Schulze-Delitzsch

[76] Schulze-Delitzsch, Hermann, deutscher Politiker und Begründer der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (s. Genossenschaften), geb. 29. Aug. 1808 in Delitzsch, gest. 29. April 1883 in Potsdam, studierte die Rechte, wurde 1830 Auskultator in Naumburg, 1838 Assessor am Kammergericht in Berlin und 1841 Patrimonialrichter in seiner Vaterstadt. 1848 in die preußische Nationalversammlung gewählt, schloß er sich dem linken Zentrum an und führte den Vorsitz in der Kommission zur Prüfung der Notstände im Arbeiter- und Handwerkerstand. Schon damals vertrat er die Überzeugung, daß die Kleingewerbe die Konkurrenz der Großindustrie nur bestehen könnten, wenn sie sich auf der Basis der Selbsthilfe zu gemeinsamer Beschaffung des Kapitals und der andern die Großindustrie auszeichnenden Produktionsmittel vereinigen würden. Auch der aufgelösten Zweiten Kammer von 1849 gehörte er an. Er war einer von den der Steuerverweigerung angeklagten Abgeordneten, führte aber seine Verteidigung in so glänzender Weise, daß er freigesprochen wurde. Bei Umgestaltung der preußischen Justizeinrichtungen wurde er an das Kreisgericht in Wreschen versetzt, nahm, da man ihm einen zur Herstellung seiner Gesundheit nachgesuchten Urlaub verweigerte, den Abschied aus dem Staatsdienst und zog sich nach Delitzsch zurück, wo er den ersten Vorschußverein gründete. Er widmete sich von da ab unermüdlich und mit günstigem Erfolg gemeinnützigen Bestrebungen, insbes. der Förderung des Genossenschaftswesens auf der Basis wirtschaftlicher Selbsthilfe in Deutschland. Nachdem ihm auf dem ersten Vereinstag deutscher Vorschußvereine in Weimar 1859 die Leitung des Zentralbureaus übertragen worden war, blieb er Leiter und Anwalt des Genossenschaftsverbandes bis zu seinem Tod. Am politischen Leben nahm S. seit 1861 wieder regen Anteil. Damals in das Abgeordnetenhaus gewählt, schloß er sich ebenso wie später im Reichstag, dem er seit 1867 angehörte, der Fortschrittspartei an. Eine Sammlung von 150,000 Mk., die seine Parteigenossen veranstaltet hatten, um sein gemeinnütziges Wirken zu belohnen, bestimmte er zu einer Stiftung, deren Zinsen solchen zuzuwenden seien, die sich durch öffentliches Wirken einer solchen Auszeichnung würdig gemacht haben. In Delitzsch wurde ihm 1891, in Berlin (s. Tafel »Berliner Denkmäler I«, Fig. 6) 1899 ein Denkmal errichtet. Gegen die Lassallesche Bewegung richtete er zwei Schriften: »Kapitel zu einem deutschen Arbeiterkatechismus« (Leipz. 1863) und »Die Abschaffung des geschäftlichen Risikos durch Herrn Lassalle« (das. 1866). Von seinen weitern, meist dem Genossenschaftswesen gewidmeten Schriften erwähnen wir noch: »Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter« (Leipz. 1853); »Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland« (2. Aufl., das. 1863); »Vorschuß- und Kreditvereine als Volksbanken« (7. Aufl., das. 1904); »Wanderbuch« (2. Aufl., Glogau 1859); »Anweisung für Vorschuß- und Kreditvereine« (Leipz. 1870); »Die Entwickelung des Genossenschaftswesens« (Berl. 1870); »Die Genossenschaften in einzelnen Gewerbszweigen« (mit F. Schneider, Leipz. 1873). Seit 1859 gab er den »Jahresbericht der Vorschuß- und Kreditvereine« heraus. Aus seinem Nachlaß erschien der Roman »Die Philister« (Berl. 1885, 2 Bde.). Vgl. Bernstein, Schulze-Delitzsch' Leben und Wirken (Berl. 1879).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 76.
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