Karl der Kühne

[555] Karl der Kühne oder der Verwegene, Herzog von Burgund 1467–77, war einer der streitbarsten Fürsten seiner Zeit und wurde als ein Sohn Philipp's des Guten und Isabellens von Portugal 1435 zu Dijon geboren. Er führte anfangs den Namen eines Grafen von Charolais und zeichnete sich schon als solcher durch Tapferkeit aus. Eine Zeit lang lebte er entfernt von dem Hofe seines Vaters in Holland, bis er ausgesöhnt mit demselben zurückkehrte und an die Spitze eines gegen den franz. König, Ludwig XI., gerichteten Bündnisses trat. Mit einem mächtigen Heere erschien er vor Paris und lieferte das Treffen von Montlheri, in welchem er zwar einen Theil des königl. Heers in die Flucht warf, aber selbst in Gefahr gerieth, getödtet oder gefangen zu werden. Nur die heldenmäßigste Tapferkeit rettete ihn. Nachdem K. 1467 seinem Vater als Herzog gefolgt war, züchtigte er zunächst die rebellischen Lütticher, ging dann nach Gent und hielt hier ein noch schwereres Strafgericht, denn die Genter hatten ihn vorher genöthigt, ihnen gewisse Freiheiten zurückzugeben, die ihnen von Philipp dem Guten entrissen worden waren. Im folgenden Jahre vermählte sich der Herzog mit Margarethe von York, einer Schwester des Königs von England. Einen neuen Einfall in Frankreich wehrte König Ludwig nur dadurch ab, daß er dem Herzoge K. die Summe von 126,000 Goldgulden auszahlte. Ludwig, welcher ebenso listig und treulos, wie K. unternehmend und verwegen war, kam nun zu gütlicher Ausgleichung zu K. nach Peronne. Aber K. erfuhr, daß, während Ludwig ihm Freundschaft heuchelte, franz. Abgeordnete die Lütticher zur Empörung aufreizten, nahm daher den König gefangen und zwang ihn, mit gegen die Empörer zu ziehen. Lüttich wurde mit Sturm genommen und den Kriegern zur Plünderung preisgegeben. Den flüchtigen König von England, Eduard IV., unterstützte [555] K. 1470 mit Geld und Schiffen, um sein Reich wiederzuerobern. Schon im folgenden Jahre brach ein neuer Krieg mit dem franz. Könige aus, in welchem sich K. durch Grausamkeit und Harte verhaßt machte. Er wurde gezwungen, einen Waffenstillstand einzugehen, brach denselben aber und verwüstete das Land jenseit der Somme. Er ging mit dem Plane um, sein Land noch weiter, besonders auch nach dem Rheine hin, zu vergrößern und dann dasselbe zu einem Königreiche zu erheben, wobei ihm der röm. deutsche Kaiser, Friedrich III., behülflich sein sollte, mit dessen Sohne, dem nachmaligen Kaiser Maximilian, die einzige Tochter K.'s, Maria, die Erbin aller seiner Besitzungen, vermählt werden sollte. In dieser Absicht kam der Kaiser mit K. 1473 in Trier zusammen, ohne daß man jedoch zu einem bestimmten Resultate gelangte, obschon K. bereits mit königlicher Pracht auftrat und alle Voranstalten zur Krönung getroffen hatte. Der Kaiser brach die Unterhandlungen ab und der in seinem Stolze gekränkte Herzog begann nun, 1474, den kölnisch-burgundischen Krieg, in welchem der Kaiser selbst mit einem Heere ihm entgegentrat. Nachdem K. 10 Monate lang Neuß vergebens belagert hatte, mußte er einen Frieden abschließen, der seinen eroberungssüchtigen und ehrgeizigen Plänen nicht entsprach. Er zog nun nach Lothringen, vollendete dessen Eroberung 1475 durch die Einnahme von Nancy und begann den Kampf mit den Schweizern durch die Eroberung von Granson, in welcher Stadt er die 800 M. starke Besatzung niedermachen ließ. Darauf wurde K. aber 1476 bei derselben Stadt in einer Schlacht völlig besiegt und ein neues Heer, mit welchem er nach der Schweiz kam, unterlag ebenso in demselben Jahre in der Schlacht bei Murten. Unter der Leitung des Herzogs von Lothringen zogen die siegreichen Schweizer vor Nancy, verrätherisch ging ein Theil von K.'s Heere zum Feinde über, aber mit einem nur 4000 M. starken Heere wagte der Herzog dennoch 1477 die Schlacht gegen den ihm mehr als fünffach überlegenen Feind. Die Burgunder wurden völlig geschlagen, K. selbst, von der Verwirrung der Flucht mit fortgerissen, stürzte mit seinem Pferde in einen Graben und wurde durch einen Lanzenstich getödtet. Erst nach einigen Tagen fand man den Leichnam, welcher durch Blut und Schmuz so entstellt war, daß man ihn nur an der Länge des Bartes und der Fingernägel für den des Herzogs erkannte. Seit der Schlacht von Murten hatte nämlich K. Bart und Nägel nicht verschnitten. K. war kampflustig, stolz, ehrgeizig und in der Wuth des Krieges grausam und hartherzig; seine Unterthanen aber behandelte er väterlich wohlwollend und hielt auf strenge Gerechtigkeit. Die Leiche des Herzogs wurde zu Nancy beigesetzt, später aber brachte sie Kaiser Karl V., der Urenkel K.'s, nach Brügge. Maria, K.'s Tochter, ward 1477 mit Kaiser Maximilian I. vermählt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 555-556.
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