Dostojéwskij

[143] Dostojéwskij, Fjodor Michajlowitsch, hervorragender russ. Romanschriftsteller, geb. 11. Nov. (30. Okt.) 1821 in Moskau als Sohn eines Arztes, gest. 9. Febr. (28. Jan.) 1881 in Petersburg, absolvierte 1843 die kaiserliche Ingenieurschule zu Petersburg und erhielt dann als Offizier eine Anstellung im Ingenieurdepartement, nahm aber schon im folgenden Jahr seinen Abschied, um ganz seinen literarischen Neigungen zu folgen. Das erste Werk, durch das er die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, war der Roman »Die armen Leute« (1846), der von seinem Talent, das in einer bemerkenswerten Begabung für die Darstellung geheimster Seelenregungen gipfelte, bereits Zeugnis ablegte. Kleinere Novellen und Erzählungen, wie: »Der Doppelgänger«, »Herr Prochartschin«, »Das schwache Herz«, »Der eifersüchtige Ehemann«, »Weiße Nächte«, »Netotschka Nezwanow«, »Der kleine Held« etc., folgten nach. Um diese Zeit wurde seine literarische Tätigkeit gewaltsam unterbrochen: in den Prozeß des Kommunisten Petraschewskij verwickelt, ward D. zu vierjähriger Sträflingsarbeit und späterm Militärdienst in Sibirien verurteilt und im Dezember 1849 dahin abgeführt. Die Thronbesteigung Alexanders II. brachte D. im Juli 1859 die Erlaubnis zur Rückkehr nach Twer, von wo er sich im Winter desselben Jahres nach Petersburg begab. Hier gründete er 1861 mit seinem Bruder Michail (s. unten) die Zeitschrift »Vremja« (»Die Zeit«), in der sein erster großer Roman: »Die Erniedrigten und Gekränkten«, erschien; dann folgten (1861–62) »Die Memoiren aus dem toten Hause« (mehrfach deutsch: 2. Aufl., Dresd. 1886, Berl. 1899), eins seiner eigentümlichsten Werke, in dem er seine Erlebnisse in Sibirien mitteilte und besonders durch die meisterhafte und ergreifende Schilderung der dort büßenden Verbrecher das Interesse in hohem Grade fesselte. Nachdem das »Vremja« 1863 verboten worden und die statt dessen 1864 gegründete »Epocha« infolge des Todes seines Bruders Michail und andrer widriger Umstände bereits im folgenden Jahr eingegangen war, schrieb D. sein Hauptwerk: »Verbrechen und Strafe« (im »Russischen Boten«, 1866; deutsch von Henckel u. d. T.: »Raskolnikow«, 3. Aufl., Leipz. 1890 u. ö.), ein großer Roman, in dem das Werden der verbrecherischen Tat und die Rückwirkung derselben[143] auf die Seele des Übeltäters mit psychologischem Tiefblick dargestellt werden. Die spätern Erzählungen des talentvollen Dichters: »Der Idiot« (1868, deutsch, Berl. 1901), »Der ewige Mann« (1870), »Teufel« (1871–72), »Der Sprößling« (1875), stehen jenem Werk nach, da D. immer mehr einem konfusen und zugleich intoleranten Mystizismus zum Opfer fiel. 1873 übernahm er die Redaktion der Zeitschrift »Graždanin« (»Staatsbürger«) des Fürsten Meschtscherskij, in der er 1876–80 das »Tagebuch eines Schriftstellers« herausgab. In demselben Jahr vollendete er den zweiten Band seines letzten Romans. »Die Gebrüder Karamasow« (im »Russischen Boten«, 1879–80; deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1901). Eine Gesamtausgabe seiner meist auch ins Deutsche übersetzten Werke erschien 1882–83 in Petersburg in 14 Bänden, eine andre das. 1892 in 12 Bänden. Vgl. A. v. Reinholdt in der »Baltischen Monatsschrift«, Bd. 29 (1882); de Vogüé in der »Revue des Deux Mondes« (1885); Derselbe, Le roman russe (2. Aufl., Par. 1888); Brandes, F. M. Dostojewskij (Berl. 1890); N. Hoffmann, M. D., eine biographische Studie (das. 1899); Mereschkowskij, Tolstoi und D. als Menschen und als Künstler (deutsche Ausg., Leipz. 1903). – Sein Bruder Michail (gest. 22. [10.] Juli 1863 in Pawlowsk) machte sich als Übersetzer von Schillers »Don Carlos« (1848) und Goethes »Reineke Fuchs« (1861) bekannt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 143-144.
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