Hugenottenverein

[609] Hugenottenverein, Deutscher, mit dem Sitz in Magdeburg 1890 zu Friedrichsdorf im Taunus gegründet, bezweckt vornehmlich die Erforschung der Geschichte der in Deutschland lebenden Hugenotten und ihrer Gemeinden, die auf reformierte französische, wallonische oder waldensische Glaubensflüchtlinge zurückgehen. Schöpfer und geistiger Führer des Vereins bis zu seinem Tode war der Prediger der Magdeburger reformierten Gemeinde, Henri Tollin (s. d.); gegenwärtiger Vorsitzender ist der Prediger der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt a. M., Ch. Correvon. Das Arbeitsgebiet des Vereins sind nicht nur die kirchlichen Gemeinschaften der Reformierten, denn die Aufnahme der nach Aufhebung des Edikts von Nantes 22. Okt. 1685 aus Frankreich weichenden Hugenotten durch deutsche Fürsten (Brandenburg, Pfalz, Hessen-Kassel, Hessen-Homburg, Hessen-Darmstadt, Württemberg u. a.) ist eine Tat von hoher kultureller Bedeutung, insofern an etwa 240 Orten »französische Kolonien« entstanden und die Flüchtlinge zahlreiche gewerbliche Fertigkeiten (Tabakbau, Weberei, Seifen- und Glasfabrikation, Metallverarbeitung, Uhrmacherei etc.) in Deutschland weiter geübt und somit im Land eingeführt haben. Die Hugenotten fanden namentlich bei den reformierten Fürsten Aufnahme, die Waldenser, die teils aus französischem Gebiete, teils aus dem des Herzogs Viktor Amadeus von Savoyen weichen mußten, vornehmlich in den lutherischen Staaten, wie Hessen-Darmstadt und Württemberg; doch finden sich auch einzelne Waldensergemeinden in Brandenburg und Hessen-Homburg. Selbständige Gemeinden wurden an vielen Orten namentlich im Jahre 1699 gegründet. Friedrich Wilhelm von Brandenburg lud schon sieben Tage nach Veröffentlichung des französischen Ausweisungsbefehls 29. Okt. 1685 die Hugenotten zur Einwanderung in seine Staaten ein und nahm sich ihrer gerade so wie seine Nachfolger energisch an. Besonders stark war trotz des Widerstrebens des Rates und der Bürgerschaft der Zuzug in Magdeburg, wo 1500 Hugenotten, 2000 Wallonen und 4000 Pfälzer den 5000 Einwohnern der Stadt zugesellt wurden; in Berlin kamen zu den 15,000 Einwohnern 5000–6000 Hugenotten, die rasch mit der deutschen Bevölkerung verschmolzen, so daß sich unter ihren [609] Nachkommen schon im 18. Jahrh. viele bedeutende deutsche Männer finden. In den Städten entstanden die Kolonien oft neben der alten Ansiedelung, oft wurden sie auch in letztere aufgenommen: es finden sich solche Kolonien unter andern in Altona, Berlin, Braunschweig, Bremen, Bückeburg, Bützow, Emden, Emmerich, Frankfurt a. O., Frankenthal, Halle ar S., Hameln, Hanau, Hildburghausen, Kannstatt, Leipzig, Lüneburg, Ludwigsburg, Magdeburg, Mannheim, Minden i. W., Müncheberg, Oranienburg, Stuttgart, Wesel, Wetzlar, Zweibrücken. Die Waldenser als Ackerbauer wurden meist in ländlichen Gemeinden angesiedelt, und es entstanden vielfach völlige Neugründungen (wie Neu-Isenburg, Charlottenburg a. d. Lahn, Walldorf); oft lehnten sich neue Dörfer an vorher bereits bestehende einzelne Höfe an (wie Rohrbach, Wembach, Hoche). – Als Veröffentlichungsorgan dienen die »Geschichtsblätter des Deutschen Hugenottenvereins« (Magdeb. 1890 ff., bis 190412 Bde.); in Berlin erscheint bereits seit 1887 »Die französische Kolonie« als Monatsschrift, herausgegeben von Béringuier. Mittelbar hat der Verein die Forschung über die hugenottische Vergangenheit in Deutschland stark angeregt; von einschlägigen Monographien seien genannt: Köhler, Die Refugiés und ihre Kolonien (Gotha 1867); Muret, Geschichte der französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde (Verl. 1885); Tollin, Geschichte der französischen Gemeinde von Magdeburg (Halle u. Magdeb. 1886–94, 3 Bde.); Illert, Geschichte der französischen Kolonie und Stadt Neu-Isenburg (Neu-Isenburg 1899); Lehn, Geschichte der französischreformierten Gemeinde Offenbach a. M. (Offenb. 1899); Bonin, Die Waldensergemeinde Pragela auf ihrer Wanderung ins Hessenland (Programm, Worms 1901). In New York besteht seit 1897 die Huguenot Society of America, die »Proceedings« herausgibt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 609-610.
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