Girondisten

[867] Girondisten (spr. schirongd-, Girondins), Name der gemäßigt republikanischen Partei in der ersten französischen Revolution, rührt daher, daß ihre Hauptwortführer aus dem Departement der Gironde waren. Zu der Gesetzgebenden Versammlung, die im Oktober 1791 zusammentrat, hatte es die Advokaten Vergniaud, Guadet, Gensonné, Grangeneuve und den Kaufmann Ducos gewählt, die durch ihre Beredsamkeit und ihre offen verkündigten republikanischen Grundsätze bald bedeutenden Einfluß gewannen. Außer Brissot und Roland und deren Anhängern schlossen sich ihnen mehrere hervorragende Mitglieder des Zentrums an, namentlich Condorcet, Fauchet, Lasource, Isnard, Kersaint und Henri Larivière, einen sehr gewichtigen Einfluß übte Madame Roland aus. Die G. nötigten den König zur Wahl eines Ministeriums aus ihrer Mitte und zur Kriegserklärung gegen Österreich und Preußen (im April 1792); sie vornehmlich waren es, welche die Verbannung aller eidweigernden Priester sowie die Bildung eines Lagers von 20,000 Mann Milizen aus allen Departements in der Nähe von Paris beantragten. Obwohl die G. den Aufstand vom 20. Juni 1792 stillschweigend gebilligt hatten, sahen ihre Führer doch endlich ein, daß durch fortgesetzte Aufreizung der untern Schichten des Volkes nicht nur alle gesetzliche Ordnung, sondern auch ihr eigner Einfluß gefährdet sei. Schon waren sie mit dem Hof in Unterhandlungen getreten, als der blutige Aufstand vom 10. Aug. und die Septembermorde der königlichen Gewalt ein Ende machten. Im Konvent, der am 21. Sept. 1792 eröffnet ward, waren die G. zwar in verstärkter Anzahl vertreten und bildeten die Rechte; aber die ihnen gegenüberstehende Partei des Bergs zählte die kühnsten und fanatischsten Revolutionäre zu ihren Mitgliedern und beherrschte den Pariser Gemeinderat. Die ganze Haltung der G. im Nationalkonvent war schwankend, widerspruchsvoll und daher erfolglos. Robespierre beschuldigte die G. föderalistischer Tendenzen und errang an der Spitze der festgeschlossenen Bergpartei stets den Sieg über die gespaltene Majorität. Die G. stimmten zwar größtenteils für den Tod des Königs, suchten ihn aber mittels eines Appells an das Volk zu retten. Während sie ihre ganze Beredsamkeit bei der Beratung der neuen republikanischen Verfassung Condorcets entfalteten, ließen sie die Macht des Pariser Pöbels heranwachsen und versäumten es nicht nur, sich mit Danton gegen Robespierre zu verbünden, sondern trieben diese sogar zum engen Bunde mit der Bergpartei. Um die Macht der Pariser Ochlokratie zu brechen, dachten sie an die [867] Gründung einer Föderativrepublik. Aber schon das Gerücht davon reizte den Pöbel gegen die G. auf, so daß die Kommune 15. April 1793 die Ausschließung von 22 G. beantragte. Am 31. Mai machten die dem Stadtrat ergebenen Nationalgarden unter Henriot einen Aufstand, umzingelten die Tuilerien, in denen der Konvent tagte, und ertrotzten 2. Juni die Verhaftung von 32 G. Die Mehrzahl derselben hatte sich inzwischen von Paris entfernt. Ein Aufstand, der hierauf in mehreren Departements ausbrach, wurde von dem Konvent mit Strenge unterdrückt. Auf den Antrag Amars genehmigte 3. Okt. der Konvent die Anklage der verhafteten und entflohenen G. vor dem Revolutionstribunal wegen Hochverrats. Obwohl sie ihre Verteidigung mit der ganzen Macht ihrer Beredsamkeit führten, wurden in der Nacht vom 30. zum 31. Okt. Gensonné, Brissot, Vergniaud, Fonfrède, Ducos, Lacaze, Lasource, Valazé, Fauchet, Sillery, Carra, Duperret, Duchâtel, Lehardy, Gardien, Boileau, Beauvais, Vigée, Duprat, Mainville und Antiboul zum Tode verurteilt und außer Valazé, der sich bei Anhörung des Urteils den Dolch in die Brust stieß, 31. Okt. der Guillotine überliefert. Auf dem Wege nach dem Grèveplatz fangen sie die Marseillaise und starben als Helden. Später wurden in Paris noch guillotiniert Coustard, Manuel, Cussy, Noël, Kersaint, Rabaut Saint-Etienne, Bernard und Mazuyer, in Bordeaux Grangeneuve, Guadet, Barbaroux und Salles, zu Brives Lidon und Chambon, zu Périgueux Valady, zu La Rochelle Dèchezeau. Rebecqui ertränkte sich in Marseille, Pétion und Buzot erdolchten sich, Condorcet nahm Gift, Roland erstach sich 15. Nov. in Rouen, nachdem seine hochherzige Frau 8. Nov. auf dem Schafott gestorben war. Im März 1795 wurden die Überlebenden unter den G. in den Konvent zurückgerufen, darunter G. Lanjuinais, Defermon, Pontécoulant, Louvet, Isnard und Larivière, wo sie einer, wenn auch gemäßigten royalistischen Reaktion huldigten. Vgl. Lamartine, Histoire des Girondins (neueste Ausg., Par. 1902, 6 Bde.; deutsch, Leipz. 1847, 8 Bde.); Granier de Cassagnac, Histoire des Girondins (2. Aufl., Par. 1862, 2 Bde.); Guadet, Les Girondins (das. 1861, 2 Bde.; neue Ausg. 1890), wozu Alary, Les Girondins par Guadet (Bordeaux 1863), zu vergleichen ist; Vatel, Charlotte Corday et les Girondins (das. 1864–72, 3 Bde.) und Recherches historiques sur les Girondins (das. 1873, 2 Bde.); Ducos, Les trois Girondines (Mad. Roland, Charlotte Corday, Mad. Bouquey) et les Girondins (das. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 867-868.
Lizenz:
Faksimiles:
867 | 868
Kategorien: