Neotropische Region

[512] Neotropische Region (hierzu Tafel »Neotropische Fauna«), tiergeographische Region, umfaßt Zentral- und Südamerika nebst den Antillen, Bahamainseln und den andern im Karibischen Meer gelegenen Inselgruppen. Sie ist nordwärts von der nearktischen Region begrenzt, doch geht sie in den Wüsten und Prärien Nordmexikos in diese über. Die südlichsten Teile der Region, Feuerland und die Falklandinseln, tragen einen antarktischen Charakter. Der topographische und klimatische Charakter der Region ist nach ihren einzelnen Teilen sehr verschieden. Der festländische Teil Zentralamerikas enthält in Mexiko Wüsteneien und Steppen, besteht aber im übrigen fast ausschließlich aus Hochebenen und mächtigen gebirgigen Erhebungen, die sich an der ganzen Westküste Südamerikas fortsetzen. Dieses besitzt ein reiches Wassernetz, und die Täler der Riesenströme zeigen eine tropische Urwaldvegetation; im S. aber dehnen sich weit hin gewaltige, den Prärien Nordamerikas ähnliche Ebenen und Wüsteneien aus, die Pampas Argentiniens und die Sandebenen Patagoniens. Einen ganz bestimmten, vom Festland verschiedenen physikalischen Charakter endlich besitzen die zur Region gehörigen Inseln des Karibischen Meeres. Diesen physikalischen Unterschieden entsprechend zerfällt die n. R. in vier Subregionen mit wesentlich verschiedener Fauna: die mexikanische, die Antillen- oder westindische, die brasilische und die patagonische oder chilenische Subregion. Die mexikanische Subregion umfaßt das festländische Zentralamerika; hier finden sich neben charakteristisch neotropischen Tieren (s. unten: brasilische Subregion) auch nearktische Einwanderer. Spitzmäuse gehen bis auf das Hochplateau von Guatemala, während sonst Insektenfresser überhaupt nur noch auf den Antillen vorkommen, in der übrigen Region aber fehlen; auch der Fuchs geht noch in diese Subregion. Als bemerkenswert für die mexikanische Subregion sind zu erwähnen: das Katzenfrett, der Bergtapir, der Quesal (Colurus) und die Krusteneidechse (Heloderma), die einzige giftige Eidechse. In der Subregion der Antillen fehlen alle größern Säugetiere, dagegen sind die Nager zahlreich vertreten und finden sich in charakteristischen baumbewohnenden Arten. Eine Gattung großer Insektenfresser (Schlitzrüßler) auf Cuba und Haïti findet ihre nächsten Verwandten in Madagaskar. Die Vogelfauna bildet ein Gemisch von nearktischen, neotropischen und einheimischen, auf die einzelnen Inseln beschränkten Formen. Die Reptilien sind sehr zahlreich und die einzelnen Arten zum Teil ebenfalls auf bestimmte Inseln beschränkt; ähnliches gilt von Fröschen und Fischen. Reiche Entwickelung zeigt die charakteristische Landmolluskenfauna, die zum Teil Beziehungen zu Afrika und Asien aufweist. Die bedeutendste Subregion ist die brasilische; sie umfaßt Südamerika vom Karibischen Meer bis zur Mündung des La Plata, mit Ausschluß des Gebirgszuges der Anden und Kordilleren, und zeigt tropischen Charakter. Hier findet sich die charakteristische neotropische Tierwelt; zahlreiche Affen, deren bekanntester der Brüllaffe (Fig. 2), von den Fledermäusen die Familie der Blattnasen (Vampir, Fig. 1); für die n. R. charakteristische Insektenfresser fehlen völlig. An der Spitze der Raubtiere stehen der an den Panther erinnernde Jaguar (Fig. 16) und der Puma oder Silberlöwe (Felis concolor), denen sich als kleinere Verwandte Eyra, Yaguarundi, Ozelot, Tigerkatze u.a. sowie verschiedene Arten Canis, Marder, Ottern etc. anschließen. Von den Mardern ist charakteristisch die Gattung Galictis und das Surilho oder Stinktier. Die