Landwirtschaftliche Genossenschaften

[144] Landwirtschaftliche Genossenschaften, Vereinigungen von Landwirten zwecks gemeinsamer Förderung der Landwirtschaft, namentlich durch Anstalten zur Befriedigung des bäuerlichen Kredits sowie zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der mittlern und kleinern Besitzer. Es gibt auch l. G. mit öffentlichem Charakter, durch die der Staat gemeinwirtschaftliche Zwecke von hervorragender Bedeutung zu fördern sucht, so öffentliche Wassergenossenschaften (s. Meliorationsgenossenschaften und Wasserrecht), Waldbaugenossenschaften (s. d.), Deichgenossenschaften (s. Deich, S. 589); aber die meisten von ihnen sind freie private Vereine, sogen. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (s. Genossenschaften), und stammen meist erst aus den letzten Jahrzehnten. Viele von ihnen erstreben nur ein einzelnes Ziel; andre erstrecken ihre Tätigkeit dauernd oder vorübergehend auf mehrere Ziele, so daß sich eine scharfe Grenze zwischen den verschiedenen Arten von Genossenschaften nicht immer ziehen läßt. Im allgemeinen kann man folgende Gruppen von landwirtschaftlichen Genossenschaften unterscheiden: 1) Kreditgenossenschaften (Spar- und Darlehnskassen), 2) Bezugs- oder Konsumgenossenschaften, 9) Genossenschaften zur gemeinschaftlichen Benutzung von Betriebsmitteln, 4) Verkaufs- und Produktivgenossenschaften.

Die Bezugs- (Konsum-, Wareneinkaufs-) Genossenschaften bezwecken, den Landwirten durch gemeinsame Beschaffung von Futter- und Düngmitteln und Sämereien im großen diese Gegenstände billiger und besser zu verschaffen. Letzteres wird namentlich dadurch erreicht, daß die Verkäufer für entsprechende Lieferung Garantie zu leisten haben und die Kontrolle der Waren durch landwirtschaftliche Versuchsstationen vorgenommen wird. Am 1. Jan. 1905 bestanden im Deutschen Reich deren 1595 mit 131,955 Mitgliedern. Die Genossenschaften zur gemeinschaftlichen Benutzung von Betriebsmitteln, namentlich von Maschinen und Zuchttieren, sind wegen den mit einer solchen gemeinschaftlichen Benutzung immer verbundenen Unzuträglichkeiten verhältnismäßig wenig entwickelt. Dagegen haben die Verkaufs- und Produktivgenossenschaften eine erhebliche Ausbreitung erfahren. Ihrer Zahl nach kommen sie unmittelbar hinter den Kreditgenossenschaften. Am 1. Jan. 1905 gab es 3062 Genossenschaften mit 218,863 Mitgliedern. Die erste Stelle unter ihnen nehmen die Molkerei- und Milchverwertungsgenossenschaften ein (2661 mit 199,287 Mitgliedern), die sich entweder bloß mit dem Verkauf frischer Milch oder, und zwar der Regel nach, mit der Herstellung und dem Verkauf von Butter oder Käse beschäftigen. Außerdem gibt es noch Verwertungsgenossenschaften für Eier, frisches Obst, Traubenwein (Winzergenossenschaften, 1905: 167 mit 10,090 Mitgliedern) und für Getreide (Kornhausgenossenschaften, s. Kornhäuser und Mühlengenossenschaften), dann Tabakbau- und vereinzelte Brauerei- und Zuckerproduktivgenossenschaften. Über die landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften s. Darlehnskassenvereine.

Die Gesamtheit der landwirtschaftlichen Genossenschaften Deutschlands scheidet sich zurzeit in drei Gruppen: die erste bilden diejenigen Genossenschaften, die 1883 zu dem »Allgemeinen Verbande der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften mit dem Verwaltungssitz zu Offenbach a. M.« zusammentraten. Dieser Verband, der seit Ende 1903 den Namen »Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften« trägt, zählte 1. Jan. 1905: 10,460 Genossenschaften mit 863,032 Mitgliedern, darunter 7127 Kredit-, 1373 landwirtschaftliche Rohstoff-, 1490 landwirtschaftliche Produktivgenossenschaften. Er umfaßt 28 selbständige Landes-Provinzial- und Bezirksverbände (Revisionsverbände), 51 Zentralgenossenschaften, nämlich 23 Zentralkassen, 22 Zentralbezugsgenossenschaften, 4 Zentral-Butterverkaufs-, 2 Zentral-Viehverwertungsgenossenschaften. Die zweite Gruppe umfaßt der »Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland« zu Neuwied mit 4356 Genossenschaften, darunter 3838 Raiffeisenvereine und 494 Betriebsgenossenschaften. Daneben bestehen noch einige kleinere selbständige Verbände. Auch in den übrigen Kulturstaaten, namentlich in Dänemark und Österreich-Ungarn, haben die landwirtschaftlichen Genossenschaften in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Verbreitung erfahren. Weiteres s. Genossenschaften. Vgl. Mahlstedt, Die landwirtschaftlichen Genossenschaften und deren Vereinigung zu Verbänden (Oldenb. 1889); Haas, Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (Offenb. a. M., seit 1884); v. Mendel-Steinfels, Landwirtschaftliches Genossenschaftswesen (im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, 2. Aufl., Bd. 5, Jena 1900); [144] Schreiner, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen im Landwirtschaftsbetriebe (Biebrich 1895); Ertl und Licht, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Deutschland (Wien 1899); F Müller, Die geschichtliche Entwickelung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in Deutschland (Leipz. 1901); Neumann, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Deutschland (Stuttg. 1901); Richter, Das landwirtschaftliche Vereins- und Genossenschaftswesen (Wien 1902); Havenstein, Beiträge zum landwirtschaftlichen Schul- und Genossenschaftswesen (Bonn 1904); Kudelka, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Frankreich (Berl. 1899); Turmann, Les associations agricolesen Belgique (Par. 1903); Pudor, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen im Auslande, Bd. t: Genossenschaftswesen in den skandinavischen Ländern (Leipz. 1904); »Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften« (Offenb., seit 1895); »Jahr- und Adreßbuch der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften im Deutschen Reiche« (Berl., seit 1904); »Deutsche landwirtschaftliche Genossenschaftspresse« (Darmst., seit 1884); »Taschenbuch für l. G.« (das. 1904); »Landwirtschaftliches Genossenschaftsblatt« (Neuwied, seit 1879); »Österreichische landwirtschaftliche Genossenschaftspresse« (Wien, seit 1904). Vgl. auch die Literatur zu Artikel »Genossenschaften«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 144-145.
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