Heilige

[169] Heilige, 1) die wahren Mitglieder der ersten christlichen Gemeinden, also so v.w. Christen, weil sie sich durch sittlich reines Leben vor den Anderen auszeichneten. Als später die Zahl der Musterhaften unter den Christen geringer wurde, bes. seit dem 4. Jahrh., nur 2) jene Glieder der Kirchen welche sich durch einen hohen Grad christlicher Tugend u. Frömmigkeit, od. durch heldenmüthigen Eifer für das Christenthum vor der großen Menge auszeichneten, so daß sie den Übrigen als lehrreiche Beispiele aufgestellt werden konnten. Nach jetzigem Sprachgebrauche werden H. in der Katholischen Kirche 3) diejenigen genannt, welche einen höheren Grad sittlicher Vollkommenheit erreicht haben, in ihrem Leben od. nach ihrem Tode durch Wunder verherrlicht u. von der Kirche als H. erklärt u. zur Verehrung empfohlen worden sind. In der ersten christlichen Zeit wurden nur Märtyrer als H. verehrt, u. daher kam es, daß damals mehr die begeisterte Stimme des Volkes über die Heiligkeit entschied, wenngleich nicht ohne Wissen des Bischofs, u. Cyprian verlangte ausdrücklich, daß ihm der Tod eines Märtyrers zur Kenntniß gebracht würde, damit derselbe jährlich feierlich begangen werden könnte. Dieser Recurs an den Bischof war um so nöthiger, als später in der Mitte des 5. Jahrh. auch solche verehrt wurden, die zwar nicht den Märtyrertod erlitten, aber doch ein heiliges Leben geführt hatten u. [169] Bekenner genannt wurden. Daher werden in mehreren Synodalverordnungen aus jener Zeit u. in einem Capitular Karls d. Gr. Heiligenverehrungen ohne Genehmigung des Bischofs als unrechtmäßig erklärt. Eine Änderung in dieser Sache trat im 10. Jahrh. ein, wo die Päpste anfingen, allgemein gültige Heiligsprechungen (Canonisationen) vorzunehmen, indem auf dem Lateranensischen Concil 993 unter Papst Johann XV. St. Ulrich, Bischof von Augsburg, feierlich canonisirt wurde. Um Mißbräuchen vorzubeugen, verbot sodann Alexander III. 1170, irgend Jemanden ohne Consens der höchsten kirchlichen Autorität als Heiligen öffentlich zu verehren. Die Heiligsprechung pflegt jetzt erst der Seligsprechung (Beatification) zu folgen, welche letztere nur eine beschränkte Verehrung für eine Gegend od. einen Orden gestattet. Was nun das ganze Verfahren beim Processe der Seligsprechung betrifft, so muß vorher gerichtlich bewiesen werden, daß der Diener Gottes wirklich im Rufe heldenmüthiger Tugend u. der Wunderkraft gestanden hat. Geschieht dies, so heißt er Venerabilis (Ehrwürdig). Ist dann der Beweis geliefert, daß die öffentliche Verehrung desselben keine Anmaßung gewesen ist, so werden seine etwaigen Schriften untersucht. Erst, wenn diese Prüfung günstig ausgefallen ist, wird der eigentliche Proceß eingeleitet. Hierbei muß durch Zeugenaussagen dargethan werden, daß der im Rufe der Heiligkeit Stehende heroische Tugenden geübt habe, u. daß auf seine Anrufung Wunder gewirkt worden seien. Über das Vorhandensein eines Wunders haben Ärzte zu entscheiden. Um Irrthum u. Übereilung vorzubeugen, bringt der Glaubenspromotor alle möglichen Zweifel, Schwierigkeiten, Verdächtigungen vor, die alle widerlegt werden müssen, u. wird deshalb auch Advocatus diaboli genannt; wogegen der, welcher die zu Canonisirenden vertheidigt, Advocatus dei heißt. Außerdem werden die Tugenden u. Wunder noch in drei Congregationen geprüft, während eine vierte die Seligsprechung vorzunehmen hat. Ereignen sich nach der Seligsprechung wieder wenigstens zwei Wunder, so wird, wenn dieselben auf die frühere Weise erwiesen sind, die Heiligsprechung vorgenommen. Bei Beatificationen der Märtyrer ist der Proceß einfacher, indem statt der Tugenden die näheren Umstände der Märtyrer untersucht werden. Die H-n hält die Katholische Kirche einer besonderen Verehrung (Heiligenverehrung), bes. seit der Sanction derselben 787 auf dem Concil zu Nicäa, würdig u. versteht darunter eigentlich eine wahre, innige Hochachtung u. Ehrfurcht gegen sie, welche sie ihrer Vorzüge u. Verdienste wegen bei Anderen verdienen, dann ein eifriges Bestreben, ihre hohen Tugenden nachzuahmen, endlich die Anrufung derselben um ihre Fürbitte (Intercessio) bei Gott, für dessen Freunde sie gehalten werden. Damit die Tugenden u. Vorzüge der H-n zur allgemeinen Kenntniß kommen, so sorgt die Kirche dafür, daß ihr frommes Leben in Beschreibungen (Heiligengeschichten, s.u. Acta sanctorum) vielseitig u. erbaulich dargestellt werde (vgl. Legenden); sie widmet dem Gedächtnisse jedes H-n einen besonderen Tag (Heiligentag, s. Heiligenfeste) im Jahre, läßt Gemälde u. Bildsäulen (letztere verbietet die Griechisch-katholische Kirche) derselben (Heiligenbilder) in Gotteshäusern u. an anderen schicklichen Orten aufstellen, benennt Kirchen u. Altäre nach ihren Namen u. erwähnt ihre Namen u. Verdienste in gewissen Gebetsformeln bei dem Meßopfer; sie bewahrt auch ihre Reliquien u. stellt sie in Kirchen u. anderen Ortenals ehrwürdige Gegenstände auf; sie stellt Orte u. Gegenden, wo sie gelebt u. gewirkt haben, unter ihren Schutz (Localheilige, Schutzpatrone, Schutzheilige, s.d.), so auch Künste, Gewerbe, Zünfte etc. Sie befördert endlich die Nachahmung der H-n auch dadurch, daß sie jedem katholischen Christen bei der Aufnahme in die Gemeinde Christi den Namen eines od. mehrerer H-n beilegt, als stetes Erinnerungszeichen an die Pflicht, die Tugenden dessen nachzuahmen, dessen Namen er trägt. Dabei aber lehrt die Katholische Kirche selbst ausdrücklich, daß den H-n nicht Anbetung (Adoratio, Latrie), sondern nur Verehrung (Veneratio, Dulie) zukomme, gestützt auf den Beschluß des Tridentinischen Concils, der es für erlaubt u. wohlgethan hält, den H-n nach ihrem Tode eine gewisse Verehrung zu bezeigen, welche sich bes. auf die Nachahmung ihrer Tugenden zu beziehen hat, u. es überdies für nützlich u. heilsam hält, sie um ihre Fürbitte bei Gott anzurufen. Weiter ist die Katholische Kirche eigentlich in ihren Bestimmungen in der Sache nicht gegangen u. sie verwahrt sich ausdrücklich dagegen, daß der Mißbrauch, wo er sich findet, aus der Lehre der Kirche nothwendig hervorgegangen od. mit derselben verbunden sei. Die Protestantische Kirche erklärt es allerdings für nützlich, die Heiligen als Muster zur Nachahmung aufzustellen, verwirft aber die Anrufung derselben, weil die Bibel nicht davon rede, sondern Christus als den einzigen Mittler aufstelle.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 169-170.
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