Gas

[940] Gas. Die Eigenthümlichkeit der Gase, welche elastische Flüssigkeiten, Luftarten sind, besteht in dem Bestreben der kleinsten Theilchen, sich möglichst weit von einander zu entfernen, daher üben sie auf ihre Umgebung einen allseitigen Druck aus u. können auch keine freie Oberfläche haben wie die flüssigen Körper, sie sind vollkommen gestaltlos u. verbleiben nur durch äußeren Druck od. sie vollständig einschließende feste Wände in einem besonderen Raum. Dieses Bestreben der gasförmigen Körper, sich im Raum nach allen Richtungen auszudehnen, nennt man ihre Elasticität, Spannkraft, Tension od. Expansivkraft. Die Gase lassen sich ohne Veränderung ihrer wesentlichen Eigenschaften bis zu einem hohen Grad zusammendrücken. Das Volumen der Gase verhält sich umgekehrt wie der Druck, dem sie ausgesetzt sind; od.: die Dichtigkeiten[940] der Gase ist dem Druck proportional, unter welchem sie sich befinden (Mariotte'sches Gesetz). Ist daher das Volumen eines Gases unter dem Druck d (gemessen in Millimetern Quecksilber) = v, so ist es bei dem mittleren Barometerstand, also bei 760 Millim. Quecksilber

√ = d/760 v

Diese Formel dient also allgemein dazu, das bei irgend einem Barometerstand gemessene Gasvolumen auf den gewöhnlichen Druck von 760 Millim. zu reduciren, wobei noch Correctionen in Bezug auf die durch die Temperatur veranlaßte Volumenänderung vorzunehmen sind. Man unterscheidet Dämpfe u. eigentliche Gase, indem man unter Dampf den gasförmigen Zustand von Flüssigkeiten od. festen Körpern versteht; die Dämpfe unterscheiden sich von den eigentlichen Gasen dadurch, daß sie leicht wieder zu Flüssigkeiten od. festen Körpern verdichtet werden können, während die eigentlichen Gase nicht durch die gewöhnlichen Mittel condensirbar sind. Viele Gase lassen sich jedoch auch durch Anwendung eines sehr starken Drucks in Flüssigkeiten u. sogar in feste Körper verwandeln, so die Kohlensäure, schweflige Säure, Ammoniak, Cyan etc., diese nennt man coërcible Gase zum Unterschied von den incoërcibeln od. permanenten Gasen, deren Gaszustand durch die bisherigen Compressionsmittel noch nicht hat aufgehoben werden können; zu den letzteren gehören nur das Sauerstoffgas, Stickstoffgas u. Wasserstoffgas.

