Phönikische Sprache

[85] Phönikische Sprache, ein Glied des Semitischen Sprachstammes u. mit dem Hebräischen zur Kananitischen Gruppe desselben gehörig. Da wirkliche Literaturwerke in P-r S. nicht mehr übrig sind, so beschränkt sich unsere Kenntniß theils auf einzelne Wörter, Namen u. Bruchstücke (darunter das Bedeutendste im Poenulus V, 1 des Plautus), die von griechischen u. römischen Schriftstellern überliefert worden sind, theils auf Münzlegenden, theils auf Inschriften. Obgleich die Zahl der letzteren seit einem Jahrzehnt in rascher Vermehrung begriffen ist, so gewähren dieselben doch nur ein sehr mangelhaftes Bild der Sprache, da der größte Theil derselben in Votiv- u. Grabinschriften besteht, die in Bezug auf ihren Inhalt nicht sehr verschieden sind. Die wichtigste u. zugleich älteste Inschrift ist die am 19. Jan. 1855 in Sidon aufgefundene Grabinschrift des sidonischen Königs Eschmunazar (jetzt sammt Sarkophag im Louvre zu Paris). Nächst dieser dürften am interessantesten sein die Inschrift von Marseille aus dem 4. Jahrh. v. Chr., die werthvolle Inschrift von Thugga (eine Bilinguis in Phönikischer u. Libyscher Sprache) u. die neuerdings von Mariette im Serapeum von Memphis aufgefundene phönikische Inschrift. Inschriften sind bisher in allen phönikischen Colonialländern, namentlich dem nördlichen Afrika, aufgefunden worden; sowie an verschiedenen Handelsplätzen am Mittelmeer, in denen sich phönikische Kaufleute niedergelassen hatten, so in Marseille, Athen, Lykien. Zeugen der weitreichenden Handelsthätigkeit der Phöniker sind die phönikischen Inschriften auf ägyptischen Denkmälern am Sinai etc. Aufschriften auf geschnittenen Steinen u. Gefäßen, sowie die auf Münzen (Punische Münzen) sind ebenfalls an sehr verschiedenen Orten aufgefunden, gewähren aber in sprachlicher Beziehung nur eine geringe Ausbeute. Ihrer Schrift, Sprache u. auch ihrem Alter nach zerfallen die Juschriften in zwei Klassen, die älteren (wozu die Inschriften von Sidon, Marseille, Carthago, Citium, Malta, Athen u. die meisten Münzen gehören) haben den alten phönikischen Schrifttypus, eine regelmäßige Orthographie u. eine von fremden Einflüssen u. späteren Ausartungen noch reine Sprache. Ob diese altphönikische Schrift die Mutter der altgriechischen, wie der übrigen altsemitischen gewesen, od. selbst erst nur die Abzweigung eines allgemeinen altsemitischen Alphabetes ist, bleibt noch unentschieden, doch ist das letztere wahrscheinlicher. Die zweite Klasse von Denkmälern, deren in neuester Zeit viele durch die Bemühungen französischer Forscher an das Licht gezogen worden sind, stammt aus Zeiten u. Gegenden, wo die Bildung u. Sprache der Phöniker durch fremdartige Elemente bedeutend influirt war; es sind dies die in Numidien, die in Sardinien u. den liby-phönikischen Gegenden (z.B. Leptis) aufgefundenen Inschriften, sammt den punischen Münzen, welche den liby-phönikischen Städten an der Küste Afrikas, der Insel Kossura u. Iviza u. mehren turditanischen Städten angehören. Die alte Schrift ist nicht nur bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, sondern auch die Orthographie entartet. Diese zweite Klasse von Denkmälern wird von Gesenius u. Judas numidisch, von Bourgade tunisisch, von Ewald neucarthagisch od. neupunisch genannt.

