Landfriede

[694] Landfriede Aus der Übung der Selbstrache und des Faustrechts (s.d.) in blutigen Fehden (s.d.) ging im Mittelalter ein allgemeiner Kriegszustand hervor, in welchem sich alle bürgerliche Ordnung aufzulösen schien. Die Unordnung benutzten Viele, welche an Führung der Waffen gewöhnt waren, um theils mit einem Schein des Rechts, theils ohne denselben ein schändliches Räuberhandwerk zu treiben. Weder die Ausübung der Selbstrache, noch die Anmaßungen der auf ihren festen Burgen sicher hausenden Ritter vermochten die deutschen Könige zu bewältigen, weil ihnen das herrschende Vorurtheil entgegenstand, daß richterliche Hülfe zu suchen minder edel und ehrenhaft sei, als sich aus eigner Macht Recht zu schaffen. Dennoch waren die Herrscher ebenso wie die Kirche fortwährend bemüht, den Zustand der Selbsthülfe und bürgerlichen Unordnung immer mehr zu beschränken und allmälig einen Zustand des Rechts und der öffentlichen Sicherheit (des Friedens im Lande) herbeizuführen. Zunächst wurde durch den Gottesfrieden (s.d.) die Zeit und das Gebiet der Fehde beschränkt und Kaiser Friedrich I. brachte auf dem Reichstage zu Nürnberg 1187 einen allgemeinen Landfrieden in soweit zu Stande, daß er ein Gesetz erließ, nach welchem jede gerechte Fehde dem zu Befehdenden mindestens drei Tage vor Beginn der Feindseligkeiten angesagt werden mußte. Das Wegelagern, Abdringen von Zöllen, Geleitsgeld u. dgl. wurde in der Folge durch strenge Gesetze verboten und die gegen diese Gesetze Fehlenden wurden als Friedbrecher hart bestraft. Spätere [694] Kaiser waren bemüht, wenigstens auf gewisse Reihen von Jahren einen Landfrieden herzustellen und aufrecht zu erhalten, durch welchen alle Fehde ausgeschlossen war. Friedlichere Zeiten kamen jedoch erst, nachdem allmälig die Städte sich gehoben hatten und mit ihnen Handel und Gewerbe. Da lernte man das Glück friedlich sichern Zusammenlebens erst recht schätzen und die reichen Städte, unterstützt von den Fürsten, hatten, zu Vereinen zusammentretend, die Macht, Ruhestörer ernstlich zur Rechenschaft zu ziehen. Diesen Bündnissen mußten, um nicht hülflos gegen ihre Feinde dazustehen, auch Solche beitreten, denen die Erhaltung des bisherigen Unfugs übrigens wol mehr am Herzen lag, als der Zustand bürgerlicher Ordnung. Jene Bündnisse zur Abhaltung der Willkür, zur Aufrechthaltung allgemeiner Sicherheit wurden auch Landfrieden genannt. Die Bündnisse der Städte arteten indeß nicht selten auch aus und anstatt Schutz zu gewähren, veranlaßten sie nicht selten zu übermüthigem Trotz. Darum traten, ihre Gerechtsame zu wahren, auch Fürsten und Herren in Bündnisse und seltener standen beide Arten von Bündnissen in freundlichem als in feindlichem Verkehr. Die Könige suchten die Parteien zu vermitteln und dieser ganze Zustand der Verhältnisse hatte wenigstens die gute Folge, daß die streitenden Parteien zu ausgedehnterem Umfange anwuchsen, innerhalb dessen jede Partei bemüht war, einen rechtlich begründeten Zustand aufrecht zu halten. Albrecht II. setzte 1438 zuerst einen ewigen Landfrieden durch, jedoch nur dem Namen nach, und Friedrich III. mußte wieder nur auf gewisse Jahre den Landfrieden aufrecht zu halten trachten. Während jedes solchen Landfriedens wurden zu Bestrafung der Friedbrecher eigne Friedensgerichte niedergesetzt, bei denen ein Landfriedenshauptmann, Reichsvogt oder Landvogt den Vorsitz führte. Die Acht und meist auch der Bann trafen den Friedbrecher. Endlich war die Nothwendigkeit eines für alle Zeiten gesicherten Rechtszustandes so allgemein anerkannt worden, daß die Reichsstände selbst den Kaiser Maximilian I. auf dem Reichstage zu Worms 1495 nöthigten, einen ewigen Reichslandfrieden anzuordnen. Bevor der Landfriede gesichert wäre, weigerten sich die Reichsstände, dem Kaiser mit Geld und Waffen gegen die Türken und gegen Italien beizustehen. Es wurde bei Strafe von 2000 Mark Goldes jede Art von Selbsthülfe auf ewige Zeiten untersagt und eine alljährliche Versammlung der Stände angeordnet, in welcher die Übertretungen des Landfriedens in Untersuchung gezogen werden sollten. Auch wurde vom Kaiser und den Reichsständen ein stehendes Gericht niedergesetzt, das Reichskammergericht zu Speier und eine Reichskammergerichtsordnung erlassen. Einige Jahrzehnde lang bestand auch das Reichsregiment, eine im Namen des Kaisers mit der obersten Leitung der Reichsangelegenheiten und Bewachung des Landfriedens beauftragte Behörde. Die Bündnisse zur Aufrechthaltung des Landfriedens wurden indeß nicht überflüssig, vielmehr entstanden noch neue, denn nur durch bewaffnete Macht konnten die fehdelustigen Ritter in Zaum gehalten werden und noch bis zur Mitte des 16. Jahrh. wollten die Edelleute das Faustrecht nicht aufgeben. Mit dem deutschen Reiche ist auch das Reichskammergericht und der ewige Landfriede 1806 aufgehoben worden, doch wird der Landfriede gegenwärtig durch die kräftige Handhabung ausreichender Gesetze in den einzelnen Staaten und durch den deutschen Bund gesichert.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 694-695.
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