Studenten

[321] Studenten (die) sind nach ihrer Bestimmung die Jünger und Schüler der Künste und Wissenschaften, in denen sie während eines bestimmten Zeitraums auf den höchsten Lehr- und Bildungsanstalten, den Universitäten, in freier Wahl und Thätigkeit Unterricht empfangen, und in diesem edlern Sinne werden sie auch Musensöhne genannt. Wenn nämlich der Ausdruck studiren von Beschäftigungen gebraucht wird, denen ein Nachdenken und eine Thätigkeit des Geistes zu Grunde liegt, die unmittelbar die höhern Erkenntnisse des Geistes im Gebiete der Kunst und Wissenschaft zum Zweck hat, so wird dagegen das bei den Handwerkern und mechanischen Beschäftigungen vorkommende Nachdenken, insofern es in dieser Beziehung nur den äußern Bedürfnissen des Lebens dient, nicht »studiren« genannt werden[321] und man z.B. nicht sagen könne, daß der Handwerker bei der Verfertigung eines Geräthes und der Bauer bei der Bestellung seines Ackers studire. So wenig es nun in der wissenschaftlichen Erkenntniß eine Grenze gibt, so wenig kann man sogen, daß zu irgend einer Zeit das Studiren aufhöre; vorzugsweise aber nennt man den Zeitraum der beginnenden freiern und seiner eigentlichen Bestimmung folgenden Bildung in der Wissenschaft auf der Universität die Zeit des Studirens. Dasselbe setzt die erfoderlichen gelehrten Schulkenntnisse und den Grad sittlicher Reifheit voraus, es fängt an mit der Immatriculation oder der vom Rector oder Prorector vollzogenen Vereidigung des jungen Studirenden auf die Gesetze der Universität und der Aufnahme desselben in die Zahl der Studenten, dauert in der Regel drei Jahre, darf aber gesetzlich nicht über fünf Jahre ausgedehnt werden. Dieser Zeitraum heißt gewöhnlich die akademische Laufbahn (cursus) und der Grad des Eifers, den der Student im Fache seiner Wissenschaft beweist, macht sein Studium aus, sowie die letztere auch selbst diesen Namen führt. Nach dem Unterschiede des Studiums oder der Wissenschaft sind auch die besondern Eintheilungen der Studenten in Theologen, Juristen, Mediciner, Philosophen u.s.w. zu verstehen. Vermöge ihrer Bestimmung bilden die Studenten einen von den übrigen Classen der bürgerlichen Gesellschaft gesonderten Stand mit dem Vorrechte eigener Gesetze und einer eignen Obrigkeit, dem Universitätsgerichte, und hieraus, so wie aus dem Eigenthümlichen ihrer Sitten in Sprache, Ton, Kleidung, Umgang und geselligem Verhalten zueinander geht das Studententhum hervor, das sich im Allgemeinen in der Verachtung alles Förmlichen und jedes Zwanges und in der Aufgelegtheit zu witzigen, lustigen Streichen jeder Art charakterisirt, und in dieser Weise einen schroffen Gegensatz zu dem sogenannten Philisterthum bildet, das die Studenten auf jede Weise zu bekämpfen und aus sich zu verbannen suchen.