Das Phönikische, obgleich dem Hebräischen am nächsten stehend, wich dennoch in den Wörtern, Bildungen u. Lauten sehr von diesem ab. So zieht das Phönikische häufig die dunkleren Vocale den helleren vor (so o für a; i u. y häufig für Segol u. Zere; Chirek wird meist durch y umschrieben; fast regelmäßig steht u für hebräisch o im Femininum Plural, im Infinitiv u. Particip), ebenso tritt für das hebräische Schwa mobile ein dunkler Halbvocal ein. Geschrieben werden die Vocale gar nicht; doch finden sich Ausnahmen in Inschriften aus den verschiedensten Zeiten. Die Gutturale werden in den jüngeren Denkmälern häufig mit einander vertauscht. Die Buchstaben l u. r kommen in der Mitte u. am Ende nicht selten in Wegfall (Boccar für Baalkar, Juba für Jubaal). Die Feminalformen der Nomina enden mit א (o, u) od. am ח häufigsten mit ח (at); die Pluralendungen kommen mit den hebräischen überein. Die genitivische Verbindung wird nicht allein durch den Status constructus, sondern auch u. zwar viel gewöhnlicher durch Einschiebung von i, o od. u angedeutet, sowie durch Beifügung des Demonstrativs od. Relativs angezeigt. Das Verbum ist nur sehr unvollkommen bekannt, scheint aber im Allgemeinen mit dem hebräischen übereinzustimmen. Daß die verschiedenen Stämme der Phöniker (Sidon, Tyros u. Arados, die Königreiche der Gibliter zu Byblos u. Berytos) auch verschiedene Mundarten gesprochen haben, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher nachzuweisen. Von der P-n S. in Nordafrika sagt jedoch schon Hieronymus, daß sie hier in einigen Stücken verändert sei. Die Inschriften bestätigen, daß sich hier zwei verschiedene Mundarten der P-n S. entwickelt hatten, das eigentliche Punische, welches teilweise ein verderbtes Phönikisch war, u. das Liby-Phönikische (z.B. in Leptis), was außerdem noch eine Anzahl libyscher Elemente in sich aufgenommen hatte. Die im früheren Alterthume verbreitete P. S. erfuhr im eigentlichen Phönikien seit Alexander starke Beeinträchtigung; Münzen mit phönikischer Schrift prägte nur noch Tyros im 2. Jahrh. v. Chr.; schon zu Anfang der Römerherrschaft herrschte in den Städten Griechische Sprache vor. Im 1. Jahrh. n.Chr. war noch eine bedeutende phönikische Literatur vorhanden, später wird ihrer nicht mehr gedacht. In der zweiten Hälfte des 2. u. der ersten des 3. Jahrh. war das Phönikische noch nicht völlig erloschen, aber zur Zeit des Hieronymus (im 4. u. 5. Jahrh.) scheint es gar nicht mehr gesprochen worden zu sein. Im nördlichen Afrika, wo die Sprache auch bei den benachbarten numidischen u. mauritanischen Stämmen festen Fuß gefaßt hatte u. an den Höfen vorzugsweise Phönikisch gesprochen wurde, dauerte sie, wenn auch nicht in Carthago selbst, länger fort, u. noch zur Zeit des Augustin, welcher sie selbst sprach, im Anfang des 5. Jahrh., war sie ziemlich allgemein verstanden; das Latein war nur die Sprache der gebildeteren Klassen Wegen der großen Anzahl christlicher Gemeinden in diesen Gegenden waren, wenn nicht die ganze Heilige Schrift, so doch wenigstens Theile derselben in das Punische übersetzt worden. In den Binnengegenden von Byzacium u. Tripolis war das Punische noch 460 n.Chr. Landessprache. Die Völkermischungen des 5., 6. u. 7. Jahrh. haben jedoch in Nordafrika dem Punischen allerwärts den Untergang bereitet. Man hatte zwar früher von mehrern Seiten das Maltesische für einen Rest des Punischen erklärt, doch ist dieses nur ein unter dem Einfluß des Italienischen verdorbener Mischdialekt.[85]