Viele feste Körper absorbiren die Gase in großer Menge, indem sie eine Verdichtung derselben an ihrer Oberfläche bewirken; diese Eigenschaft besitzen in hohem Grade der Platinschwamm u. frisch ausgeglühte Kohle, weil diese vermöge ihrer Porosität dem Gase eine sehr große Oberfläche darbieten. Buchsbaumkohle vermag z.B. 35 Volumen Kohlensäure, 85 Salzsäure u. 90 Ammoniak zu absorbiren; bei erhöhtem Luftdruck wird dieses Absorptionsvermögen noch bedeutender. Auf jener Eigenthümlichkeit der Kohle, Gase zu absorbiren, beruht ihre Anwendung als luftreinigendes Mittel. Manche Gase werden in porösen Körpern so stark verdichtet, daß dadurch eine chemische Verbindung hervorgebracht wird; wenn man z.B. auf Platinschwamm, der an der Luft Sauerstoff verdichtet hat, Wasserstoff leitet, so verbinden sich diese Gase zu Wasser, wobei sich eine solche Wärme entwickelt, daß das Platin glühend wird u. der Wasserstoff sich entzündet; dies ist das Princip der Döbereinerschen Feuerzeuge. Nicht nur poröse Körper absorbiren die Gase, sondern in höherem od. geringerem Grade alle festen Körper, so sind z.B. Metall- u. Glasflächen fortwährend mit einer Hülle von verdichteter Luft umgeben, welche meist nur schwer davon zu trennen ist. Man kann sich leicht davon überzeugen, wenn man Wasser in einen Glaskolben gießt u. denselben erwärmt od. unter die Luftpumpe bringt, man sieht alsdann viele Luftblasen sich an den Wandungen bilden, noch lange vorher, ehe das Sieden beginnt. Auf dieses Bestreben der festen Körper, Gase zu absorbiren, ist auch die von Moser entdeckte Erscheinung der sogenannten Hauchbilder zurückzuführen. Wenn man nämlich auf eine polirte Metallplatte od. Glastafel mit einem hölzernen Stäbchen schreibt, so werden nach dem Behauchen der Platte die Charaktere sichtbar; dasselbe geschieht, wenn man einen Stempel einige Zeit auf eine solche Metallplatte stellte u. dieselbe nachher der Wirkung von Quecksilberdämpfen aussetzt. Moser glaubte die Erklärung in einem Selbstleuchten der Körper finden zu können, Waidele hat indessen gezeigt, daß der Grund lediglich darin zu suchen ist, daß sowohl die Platte als auch der Stempel mit einer Gasatmosphäre bedeckt ist, u. daß durch die gegenseitige Berührung eine ungleiche Verdichtung dieser Gase erfolgt. Wenn Dämpfe von festen Körpern absorbirt werden, so verdichten sie sich sofort zu Flüssigkeiten, z.B. wenn Wasserdampf durch Chlorcalcium, Kochsalz etc. absorbirt wird, so bildet sich Wasser, in welchem jene Salze zerfließen. Daher kommt das Feuchtwerden von Salz u. vielen anderen Körpern an der Luft. Auch von Flüssigkeiten werden die Gase absorbirt, aber in sehr ungleichem Grade, so absorbiren 1000 Volumina Wasser 1050 Vol. Kohlensäure, 46 Vol. Sauerstoff, 670,000 Vol. Ammoniak, 480,000 Vol. Salzsäure, gleichgültig, unter welchem Druck die Gase stehen, so daß bei doppeltem Druck dasselbe Volumen Gas absorbirt wird, als bei einfachem Druck; also: 1000 Vol. Wasser absorbiren bei gewöhnlichem Luftdruck 1050 Vol. Kohlensäure, bei doppeltem Luftdruck ebenfalls 1050 Vol., da aber 1050 Vol. Kohlensäure bei doppeltem Druck = 2100 Vol. bei gewöhnlichem Druck sind, so können also 1000 Vol. Wasser auch unbestimmt viel Kohlensäure absorbiren, sobald dieselbe den Raum von 1050 Vol. einnimmt, gleichgültig, welcher Druck hierzu erforderlich ist. Dasselbe Gesetz läßt sich daher auch so aussprechen: die Menge Gas, welche das Wasser zu absorbiren im Stande ist, wächst im Verhältniß, wie der Druck, welchem beide ausgesetzt sind. Nach Bunsens Beobachtungen absorbirt 1 Vol. Wasser bei 0° u. 760 Millim. Druck 0,01831 Vol. atmosphärische Luft, 0,01497 Vol. Stickstoff, 0,03209 Vol. Sauerstoff, 0,85870 Vol. Kohlensäure.

In der Bestimmung der Dichtigkeit der Gase fanden die Fehler der früheren Methoden vornehmlich in Folgendem ihren Grund: Es wurde ein Glasballon, der erst vollkommen trockene Luft unter verschiedenen, zu bestimmenden Drucken u. dann ebenso das seiner Dichtigkeit nach zu bestimmende Gas enthielt, gewogen, wobei immer die Temperatur des im Innern des Ballons enthaltenen Gases mit in Rechnung zu ziehen ist. Da jedoch bei diesen Wägungen, um das wahre Gewicht des Ballons zu erhalten, zu dem unmittelbar gemessenen das Gewicht der von ihm verdrängten Luft jedesmal hinzuaddirt werden mußte, so gaben die fortwährenden Schwankungen der Temperatur, Feuchtigkeit u. Zusammensetzung der Luft Veranlassung zu mannichfaltigen Fehlern. Während Dumas u. Bousingault diese Fehler durch Schutzmittel u. Correctionen zu eliminiren suchten, vermied sie Regnault dadurch, daß er den ersten Ballon. statt durch ein Gewicht, durch einen zweiten gleich großen hermetisch verschlossenen Ballon von derselben Glasart äquilibrirte, auf den sich alle Veränderungen der äußeren Luft auf gleiche Weise erstreckten, wie auf den ersten. Die Dichtigkeitsbestimmungen von Regnault (zu welchen die von Dumas u. Boussingault immer in Parenthese gesetzt sind), sind folgende: Atmosphärische Luft 1 (1), Stickgas 0,97137 (0,972), Wasserstoff 0,06926 (0,0693), Sauerstoffgas 0,10563 (1,1057), Kohlensäuregas[941] 1,52910. Marchand hat das specifische Gewicht mehrerer Gase dadurch bestimmt, daß er aus einem großen mit Gas gefüllten Glasballon das Gas bei unveränderlicher Temperatur u. Druck durch ein anderes verdrängen, das erste aber durch einen dazu geeigneten Körper absorbiren ließ, z.B. Sauerstoff durch Kupfer, während Kohlensäure eindrang. Das specifische Gewicht des Sauerstoffgases = 1 gesetzt, ergab sich für Kohlensäure 1,3822, für Kohlenoxyd 0,87563 für schwefelige Säure 2,04116. Auf den Grundlagen, daß der mittlere Luftdruck für die ganze Erde nach Abzug des Dampfdruckes 332'' 62 od. 750 Millim. Quecksilber, od. 10 Metr. 19695 Wasser, od. 7847 Metr. Luft von der Dichtigkeit an der Erdoberfläche, u. daß der mittlere Erdhalbmesser 6366752 Metr. beträgt, hat Marchand das Gewicht der ganzen Atmosphäre 5,263,623 Bill. Kilogramme od. 11,254,010 Bill. preußische Pfund, also 2,588,010 Bill. Sauerstoff, 8,657,400 Bill. Stickstoff, 8600 Bill. Kohlensäure gefunden.

