Kredīt

[614] Kredīt (lat. creditum, das Geglaubte, Anvertraute, ital. crédito, franz. crédit) ist die Befugnis zur Verwendung fremder Güter, eingeräumt auf Grund des Vertrauens, daß der Kreditnehmer die dadurch entstandenen Verbindlichkeiten seiner Zeit erfüllen werde. Dies Vertrauen kann sowohl auf dem Zutrauen zur Person und ihrer Zahlungsfähigkeit als auch auf andern Umständen (Bürgschaftsleistung, Rechte, Staatshilfe etc.) begründet sein. Die Zeit, auf die kreditiert wird, kann eine bestimmt bemessene, kürzere oder längere sein (kurzfristiger, langfristiger K.). Sie ist unbestimmt bei durch den Gläubiger nicht kündbaren Anlehen, bei denen der Schuldner (Staat) an eine bestimmte Tilgungsart sich nicht gebunden hat, dann bei dem durch den Gläubiger stets kündbaren K. (stets fällige Depositen, einlösbare Banknoten). Je nach der Person des Schuldners oder auch der Bedeutung des Kredits unterscheidet man zwischen öffentlichem und Privatkredit; ersterer ist der K. der Personen mit öffentlich-rechtlicher Stellung (Staat, Gemeinde) oder auch der durch öffentliche Kreditanstalten vermittelte K. Der K. kann die Form von Darlehen oder von Stundungen des Kaufpreises annehmen. Auch Pacht, Miete, Gebrauchsleihe werden öfters als Kreditgeschäfte bezeichnet. Der K. kann entweder als Entgelt (verzinslicher K.) oder auch ohne solches (unverzinslicher, z. B. bei Ausgabe von Banknoten) gewährt werden. Der verzinsliche Darlehnskredit schafft dem Kreditgeber eine privatwirtschaftliche Kapitalanlage. Man kann vom Standpunkte des Kreditgebers aus nach dem von ihm beabsichtigten Zweck Anlage- und Umlaufskredit unterscheiden, je nachdem der K. auf längere Zeit gegeben wird und Grundlage länger währender Rentenbezüge ist, oder nur auf kürzere Zeit zum Zweck der Erleichterung des Güterumsatzes gewährt wird. Der K. heißt Konsumtivkredit, wenn für Zwecke des Konsums, Produktivkredit, wenn für Zwecke der Produktion geliehen wird. Zwischen beiden gibt es allerdings keine scharfe Grenze (Leihen für Zwecke der technischen Ausbildung, für Zwecke der Lohnzahlung oder des eignen Unterhalts). Auf niedern Kulturstufen mit unentwickeltem Verkehr und wenig ausgedehnter Arbeitsteilung kommt fast ausschließlich der Konsumtivkredit vor, auf höherer Stufe tritt der Produktivkredit mehr in den Vordergrund. Betrachtet man die Grundlagen des Kredits, so erscheinen als solche entweder nur die guten wirtschaftlichen und moralischen Eigenschaften des Kreditnehmers, dessen Fleiß, Geschicklichkeit, Redlichkeit etc., oder noch andre Umstände, wie Bürgschaftsleistung, Einräumung von Rechten, insbes. dinglichen N echten (Hypothek, Faustpfand), äußerer Zwang rein sozialer (gesellschaftliche Achtung etc.) oder staatlicher Natur (Rechtspflege, Kreditgesetze, Art der Exekutive). Steht dem Gläubiger nur ein einfaches Forderungsrecht zu, indem der gewährte K. lediglich auf seinem Vertrauen zur Person des Schuldners und ihrer allgemeinen Vermögenslage beruht, so heißt der K. Personalkredit. Dieser kann gewährt werden, ohne daß eine schriftliche Auszeichnung stattfindet (unverbriefter K.), oder es erfolgt eine solche und zwar entweder durch den Kreditgeber (Buchkredit), oder durch den Kreditnehmer (mittels einfachen Handscheins [Chirographarkredit], oder in besonders verbindlicher Form [Wechselkredit]). Der K. ist dagegen Realkredit, wenn die Sicherheit des Gläubigers durch ein dingliches Recht an einer Sache noch besonders derart geschützt wird, daß dessen Ansprüche unberührt durch Konkurs und persönliche Forderungen sowie mehr oder weniger unabhängig von persönlichen Verhältnissen des Schuldners überhaupt bleiben. Die Sicherheit für den Gläubiger hängt dann vorzüglich von der Art des Gegenstandes (Verderblichkeit, Preisschwankungen) und von der Beleihungsgrenze ab, d. h. von dem Prozent des taxierten Wertes, bis zu dem das Pfand beliehen wird. Ist der Gegenstand, an dem ein Pfandrecht eingeräumt wird, ein Immobil (Haus, Grundstück), so heißt der K. Hypothekarkredit oder Immobiliarkredit. Auch wird als Immobiliarkredit oder Bodenkredit schlechthin der zur Förderung der Bodenwirtschaft, bez. zur Beschaffung von Anlage- und Meliorationskapital genommene K. bezeichnet. Dem Hypothekarkredit, bei dem das Pfand im Besitz des Schuldners bleibt, steht der Faustpfandkredit gegenüber, bei dem der verpfändete Gegenstand beweglich ist und in den Gewahrsam des Gläubigers übergeht. Eine Mittelstellung zwischen beiden nimmt der auf Lagerscheine (s. d.) gewährte K. ein, bei dem das bewegliche Pfand der Verfügung des Eigentümers entzogen ist. Der Faustpfandkredit (auf Waren, Effekten, Edelmetalle; vgl. Lombard) ist Mobiliarkredit. Letzterer dient vorzüglich zur Beschaffung von Betriebskapital, vornehmlich bei Handelsgeschäften. Bei den meisten Kreditierungen, insbes. des Geschäfts- und Handelsverkehrs (Handelskredit), steht die Person und ihre wirtschaftliche Lage im Vordergrund, während die übrigen Stützmittel des Kredits nicht in Anwendung kommen.

