Isis [1]

[82] Isis, 1) (Hes, His), ägyptische Göttin, Gemahlin des Osiris. Ihr Mythus ist noch sehr dunkel, da sie nur aus griechischen Schriftstellern bekannt ist; ihr Bruder Osiris vermählte sich mit ihr u. beide entwilderten die Menschen u. lehrten ihnen den Feldbau; sie zeugten den Horos; ihr anderer Bruder Typhon war feindselig gegen sie gesinnt, schloß den Osiris durch eine List in einen Kasten u. warf denselben ins Meer, u. Osiris kam so um. J. schweifte in Trauerkleidern umher, um Osiris zu suchen. Inzwischen erfuhr sie, Osiris habe vor seinem Zuge sich zu ihrer Schwester Nephthys gesellt, u. da sie sich hier von durch den Lotuskranz überzeugte, den Osiris bei jener zurückgelassen hatte, suchte sie das von Nephthys aus Furcht vor Typhon ausgesetzte Kind Ann- bis auf, fand es durch einige Hunde, erzog es u. hatte an ihm einen treuen Begleiter. Unterdessen war der Kasten mit Osiris vom Meere bis Byblos in Phönicien getrieben u. hier in einen Strauch abgesetzt worden, welcher bald ein Baum wurde, in welchem der Kasten mit einwuchs. Der König von Byblos ließ aus dem Baum eine Säule für seinen Palast machen. J. eilte dahin u. gewann durch die Dienerinnen die Zuneigung der Königin, bei der sie Amme wurde. Sie legte das Kind in der Nacht ins Feuer, um alles Sterbliche von ihm zu entfernen, währenddem sie als Schwalbe die Säule umflog. Die Königin sah ihr Kind im Feuer liegen, schrie laut auf u. raubte ihm dadurch die Unsterblichkeit. Jetzt gab sich die Göttin durch Blitz u. Donner zu erkennen u. zerschlug mit der Hand die Säule, so daß der Kasten herausfiel; mit diesem zog sie zu ihrem Sohne Horos, welcher in Butos erzogen wurde, u. verbarg den Kasten. Typhon aber fand ihn, erkannte den Leichnam u. zerriß ihn in 14 Stücke. J. durchfuhr darauf in einem Papyrusnachen die Sümpfe, um die Stücken wieder aufzusuchen, die sie auch alle, bis auf das Zeugungsglied, fand, an dessen Statt sie ein ähnliches bildete. Daher war der Phallus den Ägyptiern heilig. Zu Philä wurde der Leichnam bestattet, u. dieser Ort war seitdem der große Todtenort der Ägyptier. Osiris entstieg hierauf der Unterwelt, um seinen Sohn zu unterrichten, u. J., welcher er sich nach dem Tode zugesellt hatte, gebar ihm den Harpokrates (s.d.). Da sie aber den Typhon, welchen Horos gefangen hatte, u. welchen sie tödten sollte, entließ, so entriß Horos seiner Mutter die Krone, an deren Stelle Hermes ihr einen Stierschädel aufsetzte; ein seitdem bleibendes Abzeichen der J. Ursprünglich bezeichnete sie den Ägyptiern das Nilland, welches von Osiris, dem Nilgotte, befruchtet wurde. Als später durch ausländischen Einfluß Osiris zum Sonnengott geworden war, wurde J. Mondgöttin u. als solche segen- u. lebenspendende Göttin; auch dachte man sie als unterirdische Gottheit, ertheilte ihr die Schlüssel zur Unterwelt u. das Herrscher- u. Richteramt in derselben, später auch als Beherrscherin der Meere; dann greift sie als Gesetzgeberin, Schützerin der Ehen, Erhalterin der Staaten, Stifterin der Religion u. Mysterien in die sittliche Weltordnung ein u. erlangt allmälig eine so umfassende Bedeutung, daß sie von späteren Philosophen für die Grundsubstanz der Welt, für die göttliche Macht erklärt wurde, welche allen Einzelerscheinungen in der Natur, im Götter- u. Menschenleben zu Grunde liegt. Abgebildet wird sie mit dem Kopf einer Kuh zwischen den Hörnern eine Kugel, den [82] Lotus über dem Scheitel u. das Sistrum in der Hand; oft sitzend, den kleinen Harpokrates säugend, od. mit vielen Brüsten über den ganzen Körper. Meist hat sie einen Mantel um, deren Zipfel auf der Brust mit einem Knoten verbunden sind; andere Abbildungen, mit einem Spieß, neben ihr der Kanopos, ferner mit Fackeln u. Ähren, od. mit einem Geierkopf u. Flügeln auf dem Kopf, worauf der Modius steht, in der Rechten einen Spieß, in der Linken eine Schlange haltend, od. mit fliegendem Mantel u. ein Segel ausbreitend. J. wurde in ganz Ägypten, vorzüglich aber in Memphis, verehrt; in Sais befand sich von ihr ein verschleiertes Bild mit der Inschrift: Ich bin das All, das gewesen ist, das noch ist u. das sein wird, u. meinen Mantel hat noch kein Sterblicher aufgedeckt. Ein jährliches Fest von 10 Tagen erinnerte daran, daß sie einst den Typhon mit ihrem Sistrum vertrieben hatte; man fastete dabei, trug Garben in Procession umher u. räucherte bes. stark. Seit Alexander dem Großen verbreitete sich ihr Cultus über alle von Griechen bewohnten Länder; in Griechenland hatte sie Tempel zu Phlius, Megara, Tithorea u. Phokis. Nach Rom war ihr Dienst angeblich zu Sulla's Zeit gekommen, ihre Tempel wurden aber hier öfter geschlossen, weil sie zu Plätzen der Wollust wurden, wobei die Priester als Kuppler dienten. Allein unter den Kaisern erhielt ihr Dienst wieder so hohes Ansehen, daß Domitian, Commodus u. Caracalla selbst Priester der J. wurden. Noch bei späteren Schriftstellern wird berichtet, daß Griechen u. Römer beim Anbruch des Frühlings (5. März) der J. ein Schiff mit feierlicher Procession dargebracht hätten. Daher im Ökonomischen Kalender der Römer der 5. März Isĭdis navigĭum hieß. Da auch Deutsche einen solchen Schiffsumzug zu Ehren ihrer Göttinnen hielten, so sagt Tacitus, auch die Sueven hätten die J. verehrt, aber weder der Name J. kommt in Deutschland vor, noch ist bekannt, welche Göttin er damit gemeint hat. Vgl. Reichel, De Isis apud Romanos cultu, Berl. 1849; 2) Asteroid, wurde am 23. Mai 1856 auf der Oxforder Sternwarte von Pogson im Sternbilde des Scorpions entdeckt u. erhielt das Gouldsche Zeichen (Isis [1]). Sein Stand ist zwischen Massalia u. Hebe, seine Umlaufszeit beträgt 3 Jahre, 272 Tage u. 22 Stunden u. seine mittlere Entfernung von der Sonne 49, 896 Meilen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 82-83.
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