Bären sind vertreten durch den Wickelbär, Krabbenwaschbär und den Rüsselbär oder Coati. Sehr charakteristisch sind die Nager, die zum Teil eher an Huftiere als an Nager erinnern, wie der Greifstachler, das Wasserschwein als größtes Nagetier, das Paka, das Aguti (Fig. 12), der Sumpfbiber, die Lanzenratte, die Kammratte, das jetzt nur im gezähmten Zustand bekannte Meerschweinchen (Fig. 13). Charakteristisch sind auch das Nabelschwein (Fig. 11) und der Tapir. Von den in Südamerika die größte Rolle spielenden Zahnarmen finden sich die meisten Arten in der brasilischen Subregion, so z. B. der Ameisenbär (Fig. 14), das große Gürtel tier (Fig. 20), das dreizehige Faultier u.a. Die Beuteltiere sind vertreten durch die Beutelratten[512] (Didelphys, Fig. 5) nebst dem Schwimmbeutler (Chironectes, Fig. 19) und die Seesäuger durch eine Delphinart in der Amazonasmündung und den Lamantin an der Nordostküste. Aus der durch Farbenpracht ausgezeichneten Vogelwelt heben wir nur hervor die Kolibris (Fig. 9), die Papageifamilien der Keilschwänze und farbenprächtigen Araras (Fig. 3), die Pfefferfresser mit dem gewaltigen Riesentukan (Fig. 6), die Tanagriden (Fig. 8), die auf die Subregion beschränkten Steißhühner (Straußhuhn, Inambu, Fig. 21). Die Reptilien sind sehr zahlreich vertreten und imponieren durch ihre Größe, wie die vielen Arten der Flußschildkröten des Amazonas. Unter den Schlangen sind die wichtigsten der gefährliche Buschmeister (Fig. 17), Anakonda und Boa. Unter den Amphibien erscheinen als Charaktertiere die Wabenkröte (Pipa, Fig. 18) und der Beutelfrosch Notodelphys, beide wegen ihrer Brutpflege bemerkenswert. Die Fischfauna ist außerordentlich reich entwickelt; zu ihr gehört unter anderm der größte Knochenfisch des süßen Wassers, Piracuru oder Arapeima. Eigentümlich sind ferner Süßwasserrochen, Zitteraale und der äußerst seltene Caramunu (Lepidosiren, Fig. 22) des Amazonas. Die Insektenwelt ist von unübertroffener Reichhaltigkeit; hervorzuheben sind große Bockkäfer und leuchtende Schnellkäfer, eigentümliche Zikaden (z. B. Laternenträger), prächtig himmelblaue Schmetterlinge (Morpho), Termiten, Vogelspinnen und einige Tausendfüßer. Überraschend reich entwickelt sind die Süßwassermollusken. Die patagonische oder chilenische Subregion umfaßt Südamerika südlich des La Plata und die ganze Anden- und Kordillerenkette von Peru bis zur Südspitze, also einesteils große wüstenartige Ebenen, anderseits eine mächtige Gebirgskette. Nach der Südspitze Amerikas oder den hohen Erhebungen der Kordilleren zu wird die Fauna immer ärmer, aber sowohl der Gebirgs- als der ebene Teil der Subregion besitzt eine Anzahl ihr eigentümliche Tiere, wie in den Anden von Peru und Bolivia einen Bär (Tremarctos) und die Hasenmaus (Lagidium), in Peru und Chile die Chinchilla. In den verschiedenen Teilen des Gebirgszuges sind die zum Teil seit alters gezähmten Lama (Fig. 10), Huanoko, Vicuña und Alpako heimisch. In Chile lebt die seltene kleine Gürtelmaus. In Ebenen der Subregion leben der Pampashirsch (Fig. 7) und als bemerkenswerte Nagetiere die Viscacha und weiter südlich der Mara (Dolichotes); ferner Gürteltiere. Von Vögeln sind charakteristisch der Kondor (Fig. 4) und der amerikanische Strauß (Rhea, Fig. 15). Die Reptilien schließen sich neotropischen Formen an, während Amphibien und Fische zurücktreten. In der Insektenwelt verschwinden die bunten Formen mit abnehmendem Reichtum, überhaupt treten düster gefärbte Arten auf.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 512-513.
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