Theaterrecht

[458] Theaterrecht, der Inbegriff der besondern für den Theaterverkehr geltenden Rechtssätze. Die Bestimmungen, denen der Theaterverkehr im öffentlichen Interesse unterworfen ist, bilden das öffentliche T. oder die Theaterpolizei. Sie zerfällt nach der Richtung ihrer Wirksamkeit in die Theatergewerbepolizei und die Theatersicherheitspolizei; erstere regelt den gewerblichen Betrieb der Theater, die Rechtssätze über die obrigkeitliche Genehmigung und Kontrolle der öffentlichen Theaterunternehmungen enthaltend; letztere unterstellt den Theaterverkehr behufs Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit gewissen Beschränkungen, die sich als Theaterbau- und Feuer-, Vorstellungs- und Straßenpolizei nach der einen, Theaterzensur nach der andern Seite gliedern. Das private T. oder Theaterprivatrecht regelt die zwischen Privatpersonen aus dem Theaterverkehr entsprungenen eigentümlichen Rechtsbeziehungen, das Bühnenengagement, den Theaterbesuch, das Aufführungsrecht und die rechtsgeschäftliche Tätigkeit der Theateragenten. Für das T. im Gebiete des Deutschen Reiches gilt folgendes: das öffentliche T. ist, soweit die Theatergewerbepolizei in Frage steht, durch die Reichsgewerbeordnung einheitlich normiert; die Theatersicherheitspolizei unterliegt dagegen der Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten; das Theaterprivatrecht ist nur bezüglich der Aufführungsbefugnis der dramatischen Dichter und Komponisten durch das Reichsgesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst vom 19. Juni 1901 und bezüglich des Verlagsvertrags (s. Verlagsrecht) staatlich geregelt; im übrigen gilt ausschließlich Theatergewohnheitsrecht. Das Theaterprivatrecht ist durch das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch der Landesgesetzgebung nicht vorbehalten, untersteht demnach lediglich der Reichskompetenz, d. h. also insbes. das Bühnenengagement den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über den Dienstvertrag (s. Arbeitsvertrag). Vermittelt wird das Bühnenengagement fast ausschließlich durch sogen. Theateragenturen (s. Theateragent). Zum Schutze der Bühnenangehörigen wurde 1846 der Deutsche Bühnenverein (s. d.) und 1871 die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger (s. d.) gegründet. Die Streitigkeiten zwischen Bühnenleitern und Schauspielern werden durch das Bühnenschiedsgericht entschieden, soweit sie ihren Grund in den Anstellungs- und Engagementsverträgen haben. Nach verschiedenen Kämpfen zwischen dem Bühnenverein und der Genossenschaft trat 1. Febr. 1905 eine neue Schiedsgerichtsordnung des deutschen Bühnenschiedsgerichts in Kraft. – Eine ähnliche Lage bietet die gesetzliche Regelung des Theaterrechts in den übrigen Staaten. In Österreich normiert die Theaterordnung vom 25. Nov. 1850 die Theatergewerbepolizei und eine Instruktion vom gleichen Datum die Theaterzensur; vom Theaterprivatrecht ist nur die ausschließliche Aufführungsbefugnis gesetzlich geregelt (Gesetz vom 26. Dez. 1895). In Frankreich ist das öffentliche T. durch zahlreiche Einzelbestimmungen geordnet, namentlich durch das Napoleonische Dekret vom 6. Jan. 1864; im Theaterprivatrecht herrscht Gewohnheitsrecht, soweit nicht die Gesetzgebung über das geistige Eigentum für die Ansprüche der Autoren durchgreift. Eine ausführliche Regelung der Theaterpolizei hat Italien im Gesetz vom 30. Juni 1889; vom sonstigen T. ist nur die Aufführungsbefugnis Gegenstand eines Gesetzes vom 19. Sept. 1882. Das englische T. findet sich wesentlich in der Local Government Aci von 1888, neben der jedoch bezüglich der Theaterzensur für London und die königlichen Residenzen ein Gesetz Georgs II. von 1737 in Kraft geblieben ist, und in der Urheberrechtsgesetzgebung. Belgien regelt das öffentliche[458] T. durch das Gesetz vom 21. Okt. 1830, die Aufführungsbefugnis durch das Gesetz vom 22. März 1886. In andern Staaten, wie in Holland, Rußland, der Schweiz, den skandinavischen Staaten, Portugal und in der Mehrzahl der amerikanischen Staaten, beschränkt sich das staatlich geregelte T. auf die die Aufführungsbefugnis anerkennende Urheberrechtsgesetzgebung, während das öffentliche T. lediglich nach den allgemein für Gewerbe- und Sicherheitspolizei geltenden Bestimmungen gehandhabt wird. Nur Spanien (Gesetz vom 10. Jan. 1879 nebst Aufführungsverordnung vom 3. Sept. 1880) und Mexiko (Zivilgesetzbuch von 1884) ordnen das gesamte Aufführungsrecht (neben der Aufführungsbefugnis des Autors auch den Vertrag über die Überlassung des Bühnenwerkes an den Theaterunternehmer) durch eigne Gesetze.

Das Fehlen einer staatlichen Theatergesetzgebung hat im öffentlichen und im privaten Theaterverkehr Mißstände hervorgerufen, die dringender Abhilfe bedürfen. Seit fast einem Menschenalter wird deshalb eine vollständige gesetzliche Regelung des gesamten Theaterrechts angestrebt, allein bisher ohne greifbaren Erfolg. Selbst in Österreich, das 1897 aus der Feder des ehemaligen Direktors des Burgtheaters und spätern Mitgliedes des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs, Hofrat Max Burckhard, einen in technischer wie juristischer Beziehung gleich guten »Entwurf eines österreichischen Theatergesetzes« erhalten hat, ist man über dies Stadium des Entwurfes noch nicht hinausgekommen. Vgl. Opet, Deutsches T., unter Berücksichtigung der fremden Rechte systematisch dargestellt (Berl. 1897); Marwitz. Der Bühnenengagementsvertrag (das. 1902); aus der wichtigen französischen Literatur: Lacan und Paulmier, Traité de la législation et de la jurisprudence des théâtres (Par. 1853, 2 Bde.); Guichard, De la législation du théâtre à Rome et en France (Lille 1880), und Astruc, Le droit privé du théâtre (das. 1897). Die Rechtsprechung des deutschen Bühnenschiedsgerichts (bis 1905 zusammengestellt von Felisch und Leander, Berl. 1906) erscheint fortlaufend in den Zeitschriften »Bühne und Welt« und »Deutsche Bühnengenossenschaft«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 458-459.
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