Nach Dalton stoßen sich die Theilchen jedes gasförmigen Körpers mit einer Kraft ob, welche bei einer gegebenen Temperatur im umgekehrten Verhältnisse der Entfernungen ihrer Mittelpunkte von einander steht. Das Abstoßen findet aber zwischen den gleichartigen Theilchen desselben Gases, nicht zwischen den heterogenen Theilchen verschiedener Gase statt; letztere verhalten sich ganz indifferent gegen einander, u. jedes ist für das andere, hinsichtlich der Bewegung im Raume, gleichsam gar nicht da. Demnach drücken auch nur homogene Gastheilchen auf einander, u. jedes Gas trägt nur das Gewicht der über ihm befindlichen Theilchen seiner Art; heterogene, gemengte Gasarten dagegen verbreiten sich in einem gemeinschaftlichen Raume so, wie jede einzeln gethan haben würde, mag ihr specifisches Gewicht sein wie es wolle. Diese freie Vertheilung wird allerdings durch ein größeres specifisches Gewicht u. andere Hindernisse oft verzögert, doch nie ganz verhindert, wenn nicht ihre freie Vertheilung durch unüberwindliche Hindernisse unmöglich gemacht wird. So drückt auch mittelst nicht elastisch-flüssiger Zwischenkörper jede Gasart auf die andere. Ist z.B. reines Sauerstoffgas in eine Blase eingeschlossen, so wirkt der Druck des atmosphärischen Stickstoffgases so gut auf diese gefüllte Blase, wie der Druck des Sauerstoffgases selbst.

Sind zwei Gase durch eine poröse Scheidewand getrennt, so erfolgte der gegenseitige Austausch u. die gleichmäßige Mischung in derselben Weise. Verbindet man daher zwei mit verschiedenen Gasen gefüllte Gefäße durch eine Wand von Gyps, so findet man nach einiger Zeit in jedem dieser Gefäße ein gleichmäßiges Gemisch von beiden Gasen. Diese Erscheinung der gleichmäßigen Vertheilung mehrerer Gase in demselben Raum nennt man Diffusion der Gase. Je nach der Dichtigkeit der verschiedenen Gase ist die Geschwindigkeit auch verschieden, mit der dieselben eine poröse Scheidewand durchdringen, u. zwar verhalten sich nach Graham die Geschwindigkeiten umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Dichtigkeiten. Füllt man ein Glasrohr, dessen eines Ende mit einem Gypspfropfen verschlossen ist, mit Wasserstoffgas u. taucht das andere offene Ende unter Quecksilber, so bemerkt man bald, daß das Quecksilber in der Röhre steigt, indem der Wasserstoff schneller aus der Röhre entweicht, als atmosphärische Luft eintritt. Die Diffusion der Gase ist auch der Grund, weshalb in Zimmern, selbst wenn sich viele Menschen in demselben befinden, die Luft immer nahezu dieselbe bleibt, so lange nämlich die Wände nicht feucht sind, indem poröse Körper nur im trockenen Zustand für elastische Flüssigkeiten durchdringbar sind. Darin liegt es auch zum Theil, daß es ungesund ist, in Zimmern zu wohnen, deren Wände feucht sind.

Die erste Gastheorie gab van Helmont. Ihm war Gas vornehmlich der aus gährenden Flüssigkeiten sich entwickelnde Dunst. Doch unterschied er auch mehrere andere, wie Gas sylvestre, G. fuliginosum, G. flammeum, G. pingue, G. ventosum u.a. Nach Helmont beachteten bes. Rey, Boyle, Meyrow, Hales, Black diesen Theil der Naturlehre; Letzter führte das Wort fixe Luft ein, indem er glaubte, die Luft sei in festen u. tropfbaren Körpern als Bestandtheil nur gebunden vorhanden. Priestley u. nach ihm Scheele, Cavendish, Rutherford, Ingenhouß, Lavoisier, Fontana, Berthollet, Berzelius u. A. stellten neue Gasarten dar u. bildeten überhaupt die Gaslehre nach den Grundsätzen der neueren Chemie aus. Die Gasanalyse ist in neuerer Zeit bes. durch Bunsen u. Kolbe wesentlich verbessert worden. Vgl. Bödeker, Die gesetzmäßigen Beziehungen zwischen der Zusammen setz ng, Dichtigkeit u. der specifischen Wärme de Gase, Gött. 1857.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 940-942.
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