Kreditgewährungen kommen auf jeder gesellschaftlichen Entwickelungsstufe vor. Dies beruht darauf, daß oft Leistung und Gegenleistung überhaupt nicht Zug um Zug erfolgen können (längere Produktions- oder Genußdauer, Versendungen auf größere Entfernungen etc.). Seine volle Wirksamkeit entfaltet der K. freilich erst bei fortgeschrittenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Seine volkswirtschaftliche Bedeutung liegt darin, daß er Güter und Kapitalien in die Hände von Personen zu übertragen gestattet, die sie nutzbringender verwenden können als die bisherigen Eigentümer, ferner, daß er die Möglichkeit eröffnet, Defizits und Überschüsse in Raum und Zeit zu begleichen, Kräfte, Kapitalien und Befriedigungsmittel in angemessener Weise zeitlich zu verteilen und damit einen planvollen Zusammenhang aller wirtschaftlichen Maßregeln zu erzielen. Er ist eine wesentliche Bedingung eines geordneten, ununterbrochenen Tauschverkehrs und fördert eine bessere Ausnutzung vorhandener Kräfte und Mittel, indem er Konzentrierungen kleiner Kapitalteile und die Bildung großer, an den Produktionskosten sparender Unternehmungen ermöglicht. Während er zum Sparen anregt und die Bildung arbeitsfreien [614] Einkommens erleichtert, erweitert er den Spielraum der Spekulation, mindert die Schwierigkeiten, Form und Umfang der Unternehmungen dem jeweiligen Bedarf anzupassen, und gestattet erhebliche Ersparungen an Arbeit (z. B. bei Abrechnungen und beim Giroverkehr) und Kapital (Münzwesen). Infolge dieser wirtschaftlich günstigen Wirkungen des Kredits bildet sich mit Entwickelung der wirtschaftlichen Kultur auch die sogen. Kreditwirtschaft aus, d. h. der Zustand der Volkswirtschaft, bei dem verhältnismäßig viel Kreditierungen vorkommen und insbes. der Warenumsatz häufig ohne direkte Vermittelung des Metallgeldes durch Abrechnung und Überweisung etc. erfolgt.

