Reich (Subst.)

Reich (Subst.).


1. Alles in mein Reich; Gottfried, mak de Dör tau. (Sauerland.)


2. Das gröst reich, sein selbs künig sein.Franck, I, 126a; Egenolff, 370b; Petri, II, 63; Sutor, 1023; Eiselein, 526.


3. Das heilige römische Reich hat Bestand durch die Geistlichkeit. (S. Kirche 35.) – Graf, 535, 2.

»Das heilige reich hat bestant vnd würt gehalten durch geistlichkeit.« (Hug, 51.) Das deutsche Reich bedarf dieser morschen und gefährlichen Stütze nicht. Auch die Russen haben für ihr Reich andere Säulen: Das Reich kann sicher ruhen unter den Blicken des Zaren, wenn Gott Mitwache hält. (Altmann VI, 453.)


4. Das Reich Gottes hält nicht Pauker und Geiger.Sailer, 228; Simrock, 3989.

»Es kommt ohne Geräusch und geht still, wie die Natur« seinen herrlichen Entfaltungsgang.


5. Das Reich ist der Dienstleute.Graf, 32, 47.

D.h. der Summe der selbständigen Landesherren, die keinen Herrn über sich haben als den Kaiser. Da die Fürstenthümer als Aemter betrachtet wurden, so hiessen die Landesherren Dienstleute (s.d.).

Mhd.: Daz riche ist der dinst lute. (Endemann, III, 5, 192.)


6. Das Reich soll sich mehren.Graf, 128, 346.

Um auszudrücken, dass gewisse Dinge dem Staate (d.i. dem Volke, der Gesammtgemeinde) zufallen, wie z.B. herrenloses Gut.

Mhd.: Daz rich sal ein merer sien. (Daniels, Weichbildglossen, 223, 36.)


7. Das reich und die Schwaben (s.d.) mögen sich nimmer versäumen.Meichsner, 270; Graf, 95, 183.

Gegen Güter des Staats gibt es keine Verjährung.


8. Durch das irdische Reich nimmt das heilige zu.Graf, 543, 42; Hug, 13.

Es ist ein vorzüglicher Gebrauch der irdischen Güter, durch sie die geistigen zu wahren. Die Ansicht, dass durch den Besitz des (weltlichen) Kirchenstaats die Kirche selbst gewinne (Graf, 546), dürfte sich kaum begründen lassen.


9. Ein Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird wüste.Matth. 12, 25; Schulze, 208.

Lat.: Omne regnum in se divisum desolabitur. (Wahl, I, 93.)


10. Ein Reich ohne Hafen ist ein Kamin ohne Feuer.

It.: Un reame senza porto è com' un camino senza fuoco. (Pazzaglia, 299, 1.)


11. Ein Reich ohne Recht hat nicht Bestand.

»Kein Reich auf Erden hat Bestand, es werde wie es will genannt, da erbar Scham und G'rechtigkeit nicht Platz behalten allezeit.« (Froschm., CcVb.)

Holl.: Het rijk, daar geen regt wordt gedaan, zal van't eene volk op't andere overgaan. (Harrebomée, II, 214a.)


12. Es lebe das heilige römische Reich mit sammt seinen Gliedern und allen zugleich.

Auf Schloss Babelsberg finden sich acht Reichspokale aus den Jahren 1580, 1591, 1599, 1638, 1649, 1652, 1697 und 1712. (S. Teufel.) Der obige Spruch befindet sich auf dem von 1599. (Vgl. Ueber Land und Meer, Stuttgart 1871, XXVII, 19.)


13. Grosse reich, viel sorg.Petri, II, 358.


14. Im Reich der Blinden ist der Einäugige König.Suringar, XCVI, 15; Gaal, 222.

Unter dem Unvollkommenen hat das weniger Unvollkommene den Vorzug. Man hat aber auch die Erfahrung [1601] gemacht, dass im Reiche der Thorheit die Vernunft nicht Königin, vielmehr zum Staatsverbrechen wird.

Frz.: Au royaume des aveugles les borgnes sont rois. (Gaal, 222.)

Holl.: Hij is de rijkste, die er leeft, die genoegt, met dat hij heeft. (Harrebomée, II, 221b.)

It.: In terra di ciecchi beato chi hà un occhio. (Gaal, 222.)

Lat.: Inter coecos luscus rex. (Gaal, 222.)

Ung.: Vakok között sanda a' király. (Gaal, 222.)


15. In einem Reich ohne Recht lebt es sich schlecht.

Holl.: Het rijk, daar geen regt wordt gedaan, zal van't eene volk op 't andere overgaan. (Harrebomée, II, 220b.)


16. In einem Reiche mit vielen Menschen mit zwei Augen kann ein Blinder König sein. Schles. Zeitung, 1858, S. 2636.


17. Ohne Reich ist eine Krone bleich (ohne Glanz).

Die Russen: Ohne Reich hilft auch einem Zaren die Krone nichts. (Altmann VI, 471.)


18. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, nach stifften, Clöstern vnnd geistlichen gütern, Krieg vnnd streit wird euch mit hauffen zufallen.Lehmann, 306, 36.


19. Was über dem ganzen Reiche schwebt, kann auch den Fürsten treffen.Altmann VI, 449.


20. Wenn ein Reich meint, es darff Christi nicht, so darff Christus sein noch viel weniger. Henisch, 733, 13.


21. Wenn ein Reich mit jhm selber vneins wird, so kan es nicht bestehen.Matth. 12, 25; Eyering, III, 399.

Böhm.: Království dĕlené brzo se rozpadns. (Čelakovský, 20.)


22. Wenn ein reich soll zu trümmern gehen, so hilfft weder Ehr noch Knopff.Petri, II, 653.


*23. Das Reich ist uneinig.Eiselein, 525; Simrock, 8319.

In der Schweiz: 'S Rîch ist nid einig. (Sutermeister, 77.) Von den häufigen Streitigkeiten im deutschen Reiche entlehnt, das man im südlichen Deutschland blos das Reich nannte. Man wandte die Redensart auf jede Spaltung sowol in kleinern und grössern Gesellschaften als auch in Familien an.


*24. In deinem Reich.Suringar, IC, 2.


[Zusätze und Ergänzungen]

25. Das Reich steht auf schwachen Füssen, sagte der Narr, als der Kaiser das Zipperlein hatte und hinkte.Wirth, I, 244.


26. Ein Reich, zertrennt, nimmt bald ein End'.


27. Halte fest am Reich, du kölnischer Bauer, mag es fallen süss oder sauer.

Ein Spruch des Rheinlandes, den der Abgeordnete Treitschke anführte in der Verhandlung über den Heereshaushalt in der 31. Sitzung des deutschen Reichstags (14. April 1874).


28. O römisch Reich, sieh wohl für dich, damit der Bund nicht von dir wich.Becker, Pfalz, 598.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 3. Leipzig 1873.
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