Nebenbahnen

[485] Nebenbahnen (Sekundärbahnen, Vizinalbahnen, Lokalbahnen, Zweigbahnen), Eisenbahnlinien, welche die seitlich der Haupt- oder Vollbahnen belegenen Landesteile dem Eisenbahnverkehr erschließen, also hauptsächlich dem örtlichen (im Gegensatz zum durchgehenden) Verkehr dienen. Die geringere Inanspruchnahme und Rentabilität der N. ermöglichen und erfordern die größte Einfachheit bei ihrem Bau, dem Betrieb und der Verwaltung. Es können daher an die N. weder in bezug auf Bequemlichkeit noch auf Geschwindigkeit dieselben Ansprüche gestellt werden wie bei den Hauptbahnen. Da dem Verkehrsbedürfnis durch leichte Züge Genüge geschehen kann, so lassen sich durch leichtern Unterbau und durch Vermeidung kostspieliger Hochbauten und Aufschüttungen erhebliche Summen bei der Bauausführung ersparen. Ost werden die vorhandenen Chausseen mit geringen Nachhilfen zum Legen der Schienengleise benutzt. Wenn nicht überwiegende Interessen dafür sprechen, das rollende Betriebsmaterial der Hauptbahn auf die anschließende Nebenbahn übergehen zu lassen, läßt sich die Bahn durch Anwendung einer schmälern als der normalen Spurweite (1,435 m) noch billiger herstellen. Man unterscheidet hiernach N. mit normaler Spurweite und Schmalspurbahnen. Die geringere Fahrgeschwindigkeit auf den N. (meist 30 bis höchstens 40 km in der Stunde) ermöglicht verschiedene Erleichterungen betriebstechnischer Art, z. B. in der Bewachung des Bahnkörpers (Übergänge), den Signalvorrichtungen, der Zugbildung etc. In Berücksichtigung ihrer geringern wirtschaftlichen Bedeutung und Leistungsfähigkeit sind den N. ferner manche Erleichterungen in ihrem Verhältnis zu andern Zweigen der Staatsverwaltung (Post) zugestanden worden. Das zu verzinsende Anlagekapital wird bei Herstellung von N. meist dadurch nach Möglichkeit verringert, daß von den nächstbeteiligten Interessenten (Personen, Gemeinde-, Kreis-, Provinzialverbänden) mindestens kostenlose Hergabe des für den Bahnkörper und die zugehörigen baulichen Anlagen erforderlichen Grund und Bodens, oft auch außerdem noch ein unverzinslicher Zuschuß zu den Baukosten (à fonds perdu) verlangt wird (s. Eisenbahnsubventionen). Bei Herstellung von N. durch Privatunternehmer wird ein solcher Zuschuß auch wohl vom Staate geleistet. Im allgemeinen haben die N., erst nachdem die Hauptlinien im wesentlichen ausgebaut waren, eine größere Bedeutung und Ausdehnung erlangt. Der von ihnen erschlossene und geschaffene Verkehr kommt teilweise auch den Hauptlinien zugute, so daß diese auch ihrerseits ein Interesse an dem Bau von N. haben. Hieraus sowie aus dem Interesse der Gesamtheit an der[485] Erleichterung und Hebung des Verkehrs auch der ärmern Landesteile rechtfertigen sich auch die Erleichterungen und Unterstützungen, durch die der Staat die Herstellung von N. zu fördern bestrebt ist. Nur dadurch ist es möglich geworden, den privaten Unternehmungsgeist und das Privatkapital in größerm Umfang für Unternehmungen in Bewegung zu setzen, die an und für sich von vornherein wenig Aussicht auf Abwerfung eines angemessenen Geschäftsgewinnes darbieten.

In Deutschland, wo sich der Bau von N. verhältnismäßig spät entwickelt hat, bestehen hinsichtlich der von den Interessenten verlangten Beihilfen zur Herstellung staatlicher und hinsichtlich der Unterstützung (Subventionierung) privater N. aus öffentlichen Mitteln nicht durchweg einheitliche Grundsätze. In Preußen und den meisten andern Staaten ist von einer gesetzlichen Regelung abgesehen und werden die Bedingungen des Baues und der Beteiligung der Interessenten von Fall zu Fall bestimmt. In Bayern ist der Bau staatlicher N. durch Gesetz vom 28. April 1882 geregelt. In Hessen sind die Grundsätze für den Bau von N. im Gesetz vom 29. Mai 1884 niedergelegt. Bau und Betrieb der N. sind in Deutschland durch die »Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen (früher Bahnen untergeordneter Bedeutung) Deutschlands vom 5. Juli 1892«, neue Fassung von 1898, geregelt. Nachdem das Netz der N. erster Ordnung im großen und ganzen ausgebaut ist, geht man mehr und mehr zur Herstellung von N. minderer Ordnung (Lokal- und Straßenbahnen), jetzt Kleinbahnen (s. d.) genannt, über. Im Rechnungsjahr 1900 waren an N. in Deutschland im Betrieb 14,847,35 km Staats- und 2804,47 km Privatnebenbahnen; außerdem 1799,63 km Schmalspurbahnen (795,26 km Staats- und 1004,38 km Privatbahnen). Auf die preußischhessischen Staatsbahnen entfallen 10,654 km N. Die bayrischen Staatsbahnen betreiben 1746 km, die sächsischen Staatsbahnen 1225 km (einschließlich Schmalspurbahnen) und die württembergischen Staatsbahnen 158 km N. Von 1890–1900 ist das preußische Staatsbahnnetz um rund 3900 km N. erweitert worden mit einem Baukostenaufwand von 500 Mill. Mk. Weitere Nebenbahnlinien sind im Bau und in Vorbereitung.

