Hauser

[343] Hauser (Kaspar) ist der Name eines Menschen, über dessen Leben ein so räthselhaftes Dunkel schwebt, daß er die Aufmerksamkeit aller Zeitgenossen im höchsten Grade auf sich gezogen hat. Die durch Verstand, Scharfsinn und Einfluß ausgezeichnetsten Personen haben sich vergebens bemüht, jenes Räthsel zu lösen, und vergebens sind hohe Preise auf Enthüllung desselben ausgesetzt worden. Ein Bürger zu Nürnberg erblickt 1828 ohnweit seiner Wohnung einen bäuerlich gekleideten jungen Menschen, der ihm durch seine sonderbare Haltung auffällt. Derselbe reicht ihm einen Brief hin, welcher an einen Rittmeister von der zu Nürnberg einquartirten leichten Reiterei gerichtet ist. In dem Briefe steht: der Briefsteller sei ein armer Tagelöhner, welcher zehn Kinder habe und dem der Überbringer Dieses 1812 als neugeborenes Kind vor die Thür gelegt worden sei. Da er hiervon keine Anzeige beim Landgericht gemacht, so nenne er seinen Namen nicht, den auch der junge Bursche so wenig, wie seinen Wohnort anzugeben wisse. Übrigens habe er den Knaben, den Sohn eines armen Mädchens, christlich erzogen, auch lesen und schreiben gelehrt und derselbe wolle ein Reiter werden, wie sein Vater gewesen. Ein noch beiliegender Zettel, angeblich von der Mutter des Knaben, als sie ihn ausgesetzt, geschrieben, war offenbar erst später betrüglich angefertigt worden. Der Knabe wußte über nichts Auskunft zu geben, zeigte Unkenntniß aller, auch der gewöhnlichsten Dinge und schrieb nur den Namen Kaspar Hauser [343] auf einen Zettel, welchen Namen man ihm von nun an gab. Einzelne Worte im altbair. Dialekt waren Alles, was man aus ihm herauszubringen vermochte. Der Rittmeister, zu dem ihn jener Bürger gebracht, hatte ihn der Policei übergeben und diese hatte ihn in Verwahrung gebracht und fruchtlose Versuche mit ihm und ebenso vergebliche Untersuchungen über seine Herkunft angestellt. Indeß glaubte man aus den gemachten Beobachtungen so viel schließen zu können, daß H. seit seiner Kindheit in einem engen Gefängniß gehalten sein müßte und hier abgesondert von jeder andern menschlichen Gesellschaft, als der seines Wärters, nur mit Wasser und Brot genährt worden sei. Dieses schloß man aus der Beschaffenheit seines Körpers, namentlich aus der Zartheit und Weichheit seiner Füße, sowie aus seinem Abscheu vor allen künstlichen Speisen. Er zeigte überhaupt eine ungemeine Reizbarkeit der Nerven, beiweitem größer als bei irgend einem in der Natur und der Gesellschaft aufgewachsenen Menschen. Man erschöpfte sich in Vermuthungen. Bald sollte H. das Opfer einer schändlichen Erbschleicherei geworden, bald der Sohn einer vornehmen Dame, entsprossen aus verbotener Liebe, bald ein grausames Opfer der Politik sein. H., der große Empfänglichkeit für jede Art von Bildung zeigte, war indeß in das Haus eines gebildeten Mannes zu Nürnberg gebracht worden, und hier war es, wo nach seiner Aussage ein Mordversuch gegen ihn von einem verhüllten Mann gemacht wurde. Man fand ihn mit einer unbedeutenden Schnittwunde in der Stirn im Keller, wohin er sich verkrochen hatte. Vergebens stellten die Behörden neuerdings die emsigsten Nachforschungen nach jenem Unbekannten an. Lord Stanhope, welcher sich für das Schicksal H.'s interessirte, nahm sich nachmals seiner an und brachte ihn nach Anspach, wo er im Bureau des Appellationsgerichts arbeiten sollte. Hier zeichnete er sich eben nicht vortheilhaft aus. Das Publicum fing an, den ihm vorher so interessanten Menschen zu vergessen, als sein unerwarteter, gewaltsamer und von ihn selbst verdächtigenden Umständen begleiteter Tod plötzlich wieder Aller Augen auf ihn richtete. Ein Fremder hatte H., angeblich um ihm Nachrichten vom Lord Stanhope, auch um ihm Aufschlüsse über seine Herkunft zu geben, eingeladen, im Schloßgarten mit ihm zusammenzutreffen. Als H. kommt, übergibt ihm der Fremde Papiere, welche er lesen soll und versetzt ihm zugleich einen Dolchstich in die linke Seite. H. taumelt nach Hause, erzählt noch die Umstände seiner Ermordung und stirbt am 17. Dec. 1833. Man hat den Mörder noch nicht zu entdecken vermocht, wol aber hat man auf H. den Verdacht des Selbstmords, sowie auf seine ganze Erscheinung den einer schlau angelegten und ausgeführten Betrügerei geworfen. Zu solchem Verdachte gab unter Anderm der Umstand Veranlassung, daß man am Orte der Mordthat keine Spur vom Dagewesensein einer zweiten Person bemerkte. Aber bewiesen ist auch dieses so wenig worden, wie irgend etwas von den dunkeln Schicksalen des Unglücklichen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 343-344.
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