So vorteilhaft der richtig gebrauchte K. für die Volkswirtschaft ist, so naheliegend sind die Gefahren des Mißbrauches. Er verstärkt die Macht des wirtschaftlich Starken, den er in die Lage setzt, neben dem eignen auch über fremdes Kapital zu verfügen und in noch höherm Grad auf den wirtschaftlich Schwachen zu drücken; er verleitet zu unüberlegten Ausgaben, zu zweifelhaften Unternehmungen, er gibt Gelegenheit zu schwindelhaften Gründungen und betrügerischen Manipulationen, zu Ausbeutung und Wucher. Der K. kann demnach die Wirtschaftlichkeit von Gläubiger und Schuldner untergraben; zum Teil ist es schwer, wirtschaftlichen Kreditbedarf und Kreditwürdigkeit genau zu bemessen, teils auch stehen menschliche Schwäche, Mangel an Personal- und Sachkenntnis, Eigennutz und Böswilligkeit einer gedeihlichen Entwickelung der Kreditverhältnisse im Wege. Zunächst wirken diese Ursachen schädlich für die Beteiligten. Die weitere Wirkung ist aber die, daß nicht allein, wenn ungesunde Kreditierungen in größerer Zahl vorkommen, das allgemeine Vertrauen erschüttert wird, sondern, daß auch Kapital und Arbeitskräfte brachgelegt und bereits vorhandene Kapitalien und geschaffene wirtschaftliche Anstalten vernichtet werden. Alsdann führt der K., statt zu planmäßiger Verknüpfung wirtschaftlicher Erscheinungen in Raum und Zeit, zu Stockung und Unordnung in Gewerbe und Haushalt (so insbes. bei der ungesunden Borgwirtschaft im kleinen Verkehr) und nicht selten zu bedenklichen Erschütterungen der ganzen Volkswirtschaft, zu Krach und Handelskrisen (s. d.).

Mittel zur Beseitigung dieser Übelstände und zur Minderung ihrer Wirkung sind eine gedeihliche Organisation des Kredits, Anstalten, welche die Prüfung der Kreditwürdigkeit erleichtern, die Barzahlung fördern und gegen drohende Verluste sichern, wie die Schutzgemeinschaften (s. d.), die Auskunftsbureaus (s. Auskunft), die unter dem Namen Kreditreform neuerdings gebildeten Vereine (vgl. Kreditreformvereine), die es sich zur Aufgabe gestellt haben, auf dem Wege des Mahnverfahrens Außenstände von schlechten Schuldnern einzuziehen und Auskunft über die Kreditwürdigkeit an Mitglieder zu erteilen, die Gewährung von Rabatt bei Barzahlung (vgl. Rabattsparanstalt) etc., sodann eine gute Ordnung des Kreditrechts, das einerseits den Gläubiger durch schleunige Erledigung der Schuldklagen, schnelle Durchführung von Zwangsvollstreckungen etc. sichert, anderseits den Schuldner gegen Ausbeutung durch den Gläubiger schützt (vgl. Wucher). Allerdings werden alle Kreditreformbestrebungen nur geringen Erfolg haben, wenn nicht eine tüchtige Erziehung zu sittlich-wirtschaftlicher Kraft mit ihnen Hand in Hand geht. Über den gewerblichen K. s. die Artikel »Crédit mobilier« und »Genossenschaften«, S. 573, über den landwirtschaftlichen K. den folgenden Artikel. Vgl. Nebenius, Der öffentliche K. (Karlsr. 1820, 2. Aufl. 1829); Knies, Geld und K. (Berl. 1876–79, 2 Bde.); Lexis, Artikel K. im »Handwörterbuch der Staatswissenschaft«, Bd. 5 (2. Aufl., Jena 1900); v. Komorzynski, Die nationalökonomische Lehre vom K. (Innsbr. 1903).

In der Finanzverwaltung bezeichnet man mit K. die dem Finanzministerium gesetzlich gegebene Vollmacht, für bestimmte Verwaltungsmaßregeln, deren Kosten nur annähernd veranschlagt werden konnten, Summen bis zu einer vom Budget bestimmten Höhe aus den Einnahmen zu bewilligen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 614-615.
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