Wie die Universitäten, so hat auch das Studentenwesen unter dem Einflusse des jedesmaligen Zeitgeistes die mannichfaltigsten Veränderungen erlitten, und die Geschichte zeigt dasselbe in sehr verschiedenen Gestalten. Anfangs bildeten auf den deutschen Hochschulen die Studenten Abtheilungen von kleinern Gesellschaften, welche Bursen hießen, wie die Studenten selbst Burschen, Bursarien genannt wurden. Jede solche Burse war einem Magister der freien Künste zur Aufsicht übergeben, um die Studien des Einzelnen zu leiten und einzurichten und bei der Gesammtheit Fleiß, Ordnung und gute Sitten aufrecht zu erhalten. Diese von der Universität Paris stammende Einrichtung, die bei der Stiftung der Hochschulen in Deutschland zum Vorbild genommen wurde, findet noch jetzt auf den engl. Universitäten statt. Aber die Vortheile dieser Einrichtung wurden durch die weit größern Nachtheile derselben überwogen. Entweder hielten nämlich die Magister die Studenten unter einer zu schülermäßigen Aufsicht, und dies schadete der freien Entwickelung ihrer Studien, oder sie sahen dem Willen der Studenten zu sehr nach, was noch weit schlimmere Folgen hatte. Das Letztere war aber um so mehr der Fall, da die Studenten die Magister für ihr Aufseheramt, wenn es nicht etwa gestiftete Freibursen waren, bezahlen mußten, und diese, um recht viele in ihre Bursen zu bekommen, den Studenten alle Freiheiten verstatteten, oder wol gar, um des äußern Vortheils willen, denselben als Beispiel in allen Schlechtigkeiten vorangingen. So wurden die Bursen der Betreibung der Studien äußerst nachtheilig und bei dem engen Zusammenleben Vieler nahm in ihnen jede Art von Unsittlichkeit um so schneller überhand. Völlerei, Unzucht, Zänkereien, Schlägereien, Zweikämpfe, dies waren die Laster, die in ihnen im Schwange gingen und das Fortschreiten in der Wissenschaft und in den guten Sitten hinderten. An die Stelle der Bursen traten seit dem Zeitalter der Reformation die Nationen oder die Landsmannschaften, wo die Landsleute in eine engere Verbindung miteinander zusammentraten, nach eigenen Gesetzen sich einrichteten und sich aus ihrer Mitte einen Vorsteher zum gemeinsamen Oberhaupte wählten. Indeß hatten auch diese Verbindungen ihre großen Gebrechen. Es wollten nämlich die ältern Burschen die Herren spielen und die Jüngern und Neuangekommenen wurden von ihnen in einer unwürdigen Unterwürfigkeit gehalten. Diese bildeten unter dem Namen Pennale (Untergebene, Lehrlinge) eine besondere Classe, wogegen sich die ältern Burschen Schoristen (Aufseher, Präceptoren) nannten. Die Pennale mußten den Schoristen die niedrigsten Dienste erweisen und dabei noch Schimpf und selbst Mishandlungen erdulden. Dieses Unwesen, das man Pennalismus (s.d.) nannte, hörte erst zu Anfang des 18. Jahrh. auf, als durch die Gesetze der Regierungen die Nationen verboten und aufgelöst wurden. Da jedoch ein engeres Zusammenleben immer noch für Viele Bedürfniß blieb, so entstanden die geheimen Verbindungen oder die Orden. Hier waren die Vorsteher die Senioren, die Neulinge die Füchse, und über Sachen der Ehre, deren Verletzung, Verlust und Wiedergewinnung bildete sich bei ihnen ein stehendes Gesetzbuch, Comment genannt. Wie aber die Orden, die im Verhältniß zu den übrigen Studenten immer nur sehr wenig Mitglieder zählten, ausarteten und Herrschsucht, Scandalsucht, Renommisterei, Roheit, Stolz und Anmaßung als ihre Schattenseiten bemerkbar wurden, so verloren sie auch den Beifall bei den Studirenden und mußten zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts den neuern Verbindungen der Landsmannschaften oder der Corps weichen. Diese waren aber mehr dem Namen nach Landsmannschaften, als wirkliche Verbindungen von Landsleuten, und das bunte Gemisch ihrer Namen war im Kleinen ein trauriges Abbild des unvereinigten und in Parteien zerrissenen deutschen Vaterlandes. Bald waren es auch nicht blos vorhandene deutsche Volksstämme, nach denen sich dieselben, wie die Sachsen, Märker, Westfalen, Hessen u.s.w. benannten, auch die altdeutschen Völker der Teutonen, Markomannen, Cherusker, Alemannen u.s.w. fanden in diesen Studentenverbindungen ihre kleinen Repräsentanten. Ein entartetes Studententhum, Parteisucht, Zweikämpfe im Einzelnen und ganzer Verbindungen miteinander, Anmaßlichkeit gegen die Füchse und Nichtverbündeten (Finken), dabei die auffallendsten Zeichen eines unsittlichen Lebens: dies waren auch hier die wesentlichen Grundzüge, und nur wer in einer der genannten Beziehungen sich auszeichnete, gelangte zu dem Ehrennamen eines Haupthahns oder Muckers. Im Corps führte der Senior das Wort, ihm zur Seite standen die Corpsburschen, und diese ergänzten sich aus den Füchsen oder Renoncen. Die vereinigten Senioren bildeten den Seniorenconvent, der in gemeinsamen Verbindungsangelegenheiten, [322] bei öffentlichen Aufzügen, Verrufserklärungen u.s.w. Beschlüsse faßte und überall das höchste Ansehen hatte Der in seinen Bestimmungen unverletzliche Comment umfaßte das ganze äußere Leben des Verbündeten. Nach demselben waren »dumm, dummer Junge« die allgemeinsten Beleidigungen zur Herausfoderung oder der Sturz, dagegen hatten Ausdrücke, wie Pferd, Ochse, als auf thierische Kraft und Stärke hinweisend, nichts Ehrenrühriges. Als eine Verbindung anderer Art trat seit der Feier des Wartburgfestes 1817 die Burschenschaft (s.d.) den Landsmannschaften gegenüber. Nach ihrem Namen (von Bursche, der früher allgemeinen Bezeichnung des Studenten) umfaßte sie alle Studenten, weil alle sich als Söhne des einen deutschen Vaterlands fühlten. Von Jena ausgehend, faßte sie schnell Fuß auf allen deutschen Universitäten, und hatte sich ebenso wohl des Beifalls der Studirenden als der akademischen Behörden zu erfreuen. Die Landsmannschaften wurden verringert, und ein sittlicherer, wissenschaftlicherer, vaterländischerer Geist schien auf den Universitäten aufzuleben. Aber die Burschenschaft selbst war der Fortdauer dieses guten Verhältnisses nicht gewachsen, ihre begeistertsten Glieder verloren sich in politische Schwärmerei, wodurch die Regierungen, gereizt und geschreckt, über sie Untersuchungen verhängten und ihnen das öffentliche Vertrauen raubten. Trotz dieser Ungunst des Publicums und ihres öffentlichen Verbots von Seiten der Regierungen gewann sie aufs Neue wieder Bedeutung und Umfang, bis in der Folge einerseits die politische Abenteuerlichkeit eines Theils ihrer Glieder, andererseits ein hohles Streben nach dem Scheine deutscher Kraft und Sitten (Deutschthümelei) zeigten, daß auch von ihr das Heil für das Studentenwesen nicht zu erwarten sei. In der That war auch die Burschenschaft vor der Zeit ihrer Auflösung auf manchen Universitäten so entartet, daß sie sich nur dem Namen nach von den Landsmannschaften unterschied. Gegenwärtig sind laut den Beschlüssen des Bundestags und der Regierungen alle Verbindungen verboten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 321-323.
Lizenz:
Faksimiles:
321 | 322 | 323
Kategorien:

Buchempfehlung

Klingemann, August

Die Nachtwachen des Bonaventura

Die Nachtwachen des Bonaventura

Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon