Turniere

Turniere

[502] Turniere (die) waren nach bestimmten Gesetzen gehaltene, festliche und zuweilen mit außerordentlichem Gepränge und Aufwande verbundene, öffentliche Kampfspiele der Ritter im Mittelalter.

Sie wurden sowol für sich als festliche Waffenübung, als auch bei Gelegenheit anderer Freudenfeste an fürstl. Höfen und von reichen Edelleuten veranstaltet, und man focht dabei in der frühesten Zeit truppweise, später Mann gegen Mann, mit Kolben, Schwert oder Lanze und zu Pferde wie zu Fuß. Allgemein üblich wurde der Name Turnier erst seit dem 12. Jahrh. für diese weit ältern Kampfspiele, deren Ursprung man verschiedenartig und selbst von den Arabern herzuleiten versucht hat. Sie sind aber wol als die mit dem Ritterthum (s.d.) erfolgte Ausbildung uralter germanischer Kampfspiele anzusehen, und selbst für den Namen bietet sich die Ableitung von dem altdeutschen »Turn«, drehen und schwenken; auch im Isländischen findet sich der Ausdruck »Turnreite« für Kampfspiel. König Heinrich I., der Vogler, erneuerte vielleicht oder beförderte doch ganz besonders die von Alters her üblichen Kampfspiele. Das erste große Turnier soll zu Magdeburg im J. 1036 gehalten worden sein, und zu Ende des 12. Jahrh. hatten sich die deutschen Ritter in vier große Turniergesellschaften, die rheinische, bairische, schwäbische und fränkische getheilt, welche sich später wegen der zu großen Zahl jede wieder in drei Theile schieden, von welchen jeder sein Abzeichen hatte. An der Spitze derselben standen als Turniervögte die Herzoge von Baiern, Schwaben, Franken und die Pfalzgrafen vom Rhein, welche diese Ämter als kais. Lehen besaßen; neben ihnen gab es noch von einem Turnier zum andern gewählte Unterturniervögte. Gesetze und Her, kommen bei den Turnieren wurden im 9.–10. Jahrh. von den franz. Rittern in der Art ausgebildet, auch dort von Gottfried von Preuilly 1066 zuerst gesammelt, daß sie seit dem 12. Jahrh. von den andern Nationen ebenfalls mehr und minder angenommen wurden. Da jedoch die Turniere oft als Gelegenheiten benutzt wurden, Rache zu nehmen und einander absichtlich zu schaden, ja ums Leben zu bringen, wie es denn auch ohnedies mitunter Todte und Schwerverletzte dabei gab, so wurden besonders von Seiten der Päpste wiederholte Verbote derselben erlassen und selbst Kirchenstrafen gegen ihre Theilnehmer verhängt, ohne daß damit mehr als eine örtliche und bald vorübergehende Wirkung erzielt werden konnte. Die gänzliche Umgestaltung des Kriegswesens und der Wehrverfassung griff entscheidender ein, indem sie den größten Theil älterer Waffenübungen nutzlos machte, und in Deutschland soll das letzte öffentliche und wirkliche Turnier nach alter Weise 1487 zu Worms begangen worden sein. Auch in England scheinen sie weit früher aufgehört zu haben als in Frankreich, wo erst der Tod König Heinrich II., welcher an einer 1559 beim Turnier erhaltenen Wunde starb, diesen Kampfspielen ein Ziel setzte.

