Harnsteine

[54] Harnsteine, widernatürliche steinartige Bildungen in den Nieren od. in der Harnblase aus dem Harn, von wo sie dann wohl auch in die Harnleiter od. Harnröhre gelangen u. durch Stockung u. Reizung oft eine sehr heftige, selbst lebensgefährliche Krankheit (Lithiasis) erregen. Sie bilden sich gewöhnlich in dem Nierenbecken (Nierensteine) als rundliche, glatte, braungelbe Körper u. gehen, wenn sie die Größe eines Hanfkorns nicht übersteigen, dann leicht u. oft in Menge mit dem Harn ab (Harnsteingries, Harnsteinfand). Zuweilen sind sie ungleich, eckig, wo dann, zumal bei einiger Größe, ihr Durchgang durch die Harnwege oft sehr schmerzhaft ist. Aber auch Steine von der Größe einer Erbse u. Bohne drängen sich noch durch, zumal bei Frauenzimmern, u. gehen dann auch wohl in großer Menge, unter größeren od. minderen Beschwerden, ab. Einmal entstanden werden sie, wenn sie nicht bald fortgehen, immer größer u. erlangen in dem Nierenbecken auch wohl eine solche Größe daß sie nicht mehr aus demselben gelangen können, umziehen sich mit mehreren Steinlagen, dehnen dann auch wohl die Nieren bedeutend aus, erregen Entzündung u. Eiterung u. führen früher od. später zum Tode. Man findet dann in Leichen entweder nur Einen Stein von der Größe eines Taubeneies, eines Hühnereies od. auch wohl einer Faust, od. auch deren mehrere kleinere mit Gries in einem in den Nieren an dem Nierenbecken ausgebildeten Sacke. Harnleitersteine sind in die Harnleiter von den Nieren aus gelangte Steine, wohl bis zur Größe einer Haselnuß. Die Harnblasensteine sind entweder durch die Harnleiter dahin gelangte Nierensteine, od. in dem Harn in der Blase gebildet, mit einem fremden Körper, einem kleinen Nierenstein, einem Klümpchen Blut, Eiter od. Schleim als Kern. Bald ist nur einer, bald mehrere, selbst viele. Ihre Größe ist verschieden, von der einer Bohne bis zur Größe eines Hühnereies, bei langem Verweilen bis zur Größe einer Doppelfaust. Meist sind sie eiförmig od. mandelartig zusammengedrückt; doch auch, zumal wenn ihrer mehrere sich in der Blase finden, vieleckig u. mannigfaltig gestaltet. Gewöhnlich liegen sie frei in der Blase; zuweilen aber bilden sie sich auf einer Stelle der Blasenwände eine eigene Vertiefung u. werden von selbiger umschlossen (eingesackte Steine). Ihre Farbe ist verschiedenartig, braun, gelblich, weiß, schwärzlich od. dunkelgrau, nach den Hauptbestandtheilen derselben, eben so ihre Consistenz. An ihrer Oberfläche sind sie bald eben bald uneben, bisweilen knotig (Maulbeersteine). Um den, nur selten fehlenden Kern finden sich gewöhnlich auch mehr od. minder deutlich unterscheidbare Schichten steiniger Masien gelagert; doch kommen auch blos körnige Conglomerate vor. Harnröhrensteine[54] bilden sich nur selten, auf Stellen, wo die Harnröhre von Natur weiter ist, od. hinter Stricturen derselben aus stockendem Harn. Doch bilden steh auch um fremde Körper, die lange in der Harnröhre bleiben (wie z.B. Bougies), H. Die H. bestehen meist aus Harnsäure, harnsauren Salzen, oxalsaurem Kalk, phosphorsaurem Kalk u. phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia, ihre Entstehung steht auch mit der Bildung der Harnsedimente in engster Beziehung. Selten bestehen sie aus Einer Substanz, gewöhnlich haben sich concentrische Schichten von verschiedenen Substanzen um den Kern abgelagert; die Maulbeersteine sind fast nur oxalsaurer Kalk. Ein seltener Bestandtheil der H. ist das Cystin, weniger häufig findet sich auch Cholesterin in ihnen.

Zeichen der H. sind: theils schmerzhafte Affectionen da wo sie sich befinden, die periodisch zunehmen und bald einen mehr entzündlichen, bald mehr krankhaften od. auch gemischten Charakter haben (Steinkolik, Colica nephritica); theils Störungen der Harnausleerung, ein fast immer trüber, schleimiger oft auch blutiger Harn u. der Abgang von Gries u. kleinen Steinen. Größere Harnblasensteine sind durch den Mastdarm od. die Scheide fühlbar; noch sicherer für die Erkenntniß ist das Sondiren mit einem silbernen od. stählernen Katheter, wozu auch die Auscultation zu Hülfe genommen werden kann; doch ist zuweilen die Erkenntniß von H-n in der Blase u. die Unterscheidung dieser Krankheit von anderen Blasenkrankheiten schwierig. Die Anlage zu H-n beruht auf einer eigenen Schwäche der Unterleibsorgane, verbunden mit Störung der Hautthätigkeit u. einer eigenthümlichen chemischen Störung in den Verhältnissen der Säfte des Körpers (s. Steinkrankheit), eben so wie Hämorrhoiden u. Gicht, auf Überreizung der Verdauungsorgane bei sitzender Lebensart, besonders Mißbrauch sauerer u. junger Weine, namentlich auch des Obstweins; sie ist erblich, auch endemisch. Erfahrungsmäßig kommen sie in England, Holland u. Deutschland häufig vor; im höheren Norden u. südlichen Gegenden sind H. selten. Auch haben sie in neuerer Zeit, seit dem Gebrauch warmer Getränke, sich sehr vermindert. Kinder sind dieser Krankheit noch häufiger als Erwachsene unterworfen, diese vorzugsweise in höherem Alter, Männer mehr als Weiber. Gelegenheitsursachen sind lange Harnverhaltungen, Mangel an Bewegung, besonders langes Liegen, fremde, zufällig in die Blase u. Harnröhre gelangte Körper. Die Behandlung ist theils auf Verminderung u. Abstumpfung der mit dem H. verbundenen Beschwerden, theils auf Entfernung der H. gerichtet. Die periodisch eintretenden kolikartigen Schmerzen erfordern bald antiphlogistische Mittel, vorzüglich Blutegel od. krampfstillende Emulsionen, Opium, Bilsenkraut, äußerlich u. innerlich. Die inneren Mittel sind bald auflösende, bald der Steinlage entgegengesetzte od. harntreibende Mittel, besonders alkalische, das kohlensaure Natron u. Kali für sich od. in künstlich kohlensaurem Wasser od. Selterserwasser aufgelöst, Kalkwasser allein od. mit Seife, kohlensaurer Magnesia, das Karlsbader, Wildunger, Fachinger, Geilnauer Wasser, von Säuren insbesondere Phosphor- u. Salzsäure. Alkalische Mittel passen, wo saure Bestandtheile in den Steinen vorwalten, saure umgekehrt. Außerdem kommen noch eine Menge harntreibende Mittel (s.d.), wie die Bärentraube, in Gebrauch. Eine gute frugale Diät wird in jedem Fall Personen, die an Steinbeschwerden leiden, große Erleichterung gewähren. Das sicherste Mittel, einen bereits zu einiger Größe gekommenen Harnblasenstein zu entfernen, bleibt immer der Steinschnitt u. die Lithotritie (s. b.). Harnröhrensteine werden entweder mittelst Sonden od. am einfachsten durch einen Schnitt in die Harnröhre entfernt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 54-55.
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