Auch in Österreich hat die Herstellung von N. in größerm Umfang erst verhältnismäßig spät begonnen. Wesentlich gefördert wurde sie durch das Gesetz vom 25. Mai 1880, das die Regierung ermächtigte, bei Konzessionierung neuer Lokalbahnen in bezug auf die Vorarbeiten, den Bau und die Ausrüstung alle tunlichen Erleichterungen zu gewähren und auch in bezug auf den Betrieb, die Tarife etc. von den für Vollbahnen bestehenden Bestimmungen Beschränkungen eintreten zu lassen. 1887 wurde ein Lokalbahngesetz erlassen, an dessen Stelle 1. Jan. 1895 ein neues Gesetz getreten ist. Dieses hat den Schwerpunkt der Förderung des Lokalbahnwesens in die Landtage verlegt. Besonders wirksam erwies sich das tatkräftige Vorgehen des Landtags in Steiermark mit dem Gesetz vom 11. Febr. 1890; hierdurch wurden auch andre Provinzen zur planmäßigen Förderung des Lokalbahnwesens angeregt. Ende 1900 waren im Staatsbetrieb 3900, im Privatbetrieb 1069, zusammen 4969 km. In Ungarn ist der Bau und Betrieb von N. gleichfalls durch besonderes Gesetz (vom 13. Juni 1880 und 24. Febr. 1888) in ähnlicher Weise wie in Österreich unter Gewährung von Erleichterungen beim Bau und Betrieb, Steuerbefreiung etc., aber auch unter weitgehender Beteiligung des Staates, der Munizipien und Gemeinden geregelt. Ende 1900 waren im Staatsbetrieb 7298, im Privatbetrieb 976, zusammen 8274 km.

In Frankreich ist schon Anfang der 1860er Jahre mit der Herstellung von N. begonnen worden. Nachdem die durch Gesetz vom 12. Juli 1865 gebotenen Erleichterungen sich als unzureichend erwiesen hatten, wurde 11. Juni 1880 ein neues Gesetz erlassen, das unter Voraussetzung der Beteiligung von Departements und Gemeinden staatliche Zuschüsse zu dem Ertrage der N. vorsah. Auch dieses Gesetz hatte nicht den gewünschten Erfolg. Ein von der Regierung 1894 vorgelegter Gesetzentwurf bezweckt vor allem stärkere Heranziehung der Unternehmer zu den Bau- und Betriebskosten und damit Hebung ihres Interesses an der Entwickelung des Verkehrs. 1899 besaß Frankreich 8177 km N. (Lokal- und Straßenbahnen) mit zum Teil sehr unbefriedigenden Verkehrsergebnissen. In Belgien wurde auf Grund des Gesetzes vom 28. Mai 1884, verbessert durch das Gesetz vom 24. Juni 1885, unter Mithilfe des Staates, der Provinzen und Gemeinden, mit dem Bau von N. meist Schmalspurbahnen (s. Kleinbahnen), in größerm Umfang begonnen. 1901 waren 95 Linien mit 1929 km im Betrieb. In Italien waren 1900: 1211 km schmalspurige N. vorhanden, die verschiedenen Gesellschaften angehören, von denen die Gesellschaft der sardinischen N. mit 593 km vom Staate beträchtlich unterstützt wird. In Großbritannien ist durch Gesetz vom 31. Juli 1868 das Handelsamt (Board of Trade) zur Bewilligung sogen. light railways ermächtigt, aber (bei der Härte einzelner Bestimmungen) ohne nennenswerten Erfolg. Dagegen hat sich seit 1896 der Bau von Kleinbahnen (s. d.) lebhaft entwickelt. In Rußland hat man sich erst neuerdings dem Bau von N. zugewendet. Ein kaiserliches Reglement vom 14. April 1887 bestimmt die finanziellen und technischen Bedingungen für N. Ende 1900 waren an Bahnen von örtlicher Bedeutung 1237 km im Betrieb. In Spanien und Portugal suchen die Regierungen seit einer Reihe von Jahren das Interesse für N. durch Zinsbürgschaften zu unterstützen. Spanien hatte 1897: 981 km Trambahnen, Portugal 1900: 203 km Schmalspurbahnen. Vgl. Müller, Die Entwickelung der Lokalbahnen in den verschiedenen Ländern (in Schmollers »Jahrbuch«, 1891); Birk, Der Betrieb der Lokalbahnen (Wiesbad. 1900); Behrens, Buchführung u. Bilanzen bei N. etc. (Berl. 1900), und Literatur beim Artikel »Kleinbahnen«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 485-486.
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