Bußtage

[506] Bußtage, 1) (Buß- u. Bettage, auch Fasttage, weil man ehedem an denselben fastete), besondere zu gottesdienstlichen Versammlungen verordnete Tage, deren Zweck ist, die Gemeinden auf sittliche Gebrechen aufmerksam zu machen u. zur Besserung zu ermuntern. Man führt den Ursprung der christlichen B. auf das jüdische Versöhnungsfest zurück. Schon in den Christenverfolgungen finden sich Spuren von B-n, u. Theodosius der Gr. verordnete bei einem Erdbeben in Constantinopel, daß das Volk Buße thue. Bei unglücklichen Zeitereignissen[506] ordnete 452 der Bischof Mamertus in Vienne Tage zu öffentlichen gemeinsamen Gebeten um Abwendung derselben an, z.B. gegen Hagel (Hagelfeier), u. eine Synode in Orleans im 6. Jahrh. verordnete eine jährliche Feier dieser Rogationes od. Supplicationes, u. zwar wie Mamertus Montag, Dienstag u. Mittwoch vor Himmelfahrt. Bald wurden diese in Gallien allgemein üblich u. gingen auch nach Spanien über, wo sie nach Pfingsten gefeiert wurden, um der alten Regel der Kirche, zwischen Ostern u. Pfingsten nicht zu fasten, treu zu bleiben. Die Päpste Gregor IV. u. Martin I. im 7. Jahrh. befahlen für bestimmte Zeiten des Jahres B., außer denen noch andere in allen folgenden Jahrh. in den verschiedenen Ländern u. Orten bei traurigen u. unglücklichen Zeitereignissen, die man für eine Strafe Gottes hielt, angeordnet wurden. Noch jetzt sind sie als Bitttage od., wenn sie mit Processionen verbunden sind, Bittgänge (Supplicationes, Litaniae) in der Katholischen Kirche gewöhnlich; die ordentlichen sind: der größere Bittgang am St. Marcusfeste (25. April) u. die drei kleineren die drei Tage vor Christi Himmelfahrt. Bei den Protestanten stritt man Anfangs über die Beibehaltung der B. In dem protestantischen NDeutschland wurde das moderne Bußtagswesen seit der Mitte des 17. Jahrh. eingerichtet. Zuerst wurden für ganze Territorien wegen öffentlicher Calamitäten B. ausgeschrieben (Lübeck, Königreich Sachsen); dann wurden diese B. alljährlich u. regelmäßig ausgeschrieben; gegen Ende des 17. Jahrh. wurden allenthalben feststehende regelmäßige B.- u. Bettage angeordnet; bald monatliche (Sachsen-Altenburg, Oldenburg), bald vierteljährliche (Preußen, Sachsen, Mecklenburg, Braunschweig etc.), u. zwar letztere an den Quatembertagen. Seit Ende des 18. u. Anfang des 19. Jahrh. wurde die Zahl der B., mit Ausnahme Württembergs, welches seine ursprünglichen monatlichen B.- u. Bettage beibehalten hat, theils vermindert, theils wurden sie auf andere gottesdienstliche Tage verlegt, u. gegenwärtig haben alle deutschen Kirchen nur noch einen od. zwei B. jährlich. Im Weimarischen sind zwei B., am Charfreitage u. 1. Advent; im Altenburgischen am Charfreitag u. Freitag vor dem 2. Advent; in Preußen waren bis zu Friedrich dem Gr. vier, jetzt einer, Mittwoch nach Jubilate (auch werden hier außerordentliche Provinzial-B. bei großen Calamitäten ausgeschrieben, z.B. 1854 nach der Überschwemmung in Schlesien); in Kurhessen seit 1814 einer am 1. Nov. In der englischen Hochkirche werden sie von der Regierung im Einverständniß mit dem Primas von England bei außerordentlichen Landescalamitäten u. Unfällen, so bei Seuchen, in Hungersnöthen (z.B. 1847 in Irland), Kriegszeiten (so 1854 nach der Kriegserklärung an Rußland u. 1857 nach dem Ausbruch der Revolution im britischen Ostindien) im ganzen Reiche angeordnet. Die Presbyterianer in Schottland dagegen haben jährliche B. In der Schweiz fällt der Bußtag auf einen Sonntag vor Advent. Das Anschlagen der Glocken während des Bußgebetes nach der Predigt sollte wohl die nicht im Gotteshause Gegenwärtigen zum Gebete auffordern. Die Liturgie weicht hin u. wieder von der anderer Sonntage ab, indem sonst überall an manchen Orten u. zum Theil noch jetzt die Litanei gebräuchlich ist. In mehreren Ländern sind bes. vorgeschriebene Texte zur Predigt (Bußtagstexte). Die Juden hatten zum Neujahr einen großen B. u. hofften an demselben von Gott Befreiung der Strafen zu erlangen. Sie bereiteten sich mehrere Tage durch besondere Gebete u. Gebräuche dazu vor, u. die Bußübungen dauerten 10 Tage. Der in diese fallende, mit Fasten verbundene Sabbath (Bußsabbath) wurde etwas verschieden von anderen gefeiert; 2) (Forstw.), so v.w. Waldbußtage.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 506-507.
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