Die Literatur der Phöniker u. Punier war sehr bedeutend u. es wird ihrer noch spät sehr ehrenvoll gedacht. Auf die Nachwelt ist jedoch in der Ursprache nichts gekommen u. selbst von den griechischen u. römischen Übersetzungen sind nur Bruchstücke übrig. Die Phöniker standen an geistiger Begabung keinem anderen Volke nach; ihre Liebe zu den Wissenschaften bekunden die Nachrichten, wonach phönikische Kaufleute Philosophen, carthagische Feldherrn u. Staatsmänner Schriftsteller waren u. numidische Könige phönikische Bibliotheken besaßen od. wie Hiempsal u. Juba selbst angesehene Werke verfaßten. Den ältesten u. zugleich umfassendsten Zweig der Literatur bildeten die priesterlichen Religionsschriften, welche den Göttern zugeschrieben, in den Adyten der Tempel aufbewahrt u. nur den Genossen der Mysterien zugänglich waren. Aus der Deutung u. allegorischen Auslegung dieser Geheimschriften ging ein neuer umfassender Zweig der heiligen Literatur hervor, als deren älteste Vertreter Thabion, Isiris, Sanchuniathon u. Mochus genannt werden. Von letzteren wurden die Priester- u. Prophetenschulen abgeleitet, welche bis in späte Zeit herab die Pflegerinnen der heiligen Wissenschaften blieben. Ein Theil der letzteren war auch die Magie, über welche ein Werk des Dardanus genannt wird. An die heilige Literatur lehnte sich die didaktische Poesie an, deren Erfindung u. erste Vertretung ebenfalls den Göttern zufiel, der Sängerin Sido u. dem vom Atlas unterrichteten Jopas. Diese Poesie war der Orphischen ähnlich u. beschäftigte sich mit der Lösung naturphilosophischer Probleme. Die Erotische Poesie erging sich in Sinnlichkeit. Die sehr alte u. bedeutende historische Literatur basirte auf Inschriften, die zum Andenken wichtiger Ereignisse in den Tempeln aufgestellt waren, sowie auf den Annalen der einzelnen Städte. Von den Griechen werden die Geschichtswerke des Mochus, Hypsikrates u. Theodotus oft genannt, sie waren von Chaitus ins Griechische übersetzt worden. Der Geschichtsschreiber Hypsikrates ist vielleicht identisch mit dem bekanntesten aller phönikischen Historiker, dem Sanchuniathon (s.d.). Außerdem werden noch zahlreiche andere griechische Bearbeiter phönikischer Geschichtswerke genannt. Unter den Carthagern blühte nicht minder die Literatur. Hannibal verfaßte Schriften in Griechischer wie in Punischer Sprache. Punische Werke geographischen Inhalts wurden von Juba u. noch später in Übersetzungen u. Auszügen von Solinus u. Avienus benutzt; historischer Schriften gedenken Aristoteles, Sallustius u. Servius; ein Fragment aus dem Werke des Königs Hiempsal über libysche Geschichte hat Sallustius mitgetheilt. Den größten Ruf genossen die punischen Werke über Landwirthschaft, unter denen das umfangreiche Werk des Feldherrn Mago, Zeitgenossen des älteren Kyros, hervorragt. Es wurde von Dionysius von Utica ins Griechische u. von Silanus ins Lateinische übersetzt; ein zweites Werk über Landwirthschaft, von Hamilcar, wahrscheinlich dem bekannten Sohne des Mago, ging ebenfalls durch Übersetzung in die Griechische Literatur über. Die wichtigsten Werke über P. S. u. deren Denkmäler sind: Hamaker, Miscellanea Phoenicia, Leyd. 1828; Gesenius, Scripturae linguaeque Phoeniciae monumenta, Lpz. 1837; 2 Bde.; Judas, Etude demonstr. de la langue Phénicienne et de la langue Libyque, Par. 1847; Bourgade, Toison d'or de la langue Phénicienne, ebd. 1852, 2. A. 1856; Bargès, Mémoire sur trente neuf nouvelles inscriptions Puniques, ebd. 1852; Judas, Nouvelles études sur une série des inscriptions numidico-puniques, ebd. 1858; Movers, Phönikische Texte, Bresl. 1845–47, Heft 1 u. 2; Levy, Phönikische Studien, Breslau 1857 ff.; verschiedene Monographien von Bargès, dem Herzog von Luynes, Judas u. anderen französischen Gelehrten, sowie von Ewald, Rödiger, Hitzig, Schlottmann.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 85-86.
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