Wenden [3]

[91] Wenden, ein Zweig der Slawen, welcher sonst in Böhmen, Schlesien, der Lausitz, Sachsen, Pommern, Brandenburg, Mecklenburg wohnte u. welcher theils von den deutschen Stämmen vertilgt od. germanisirt u. mit ihnen vermischt wurde, theils in der Lausitz, Pommern (als Kassuben) noch in seiner Nationalität fortbesteht. Gegenwärtig sind die W. (die Überreste der Polabischen Slawen) am unvermischtesten in der Ober- u. Niederlausitz, im Quellgebiete der Spree u. Schwarzen Elster, namentlich in der Gegend von Bautzen, Görlitz u. Zittau. wo noch jetzt die Wendische Sprache (s.d.) gesprochen wird u. sich wendische Sitten unverändert erhalten haben. Dieselben werden auf 150,000 Seelen berechnet, von denen nahe an 50,000 auf die Sächsische Lausitz kommen. In Steyermark u. Illyrien gibt es deren auch (dort Winden od. Slowenen genannt), überhaupt rechnet man in Deutschland, einschließlich der Nebenstämme, gegen 1 Mill., deren Zahl sich aber merklich mit den Jahren vermindert, da Viele sich in Sprache u. Sitte dem Deutschthum zuwenden. Die ältesten Wohnsitze der W. sind unbekannt. Zuerst nennt Jornandes drei Hauptstämme der W., an den nördlichen Grenzen Deutschlands, Slawen, in den oberen Weichselgegenden bis zum Dniestr, u. Anten, östlich von den Slawen bis an den Dniepr. Von ihren nördlichen Sitzen bewegten sich zuerst die W. auf der Nordostseite nach Deutschland herein in der Zeit der Völkerwanderung. Damals wurden mehre wendische Reiche gegründet, welche theils blieben, theils wieder gestürzt wurden. Gegen das Ende des 5. Jahrh.[91] gründeten wendische, mit anderen slawischen Stämmen vermischte Großkrobatien u. Großserbien, jenes in Ostböhmen, Schlesien, Lodomirien, dieses in Meißen, Westböhmen u. Mähren. Als aber durch Avaren u. Franken jene Reiche zertrümmert worden waren, tauchten neue von wendisch-slawischen Stämmen gegründete in Großmähren u. Böhmen auf. Unter den in das nordöstliche Deutschland gewanderten Stämmen der W. zeichneten sich bes. die Pommern, Ukern, Lutizer (deren Wohnsitze noch ihren Namen von jenen wendischen Stämmen haben), Wilzen (zwischen der Oder u. Elbe), Sorben (in Meißen, dem Osterland, Brandenburg), Obotriten (in Mecklenburg) aus, über welche die einzelnen Artikel nachzusehen sind. Die W. im nordöstlichen Deutschland, von denen einzelne Schwärme sich nach Frankenland u. bis in die Rheingegenden gezogen hatten, fanden an den fränkischen Königen, bes. an Karl d. Gr., einen mächtigen Gegner u. die meisten unterlagen demselben. Als in dem Karolingischen Hause häusliche Streitigkeiten ausbrachen u. die Unterthanen derselben, je weiter sie von dem Mittelpunkt des Reichs wohnten, mit desto leichterer Mühe sich frei machen konnten, versuchten es auch die W. u. es gelang ihnen auf einige Zeit. Später aber fochten die sächsischen Herzöge gegen sie, u. gegen sie wurden die Markgrafschaften Meißen, Lausitz u. Nordsachsen (Brandenburg) errichtet, welche König Heinrich I. gründete. Auf ihre Unterwerfung, welche den Sachsen die unter den Obotriten u. Wilzen herrschende Uneinigkeit erleichterte, folgte die Nöthigung zum Christenthum, welches jedoch bei ihnen keine tiefen Wurzeln schlug. Zwar errichtete auch Otto der Große mehre Bisthümer (Havelberg, Meißen, Brandenburg etc.), um die neue Lehre unter ihnen mehr auszubreiten u. zu befestigen, aber auch dieses Mittel schlug fehl, ja, sie machten sich durch das Glück ihrer Waffen von deutscher Herrschaft frei u. vernichteten alle Spuren des aufkeimenden Christenthums. Um die Mitte des 11. Jahrh. wurde der Obotritenfürst Gottschalk von mehren wendischen Stämmen als Fürst anerkannt u. gründete das Wendische Reich, s. Mecklenburg S. 48. Auch in Mitteldeutschland wurden die W. allmälig durch die Deutschen besiegt u. germanisirt, s.u. Brandenburg, Pommern, Mecklenburg, Meißen, Sachsen, Lausitz u. Pleißenland. Die Zeit des Kampfes war das 10., 11. u. spätestens das 12. Jahrh., wo alle W. durch Waffengewalt zum Christenthum bekehrt waren; vgl. Slawen u. Slowenen. Ihre Sprache u. Sitten hatten sich allein die W. in der Lausitz erhalten; auch diese wollte man im Dreißigjährigen Kriege um die letzten Reste ihrer Nationalität bringen, indem man ihnen deutsche Prediger gab, indeß seit dem 18. Jahrh. wurde die Regierung milder gegen sie u. ließ ihnen ihre Sprache. Sie treiben ausschließlich Ackerbau u. Viehzucht. Vgl. Schelz, Waren Germanische od. Slawische Völker Ureinwohner beider Lausitzen, Görlitz 1842; Gebhardi, Allgemeine Geschichte der Slawen u. W., Halle 1790 ff., 4 Bde.; Giesebrecht, Wendische Geschichten aus den Jahren 780–1182, Berl. 1843, 3 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 91-92.
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