Augier

[112] Augier (spr. ōschiē), Emile, der bedeutendste Dichter des modernen französischen Theaters, geb. 17. Sept. 1820 in Valence an der Rhone (mütterlicherseits Enkel von Pigault-Lebrun), gest. 26. Okt. 1889 in seinem Landhaus zu Croissy bei St.-Germain-en-Laye. Im J. 1841 kam sein erstes Stück, das Lustspiel »La ciguë«, das die Bekehrung eines athenischen Menschenfeindes durch die selbstlose Liebe einer schönen Sklavin behandelt, auf dem Odéontheater zur Ausführung und errang einen durchschlagenden Erfolg. Zugleich eröffnete es ihm die Pforten des Théâtre-Français, auf dem er zunächst »Un homme de bien« (1845), sodann zwei seiner Hauptwerke: »L'aventurière« (1848) und »Gabrielle« (1849), zur Darstellung brachte. Alle diese Stücke sind, wie von den spätern noch das für die Rachel gedichtete halb historische Schauspiel »Diane« (1852), das weniger ansprach, »Philiberte« (1853), »La jeunesse« (1858) und »Paul Forestier« (1868) in Versen geschrieben, die allerdings nichts von dem metallenen Klang und der Majestät des Victor Hugoschen Verses haben, aber einer gewissen Anmut nicht entbehren und das Studium Molières und Corneilles verraten. Die Kritik, um jene Zeit schon vorwiegend in den Händen von Romantikern, wie Th. Gautier, Vacquerie etc., konnte sich mit dem gemessenen Ton und der nach ihren Begriffen etwas spießbürgerlichen Moral Augiers nicht recht befreunden und bezeichnete die von ihm eingeschlagene Richtung als »l'école du bon sens«. A. hatte sich aber inzwischen ganz modernen Stoffen zugewendet und lieferte eine Reihe in Prosa verfaßter Stücke, worin er Gebrechen der Zeit schonungslos geißelte, wenn er darum auch einer vornehmern Behandlung, als sie durch A. Dumas in Aufnahme gekommen war, und einer idealistischern Weltanschauung nicht entsagen mochte. Diese Dramen sind: »Le gendre de M. Poirier« (mit Jules Sandeau, 1854), eine mit der köstlichsten Laune und Unbefangenheit entworfene Schilderung des Gegensatzes der Stände und heute noch ständiges Repertoirestück des Théâtre-Français; »Le mariage d'Olympe« (1855), von seinem Standpunkt aus eine Entgegnung auf die »Dame aux camélias« von Dumas; »Les lionnes pauvres« (mit Ed. Foussier, 1858) und »Les effrontés« (1861), worin A. die Geißel über die Geldgier und Genußsucht, die Gewissen- und Schamlosigkeit seiner Zeitgenossen schwingt; endlich »Le fils de Giboyer« (1862), eine Fortsetzung des letztgenannten Stückes, worin der Heuchelei und klerikalen Ränkesucht ein scharf geschliffener Spiegel vorgehalten wird. Dieselbe sittliche Strenge entwickelte A. in »La contagion« (1866), in deren abenteuerlichem Helden ganz Paris den Herzog von Morny wiedererkennen wollte, und in »Lions et renards« (1869). Die spätern großen Erfolge Augiers heißen außer dem schon 1864 gespielten »Maître Guérin«, einer von Balzac inspirierten Satire auf die Verschmitztheit gewisser Advokaten: »Paul Forestier« (s. oben); »Madame Caverlet« (1876), ein Plaidoyer für die Ehescheidung, und endlich sein Meisterwerk: »Les Fourchambault« (1879), in dem ein natürlicher Sohn seinen Vater von der Schande und dem Ruin errettet und den legitimen Sohn durch seine Großmut demütigt. Mit diesem Stück nahm A. von der Bühne Abschied und lebte fortan in der Zurückgezogenheit, auf seinen Lorbeeren ausruhend. Auch besitzt man von A. eine Oper: »Sappho« (1851), zu der Gounod die Musik schrieb, und einen Band »Poésies« (1856). A. wurde 1858 Mitglied der Akademie, 1868 Kommandeur der Ehrenlegion. Seine Dramen erschienen gesammelt in 7 Bänden als »Théâtre complet« (1889). Vgl. Pailleron, Émile A. (1889); Parigot, Émile A. (1890); »Émile A., sa famille, son temps et son œuvre, par un Valentinois« (Valence 1896); Morillot, É. A., étude biographique et critique (Grenoble 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 112.
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