Memel

[117] Memel, 1) Kreis des Regierungsbezirks Königsberg in der preußischen Provinz Preußen, umfaßt 191/5 QM. mit 44,200 Ew., am Haff; wenig Ackerbau, mehr Schifffahrt, Handel u. Bernsteinfischerei; 2) Kreisstadt u. schwache Festung mit Citadelle in einer Sandfläche, am Eingange des Kurischen Haffs u. an beiden Ufern der hier in die Ostsee mündenden Dange; besteht aus der Alt- u. Neu- (Friedrichs-) stadt u. den Vorstädten, hat Hauptzollamt, Land- u. Stadtgericht, Seegericht, Bank, 3 Kirchen u. Kapelle, guten Hafen, in welchen jährlich 14–1500 Schiffe ein- u. auslaufen (die Stadt besitzt selbst 60 Schiffe von 17,225 Last u. mehre Dampfboote), Leuchtthurm, höhere Bürger- u. Industrie- u. Navigationsschule, Krankenhaus, Rettungshaus für hülflose Kinder, Zeughaus, Börse, Schiffswerfte, Brauerei, Seifensiedereien, Bernsteindreherei, Eisengießerei, Öldampfmühlen, in der Nähe holländische Sägemühlen, lebhaften Handel mit Holz, Getreide, Flachs, Hanf, Leinsamen u. Borsten, bes. nach England, Schiffbau u. Fischerei, Freimaurerloge: Memphis; 17,000 Ew. – M., 1252 gegründet, gehörte den Schwertrittern in Livland, welche es 1313 befestigten; im 17. Jahrh. hatten sich die Schweden eine Zeit lang desselben bemächtigt;[117] hier Friede am 28. Jan. 1807 zwischen Preußen u. England (s.u. Preußisch-Russischer Krieg) u. Aufenthalt des Königs Friedrich Wilhelm III. in dieser unglücklichen Zeit; den 26. Septbr. 1852 wurde hier das sechshundertjährige Jubiläum der Gründung der Stadt gefeiert; 4. Oct. 1854 u. 8. Mai 1855 Feuersbrünste; vgl. Sammlung von Denkwürdigkeiten der Stadt M., Königsb. 1792; 3) Fluß in Ostpreußen, welcher in dem russischen Gouvernement Minsk bei Pesotschna als Niemen (Njemen) entspringt, in vorherrschend westlichem Lauf bis Grodno fließt, wo er schiffbar wird, von da die Grenze zwischen Rußland u. Polen macht, bei Kowno die Wilia empfängt, im Kreise Ragnit des Regierungsbezirks Gumbinnen auf das preußische Gebiet tritt, wo er den Namen M. erhält u. eine Breite von 1000 Fuß hat, hier links durch die Szezuppe (Schesuppe) u. rechts von der Jura verstärkt, sich 2 Meilen unterhalb Tilsit in zwei Hauptarme, Ruß (Ruft) u. Gilge genannt, u. eine Menge kleine Nebenarme theilt u. zuletzt in das Kurische Haff fließt. Die Länge seines ganzen Laufes beträgt etwa 115 Meilen. Der zwischen den beiden Hauptarmen der M. gelegene Landstrich bildet die durch ihre Fruchtbarkeit berühmte Tilsiter Niederung. Das Kanalsystem des M. ist nicht unbedeutend: der Oginskikanal verbindet die Schara mit der Jasioida (zum Pripet u. zur Wolga), der Windaukanal, die Dubissa mit der Windau u. stellt so innerhalb des russischen Gebietes eine schiffbare Verbindung des Niemen mit dem Meere her, trägt aber nur kleine Kähne. Der Kanal von Augustowo verbindet den Niemen mittelst der schiffbar gemachten Czarna Hansza mit dem See von Augustowo, dem die ebenfalls schiffbar gemachte Netta entfließt, u. bewerkstelligt so eine schiffbare Verbindung des Niemen mit chem Narew u. der Weichsel. Endlich führt der kleine Friedrichsgraben aus der Gilge, 1 Meile lang, zum schiffbaren Küstenflusse Nemonin; kurz vor dessen Mündung in das Kurische Haff geht der große Friedrichsgraben aus demselben ab u. führt, 3 Meilen lang, längs der Küste des Kurischen Haffs nach Labiau zur schiffbar gemachten Deine, einem Nebenflusse des Pregel, so daß ein directer Zusammenhang zwischen der M. u. dem Frischen Haff besteht. Diese beiden Kanäle wurden 1688–96 zur Vermeidung der gefährlichen Schifffahrt auf dem Kurischen Haff angelegt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 117-118.
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