Russische Kunst

[279] Russische Kunst (hierzu die Tafel »Russische Kultur und Kunst I und II«), die aus einem Gemisch von byzantinischen und asiatischen Stilelementen erwachsene Kunstrichtung, die sich zunächst seit dem Ende des 10. Jahrh., wo in Rußland unter Wladimir d. Gr. das Christentum eindrang, in der Baukunst für kirchliche Zwecke äußerte. Die ältesten russischen Kirchen (in Kiew, Wladimir u.a. O.) sind Abwandlungen des spätbyzantinischen Typus mit dem Hauptunterschied, daß die Kuppel nach unten zwiebelartig ausgebaucht und vergoldet wurde. In der Dekoration dieser Kirchen mischten sich byzantinische, romanische und arabische Elemente, und daraus bildete sich allmählich ein eigner Dekorationsstil, der seine Hauptwirkung in seltsam verschlungenen, wild phantastischen Linien und Bändern in Verbindung mit Sternen, Rosetten und allerlei Arabesken sucht. Dieser Dekorationsstil hat sich allmählich auf die gesamte Kunstindustrie und den gewerblichen Hausfleiß (Stickereien, Webereien u. dgl.) erstreckt und ist das Wesentliche der russischen Kunst geworden (Tafel II, Fig. 1–15). Die Spezialitäten der russischen Kunstindustrie sind außer Textilarbeiten Holzschnitzereien und Metallarbeiten jeglicher Art. Bei den Edelmetallarbeiten für kirchliche Zwecke (Tafel II, Fig. 14) hat sich der byzantinisch-romanische Stil noch am reinsten erhalten. Die russische Architektur begnügte sich bald nicht mehr mit einer Kuppel über den Kirchen, sondern gruppierte um die Hauptkuppel vier kleinere, die gleichfalls vergoldet wurden (Tafel I, Fig. 7). Je mehr der asiatische Pomp in das russische Reich eindrang, desto mehr suchte die Baukunst durch äußern Aufwand auf die Sinne zu wirken, wobei die feinere Detailbehandlung ungebührlich vernachlässigt wurde. Das klassische Beispiel für den russischen Baustil sind der Kreml in Moskau mit der Uspenskij-Kathedrale und die Wassilij-Blagennoikirche daselbst. Alte Handwerks- und Dekorationstechnik hat sich noch unverändert im russischen Holzhaus (Tafel I, Fig. 6) erhalten, dessen Urelemente aus dem Bedürfnis und dem einfachsten Werkzeug, der Holzaxt, erwachsen sind. Erst allmählich entstand aus dem Blockhaus ein reich gegliederter, verschiedenartig bedachter Bau, dem dann auch der Schmuck von Holzschnitzereien mit Bemalung zuteil wurde. Im übrigen steht die neuere r. K. in engem Zusammenhang mit der europäischen, zumal da seit Peter d. Gr. viele deutsche, französische und italienische Künstler nach Rußland gezogen wurden. Im 18. Jahrh., wo sich besonders in St. Petersburg eine reiche Bautätigkeit entfaltete, zog in die Architektur der Klassizismus ein, dem auch die 1818–58 erbaute Isaakskathedrale und die 1842–50 von Klenze erbaute neue Eremitage noch angehören, während man in neuester Zeit zum Teil mit Glück versucht hat, den heimischen Stil auf öffentliche Gebäude, Bildungsanstalten, Museen und auch auf Privatbauten zu übertragen (Tafel I, Fig. 4). Vgl. Viollet-le Duc, L'art russe (Par. 1877); Nowickij, Geschichte der russischen Kunst (russ., Moskau 1899–1902, 3 Bde.); Souslow, Monuments de l'ancienne architecture russe (Petersb. 1895–1901, 7 Bde.). – Auch Malerei und Bildhauerei machten im 18. und 19. Jahrh. die westeuropäischen Stilwandlungen durch. Die moderne Malerei steht technisch unter dem Einfluß der Franzosen, behandelt aber mit Vorliebe und zum Teil mit großer Kraft Stoffe aus dem russischen Volksleben. Vgl. auch Artikel »Malerei«, S. 179.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 279.
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