Niederländische Sprache

[935] Niederländische Sprache, diejenige Sprache deutschen Stammes, welche im größten Theile der Niederlande, in dem eigentlichen Königreiche der Niederlande durch das Friesische, in Belgien durch das Wallonische beschränkt, gesprochen wird u. wie es scheint in der Hauptsache aus einer Verschmelzung der Fränkischen u. Sächsischen Sprache hervorgegangen ist. Sprachdenkmäler aus der Zeit vor dem 12. Jahrh. haben sich nicht erhalten; für das älteste datirte Denkmal der N-n S. gilt eine Keure (Verordnung) der Stadt Brüssel vom J. 1229. Die N. S. bis herab zum 16. Jahrh. nennt man Mittelniederländisch, entsprechend dem gleichzeitigen Sprachstande in Deutschland (Mittelhochdeutsch u. Mittelniederdeutsch); bei den Franzosen hieß es Thyois, bei einheimischen Schriftstellern Dietsch, woher das bei den Engländern noch heutigen Tags gebräuchliche Dutch; Vlämisch hatte lange Zeit hindurch eine mehr nur provinzielle Bedeutung. Muster der Mittelniederländischen Schriftsprache wurde gegen Ende des 13. Jahrh. Maerlant (s.d.) Doch bald nach ihm begann die Sprache zu sinken, indem durch die burgundische Herrschaft (1363–1477) französischer Einfluß so übermächtig wurde, daß französische Formen, Wörter u. Wendungen sich überall eindrängten. Die Ausstoßung dieser fremdländischen Elemente u. ein neuer Aufschwung der Sprache erfolgte mit der Begeisterung für die religiöse u. politische Freihei:, doch nur in den nördlichen Provinzen des Landes; hier waren es vornämlich Coornhert u. Filips van Marnik, Herr von St. Aldegonde, die den nördlichen Dialekt des Nenniederländischen od. Holändischen zur Schriftsprache ausprägten, während noch Jahrhunderte der südliche Hauptdialekt des Neuniederländischen od. das Vlämische (s. Vlämische Sprache) Volksmundart blieb. Obgleich französischer Einfluß seit Ablauf des 17. Jahrh. sich wiederum der Literatur bemächtigte, so erfuhr doch die Sprache dadurch nur geringe Beeinträchtigung. Gegen Anfang des 19. Jahrh. gewann der ausgezeichnete Prosaist van der Palm als Unterrichtsminister (1799–1806) auch einen fördersamen Einfluß auf den Sprachunterricht u. trug unter Anderem wesentlich dazu bei, daß eine allgemein gültige Orthographie festgesetzt wurde, welche nach Siegenbeek's Entwurf von der Regierung officiel Bestätigung erhielt. Endlich erwachte auch in Belgien der Eifer für das Vlämische u. mit diesem das ernstere Studium der vaterländischen Sprache, welches bes. durch Männer wie Blommaert, Snellaert, Serrure, Willems gefördert wurde u. auch auf Holland anregend zurückwirkte. Es bildete sich nun auch in den nördlichen Niederlanden eine historische Schule, die auf das Mittelalter zurückgeht u. die Arbeiten Grimms u. seiner Genossen zur Basis ihrer eigenen Studien u. Forschungen nimmt. Als der bedeutendste in dieser Richtung ist Jonckbloet zu betrachten; er selbst schrieb u.a.: Over Middennederlandsche epischen versbouw (Amsterd. 1849); als Einleitung zu einem Mittelniederländischen Wörterbuche gab M. de Vries eine Proeve van Meddelnederlandschetaalzuivering. (Haarlem 1856) heraus. Zu Utrecht erscheint seit 1859 die Zeitschrift: De Taalgids, herausgeg. von A. de Jager u. L. A. te Winkel; im vorigen Jahrh. schrieben Versuche über die N. S. ten Kate (Aanleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche Sprake, 1723), Huyderoper, Pieterson, Steenwinkel u.a.; vgl. Niederländische Literatur.

Die Vocale a, e, i u. o werden im Niederländischen wie im Hochdeutschen ausgesprochen, u wie ein Zwischenlaut von ü u. ö; aa wie ā, ee wie ē, ij, (y) wie ei, oo wie ō, nu wie ü, au u. ei wie das deutsche au u. ei; eu wie ö;ie wie ie; oe wie u; ou wie an; ui wie äu; in aai, aau, eeu, ooi werden die beiden erstern gleichen Laute nach den obern Angaben aus- u. i u. u nachgesprochen; ieu wie iöü u. oei wie ui. Von den Consonanten werden bes. g wie ch, z wie s, sch getrennt (s-ch) gesprochen. Durch den Apex zeigt man den Ausfall eines d an, z.B. weêr für weder. Der Artikel ist de (der), de (die), het (das), Plural de (die). Die Declination des Hauptworts ist sehr einfach, jedes Genus hat eine Declination, von denen die des Masculinum im Sing. Gen. s, so auch im ganzen Plural annimmt, außer dem Dativ. der auf en endigt; die Feminina sind im Singular indeclinabel u. der ganze Plural nimmt s als Endung an; die Neutra endigen im Singular Gen. auf s, im Dativ auf e, der ganze Plural auf en. Das Adjectivum weicht in der Flexion etwas ab, je nachdem der Artikel dabei steht od. nicht, in ersterem Falle leuchtet noch die sogen schwache Declination des Germanischen Sprachstamms durch. Die Steigerung geschieht im Comparativ durch er, im Superlativ durch st, z.B. lang, langer, langst od. de langste. Pronomina sind aller Art vorhanden; die Personalia heißen ik ich, wij wir; gij du, gij ihr; hij er, zij sie. Die ersten Ordinalzahlen sind: een 1, twee 2, drie 3, vier 4, vijf 5, zes 6, zeven 7, acht 8, negen 9, tien 10. Das Verbum scheidet in der Flexion nach der Weise der Germanischen Sprachen (s.d.) eine schwache u. starke Form; die Endung des schwachen Präteritum ist de od. te. Der Infinitiv endigt auf en. Alle Tempora außer Präsens u. Imperfectum, u. das Passivum werden wie im Deutschen durch Hülfsverba umschrieben; diese Hülfsverba sind hebben (haben), zijn od. wezen (seyn), zullen (sollen), worden (werden). Die Construction ist der der deutschen Sprache gleich. Der Anfang des Vaterunsers lautet: Onze vader, die in de hemelen zeit, uw naamwordegeheiligt, d.i. Unser Vater, der in den Himmeln bist, dein Name werde geheiligt. Grammatiken: von Moerbeck, Lpz. 1804; Halem, Bremen 1806; Gittermann, Hann. 1810; Schröder, Oldenb. 1811; Ahn, Köln 1829; Knyper, Haag 1858; Wörterbücher: von Corn. Kiliaan, 2. Ausg. Antw. 1599, n.A. von Hasselt, 1777; Kramer (24. Aufl.), Lpz. 1787; Winkelmann, Gotha 1805; Weidenbach, Amsterdam 1803–8, 2 Thle.; Kirchhof u. Schröder, Oldenb. 1810; Neues deutsch-holländisches Wörterbuch, Zütphen 1804; von Halem, Bremen 1811; von Fleischhauer, Amsterdam 1826; von Troß u. Overmann, Emmerich 1837 etc.[935]

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 935-936.
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