Zahnschmerz

[777] Zahnschmerz ist eins der peinigendsten Übel und kann Menschen, die er häufig heimsucht, gradezu das Leben verbittern. Die Anlage zu Zahnschmerzen ist ebenso wie schlechte Beschaffenheit und frühzeitiger Verlust der Zähne oft vererbt und in ganzen Familien heimisch und steht dann meist mit Skrofelsucht und Gicht in Verbindung. Zahnschmerzen sind ihrer Art und ihren Ursachen nach sehr verschieden. Zu letztern gehört Alles, was Entzündung oder doch eine beträchtliche Reizung des Zahnfleisches, der Beinhaut der Zähne und der Zahnnerven hervorbringen kann (s. Zähne), Erkältungen des Kopfes und der Füße, aber auch des ganzen Körpers, Unterdrückungen verschiedener Ausleerungen, Verdauungsstörungen, Vorhandensein von Würmern, die Schwangerschaft und endlich auch verschiedene Säfte und Nervenkrankheiten, welche die Zähne in ihren Bereich ziehen, wie z.B. die Skrofeln, die Gicht, die Venerie, der Skorbut, die Hysterie u.s.w. Was nun die verschiedenen Arten des Zahnschmerzes anlangt, so ist der häufigste der, welcher durch den Beinfraß der Zähne, durch hohle Zähne, wie man gewöhnlich spricht, herbeigeführt wird. Indessen schmerzen nicht alle vom Beinfraße ergriffenen Zähne und nicht beständig, sondern gewöhnlich erst dann, wenn die immer weiter um sich greifende Zerstörung des Zahnknochens endlich den Nerven des Zahnes bloßlegt, wo dann oft schon die bloße Berührung desselben durch die Luft hinreicht, den Schmerz hervorzurufen, am gewöhnlichsten jedoch plötzlicher Wechsel der Temperatur, namentlich ein kalter Trunk zwischen dem Genusse sehr heißer Speisen, ferner die Berührung durch Überreste von Speisen, welche in der Zahnhöhlung zurückbleiben, das Einbohren von Zahnstochern u.s.w. die Veranlassung zu seinem Entstehen geben. Diese Art von Zahnschmerz beschränkt sich meist auf die wirklich kranken Zähne, ist vorzugsweise bohrend und klopfend und wird zuweilen durch Mittel, welche den Nerven überreizen und dadurch betäuben oder bewirken, daß sich derselbe zurückzieht, so z.B. durch ätherische Öle, namentlich das Nelkenöl, ferner durch das Kreosot, die Paraguaytinctur oder auch durch das Ausbrennen des Zahnes beschwichtigt. Nächstdem ist der gewöhnlichste der sogenannte rheumatische, der gesunde Zähne ebenso gut wie geschwürige befallen kann, in der Regel eine ganze Zahnreihe der einen oder andern oder auch beider Gesichtshälften ergreift, zuweilen ebenso schnell verschwindet wie er kommt, um bald aufs neue zurückzukehren, meist stechend und reißend ist und sich nicht selten mit Ohrenzwang, Kopfreißen und ziehenden oder reißenden Schmerzen[777] im übrigen Körper verbindet oder auch mit diesen abwechselt. Er ist immer eine Folge von Erkältung, stellt sich vorzugsweise bei kaltem und feuchtem Wetter ein und wird am sichersten durch Steigerung der Hautthätigkeit, also durch schweißbefördernde Mittel, Ableitungen auf die Haut durch Senfteige und Blasen ziehende Pflaster hinter die Ohren und in den Nacken, durch Zuleitung von warmen Dämpfen in den Mund, Fußbäder u.s.w. gehoben, macht aber leicht Rückfälle. Der sogenannte nervöse Zahnschmerz, welcher in den Zahnnerven selbst seinen Sitz zu haben scheint, ist insofern der schlimmste von allen, weil er am schwierigsten zu beruhigen ist. Er stellt sich oft ein, ohne daß das Zahnfleisch, die Zähne oder Zahnfächer irgend eine Krankheitserscheinung darbieten, verbreitet sich meist über mehre Zähne, ist nicht selten mit Schmerzen in den Augen, Ohren, dem Gesichte, der Zunge, im Schlunde und in den Muskeln des Halses verbunden, äußert sich gewöhnlich durch reißende Stiche, macht einzelne periodisch eintretende Anfälle und sucht besonders Personen heim, die überhaupt mit einem sehr reizbaren Nervensysteme begabt sind, hysterische Frauen und Mädchen, Schwangere u.s.w. Er erfodert hauptsächlich schmerzstillende, beruhigende Mittel, narkotische Waschungen und Umschläge, lauwarme Bäder und dergl. und wird durch das Ausziehen der schmerzenden Zähne nicht nur nicht beschwichtigt, sondern eher vermehrt. Der Zahnschmerz, welcher durch übermäßige Anhäufung von Blut in den Gebilden der Mundhöhle bedingt ist und in höhern Graden in einen wirklich entzündlichen ausarten kann, ist gewöhnlich klopfend, mit Anschwellung und Hitze des Zahnfleisches verbunden, wird besonders gern bei vollblütigen Personen des jüngern Alters, schwangern Frauen und Stillenden beobachtet und verdankt seine Entstehung häufig der Unterdrückung eines zur Gewohnheit gewordenen Nasenblutens oder Blutabgangs durch den Mastdarm, sowie des Monatsflusses oder ist auch eine unmittelbare Folge des Genusses reizender Nahrungsmittel, namentlich geistiger Getränke. Ihm hilft man am sichersten durch schleunige Wiederherstellung der unterdrückten gesundheitsgemäßen oder doch zur Gewohnheit gewordenen Blutausscheidungen ab oder, wenn diese nicht gelingen will, durch allgemeine oder örtliche Blutentziehungen, schleimige, kühlende Mundwasser und Getränke, Klystiere u.s.w. Zahnschmerzen, welche, wenn auch selten, mit Verdauungsstörungen oder der Anwesenheit von Würmern in Verbindung stehen oder durch allgemeine Säftekrankheiten, wie namentlich durch die Skrofeln, die Venerie, den Skorbut, die Gicht u.s.w. herbeigeführt werden und dann entweder in den Zähnen selbst oder im Zahnfleische ihren Sitz haben können, übrigens weniger heftig sind als vielmehr lange dauern und nicht selten Erweichung und Verschwärung des Zahnfleisches, Eiterung zwischen demselben und dem Halse der Zähne, Lockerwerden und selbst Ausfallen der Zähne im Gefolge haben, verschwinden in der Regel nicht eher, als bis die ihnen zu Grunde liegende Krankheit gehoben ist und erfodern also eine gegen diese gerichtete Behandlung.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 777-778.
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