordsee zu verlegen, und in der Tat kann die deutsche Kriegsflotte in 16 Stunden aus Kiel durch den Kanal nach der Helgoländer Bucht gelangen und sich dort mit dem von Wilhelmshaven hier ansegelnden Geschwader vereinigen. Im Rechnungsjahr 1903 wurde der Kanal im ganzen von 32,038 Schiffen zu 4,990,287 Reg. –Ton. benutzt, davon 15,356 Schiffe zu 2,156,577 Reg. –Ton. in der Richtung Brunsbüttel-Holtenau und 16,682 Schiffe zu 2,833,710 Reg. –Ton. in umgekehrter Richtung. Die Kanalgebühren beliefen sich auf 2,414,498 Mk., gegen 883,639 Mk. im J. 1896 und 1,787,370 Mk. im J. 1899. Vom Gesamtverkehr entfielen 59,2 Proz. des Raumgehalts auf deutsche Schiffe, 10,17 auf dänische, 9,01 auf britische, 6,85 auf russische, 5,69 auf schwedische und 5,54 Proz. auf niederländische Schiffe. Den Betrieb des Kanals leitet das kaiserliche Kanalamt in Kiel (Betriebsordnung vom Januar 1896). – Das Streben, Nord- und Ostsee durch eine der Seeschiffahrt dienende Wasserstraße zu verbinden, ist uralt. Bis in das 14. Jahrh. gehen die ältesten Angaben zurück, die von den Versuchen einer solchen Verbindung Zeugnis geben. Nicht weniger als 16 solcher Pläne sind seit dem 16. Jahrh. zu verzeichnen, von denen 9 in die Zeit von 1863–81 fallen. Auch Wallenstein faßte 1626 den Plan einer solchen Verbindung. 1784 ließ König Christian VII. von Dänemark den Eiderkanal erbauen. Seine Wassertiefe betrug nur 3,5 m, seine obere Breite nur 31 m, so daß ihn nur die kleinsten Kanonen- und Torpedoboote benutzen konnten. Gegen Ende der 1870er Jahre ließ die preußische Regierung Untersuchungen darüber anstellen, ob dieser Kanal sich in einen den Bedürfnissen des Handelsverkehrs und der Kriegsflotte entsprechenden Stand werde setzen lassen. Die Untersuchungen ergaben, daß dieser Plan unausführbar war. 1878 verfocht der Hamburger Schiffsreeder Dahlström das Projekt eines Kanals von Brunsbüttel über Rendsburg nach Kiel. Die Regierung erteilte ihm die Erlaubnis zu den Vorarbeiten. Dieselben wurden von Dahlström und dem Wasserbauinspektor Boden bis 1881 vollendet und dann der Regierung eingereicht, sie haben die Grundlage zu dem jetzt zur Ausführung gelangten Reichsprojekt des Kaiser Wilhelm-Kanals gebildet. Vgl. Beseke, Der Nordostseekanal, seine Entstehungsgeschichte, sein Bau etc. (Kiel 1893); Sartori, Der Nordostseekanal und die deutschen Seehäfen (Berl. 1894); »Der Nordostseekanal« (Festschrift, hrsg. von Löwe, das. 1895); Fülscher, Der Bau des Kaiser Wilhelm-Kanals (das. 1898, Hauptwerk).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 440-441.
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