Dsungarei

[235] Dsungarei (Dschungarei, Songarei), große, nach ihren Bewohnern benannte Landschaft in Innerasien, zwischen 43 und 52° nördl. Br., dem Balchaschsee im W., den Quellen der Selenga und des Orchon im O., ist ein 550–800 km breites und bis 1800 km langes Gebiet von mehr als 1 Mill. qkm Fläche. D. im engern Sinn ist das Gebiet zwischen dem Irenchabirgagebirge im S. und dem Tarbagatai und Mustau im N. mit den Seen Sairam-Nor, Ebi-Nor, Ajar-Nor, Ulungur, auch wohl noch dem Tal des Irtysch. Politisch gehört die weitere D. in ihrem westlichen Teil (11,288 qkm) zur russischen Provinz Semiretschinsk, im östlichen Teil, der eigentlichen D., zu China, und zwar der nördliche Teil (Tarbagatai) zur Mongolei, der südliche (Kuldscha) zu Ostturkistan. Das von mächtigen Parallelketten (Altai, Tarbagatai, [235] Dsungarischer Alatau, Irenchabirga, Tienschan) durchzogene Land wird außer vom Irtysch und Ili von Steppenflüssen bewässert, die meist in den genannten Seen enden. Es lassen sich unterscheiden: eine niedere Region mit Seen und Steppen, sandig, salzig und höchstens für Viehzucht geeignet; eine mittlere, allein kulturfähige, früher durch künstliche Bewässerung dicht bevölkert, durch Einwanderer in neuester Zeit wieder gehoben; eine Alpenregion mit schönen Wäldern, Weiden und Gletschern, deren Berge ungehobene Mineralschätze (Kohle, Blei, Kupfer, Silber) bergen. Das Klima zeigt die größten Gegensätze, im Sommer Hitzegrade, die selbst dem Einheimischen die Arbeit verbieten, im Winter bis -24°. Die Ufer der Seen sind während der Hitze sehr ungesund und wegen der Moskitos fast unbewohnbar. Die Vegetation der Steppe ist äußerst ärmlich; in der mittlern Region wachsen Apfel-, Birn- und Aprikosenbäume wild, Getreide gedeiht gut; im Hochgebirge steht eine alpine Flora. Die Tiere der Steppe sind Antilopen, Schildkröten, Schlangen, Taranteln, an und in den Seen leben ungeheure Vögelscharen; die mittlere und höhere Zone bevölkern Hirsche, Argali, Wölfe, zuweilen auch Tiger. Die nur wenige Hunderttausende zählende Bevölkerung besteht aus zahlreichen Völkerelementen: Die zu den Kalmücken gehörigen Dsungaren, so benannt von Dsön oder Sön (links) und Ghar (Hand), weil sie links oder nördlich von Lhassa wohnen oder als der linke Flügel des Mongolenheeres gelten, hießen bei den Chinesen ursprünglich Ölöt oder Oirat. Den letztern Namen brachten die jesuitischen Missionare nach Europa. Aus der russischen D. sind jetzt alle Dsungaren auf chinesisches Gebiet hinübergezogen. Dort besteht die Bevölkerung vorwiegend aus Kirgisen, kasanischen und astrachanischen Tataren. Die Hauptmasse der Bevölkerung in der chinesischen D. bilden Dsungaren, Torgoten, Khalka, ferner Dunganen, Militärkolonisten (Mandschu, Turgut u.a.) und deportierte Chinesen. Der chinesische Statthalter residiert in Kuldscha. – Nach dem Verfall der mongolischen Herrschaft entstanden in der D. mehrere Kleinstaaten und Chanate. Das Hochland ward im 15. Jahrh. von den Kalmücken besetzt, die später vom Alait bis zum Kwenlün herrschten. Die Chane waren aus dem Stamm Dsungar (Songar), der am Ili seine Lagerplätze einnahm; daher kommt der Name D. China war in den Besitz der D., die damals noch das Siebenstromland und das Ili-Tal begriff, 1758 nach dem Sturz des unabhängigen Kalmückenreichs gelangt, wobei die Chinesen mit Hilfe der Kasak-Kirgisen ein fürchterliches Blutbad unter den Kalmücken anrichteten. Der Dunganenaufstand von 1864 erreichte 1866 mit der vollständigen Zerstörung der chinesischen Ansiedelungen im Ilital sein Ende. Sieben Jahre hindurch bemühte sich die chinesische Regierung vergeblich, ihre Herrschaft im Ilital und nördlich davon in Tschugutschak wieder auszurichten. Am 26. Juli 1871 besetzte Rußland den Kreis Kuldscha, räumte ihn dann wieder kraft des Vertrags mit China (Marquis Tsêng) vom 14. Febr. 1881, behielt aber den 11,288 qkm (205 QM.) messenden westlichen Teil, der nun zum Gebiet Semiretschensk geschlagen wurde; auch zahlte China für die seit 1871 von Rußland gemachten Ausgaben die Summe von 9 Mill. Rubel. S. Karte »Zentralasien«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 235-236.
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