Die öffentlichen Turniere wurden in Deutschland meist auf Märkten oder andern freien Plätzen der Städte gehalten; in Frankreich fanden sie gewöhnlich im Freien auf dazu besonders geebneten Räumen statt. Um diese Turnierplätze wurden Schranken und Tribunen für die Damen und vornehmen Zuschauer, sowie für die aus erfahrenen Rittern gewählten Kampfrichter erbaut. Die Einladungen zu den Turnieren erfolgte durch Herolde, theils durch Überbringung offener Schreiben an bestimmte Personen, theils durch anderweitige Auffoderung zur Theilnahme an alle Turnierfähige. Zur Turnierfähigkeit wurde nämlich früher die eheliche Abkunft aus altem, ritterbürtigem Geschlechte, und in Deutschland wenigstens vier ebenbürtige Ahnen gefodert, sowie ein unbescholtener öffentlicher wie häuslicher Lebenswandel. Man durfte sich mit keiner bürgerlichen Frau verheirathet, sein Wort nicht gebrochen, den Landfrieden nicht verletzt, keine städtischen Bürgerpflichten übernommen haben, nicht Handel und Gewerbe treiben und in keiner Stadt wohnen. Später ward indeß Neugeadelten vom Kaiser auch das Recht zur Theilnahme an Turnieren mit verliehen. Vor dem Tage des Turniers fand die öffentliche Ausstellung der Schilde oder Wappen mit den Helmkleinodien (die Wappen-und Helmschau) der Theilnehmer statt, damit Jeder anbringen könne, was er gegen Turnierfähigkeit des Einen oder Andern einzuwenden habe. Als Beweis für dieselbe galt die vorhandene Einzeichnung eines Vorfahren in das Verzeichniß der Theilnehmer an einem ältern Turnier oder die Aufweisung eines Turnierbriefs, d.h. der vom Turniervogt ausgestellten Bescheinigung, welche jeder Theilnehmer an einem Turniere nach demselben darüber erhielt. Über die aus irgend einem Grunde bestrittene Turnierfähigkeit eines Ritters entschied das Turniergericht, welches aus den Turniervögten, den Herolden, den Grieswärteln (Kreiswärtern und Stäblern, weil sie durch lange Stäbe ausgezeichnet waren und die nächste Beaufsichtigung des Kampfplatzes und des Kampfs über sich hatten), auch einigen Damen bestand. An den Schranken waren ringsum die Turnier- oder Prügelknechte vertheilt, welche mit Prügeln bewaffnet waren und das zuschauende Volk in Ordnung und von Unfug abhalten mußten. Am Tage vor dem eigentlichen Turniere ward der Kampfplatz durch ein Knappenturnier gleichsam erprobt, wobei leichtere Waffen gebraucht wurden und die Sieger auch Preise erhielten. Zum Turnier der Ritter zogen diese paarweise in prunkenden Rüstungen und bei Trompetenschall auf den Kampfplatz, neigten die Lanzen vor den vom Festgeber und von den Damen eingenommenen Plätzen und stellten sich hinter als Schranken ausgespannten Seilen auf. Waren hier Waffen und Rüstungen untersucht und den Turniergesetzen gemäß befunden worden, so hob das Turnier an. Zum Kampfe mit Lanzen, der auch blos Stechen oder Lanzenbrechen genannt wurde, bediente man sich solcher ohne eiserne Spitze. Er fand frei oder über Schranken statt, wie die Abbildung darstellt, wo die Kämpfer zu beiden Seiten einer auf dem Turnierplatze errichteten niedern Schranke gegeneinander ansprengten und sich vom Pferde zu stoßen oder die Lanze aneinander zu zerbrechen suchten, aber blos Kopf, Brust oder Schild des Gegners zum Ziele des Stoßes nehmen, auch die Turnierrosse durchaus nicht verletzen durften. Nach beendigtem Kampfspiele wurden die den Siegern ausgesetzten Preise, der sogenannte Turnierdank, von dazu bestimmten Frauen auf feierliche Weise ausgetheilt. Sie bestanden in kostbaren Waffenstücken, Kleinodien, Kränzen und bei den nachher oft folgenden Gastmälern und Bällen hatten die Sieger die vornehmsten Plätze und andere Ehrenrechte. Nach den Aufhören der Turniere kamen die von ihnen verdrängt gewesenen Carrousels (s.d.) wieder auf; auch ward hin und wieder als außerordentliche Festlichkeit an Höfen ein turnierartiges Kampfspiel veranstaltet, wie z.B. 1709 unter August II. auf dem Markte zu Dresden, bei dem Offiziere von gleichem Range mit Lanze und Schwert zu Fuß gegeneinander turnierten. Das neueste Fest der Art ward im Aug. 1839 vom Lord Eglington auf seinem Schlosse in Schottland veranstaltet und soll einen Aufwand von 20–30,000 Pf. St. verursacht haben. Ein großer Theil des vornehmsten Adels war dabei betheiligt und die Vorbereitungen dazu wurden seit einem Jahre getroffen. Das Fest verunglückte aber wegen Regenwetter fast gänzlich.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 502-504.
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