Spanien (Kunst)

[333] Spanien (Kunst). (Kunst.) Ein so phantasiereiches und geistigbelebtes Volk, wie das spanische, konnte Musik, Tanzkunst, Malerei und der bildenden Künste unmöglich lange entbehren. Bald ließ sich die göttliche Tonkunst voll himmlischer Milde bis zu den Hirten hernieder, und begleitete mit lieblichen Klängen seine selbstgedichteten Stanzen. Das süße Lebenselement der südlichen Völker, der Tanz, entfaltete sich recht nationell und nahm zugleich von dem sinnreichen Araber manche bedeutsame, liebliche Allegorie in seine geheimnißvollen Rhythmen hinüber. Doch am wichtigsten, durch seine Berührung mit dem Oriente, wurde S. für die Baukunst. Die gothische Bauart, welche recht eigentlich in den Urtiefen der Romantik, in dem tiefsinnigen, schwärmerischen Geiste der christlichen Völker wurzelte, gestaltete sich in der Nähe der üppigeren Baukunst der Araber ungleich zierlicher und kunstreicher. Der ernst-begeisterte, demüthiggroße Sinn der Germanen, welcher des heiligsten Ernstes voll. für Gott und Ewigkeit die alten Münster, diese erhabenen Säulenwälder mit ihrer ernsten Monotonie schuf, vereinte sich wundersam auf der iberischen Halbinsel mit dem echt orientalischen Streben und Ringen nach Reichthum und überschwenglicher Fülle: daher die anmuthigen, symbolischen Blumengehänge, die vergoldeten, zierlichen Arabesken, die bunte, üppige Stuckatur an S's Prachtgebäuden der frühern Periode. Ueberstrahlten doch die Araber der damaligen Zeit die übrigen Nationen bei weitem an Bildung in allen Künsten und Wissenschaften! Seit dem achten Jahrhundert erhoben sich in allen Städten der muhammedanischen Welt prachtvolle Bauwerke, in welchen der gothische und orientalische Charakter harmonisch in einander verschmolzen. Eine eigenthümliche Liebe für das sonderbar Prächtige erfüllte die Mauren: es war die liebliche Zeit des Wunderbaren und die goldene für erfinderische Werkmeister und kunstreiche Arbeiter. Aber nicht lange währte dieses Blüthenalter einer architectonischen Wunderwelt. Zwar erhob sich unter der prachtliebenden Regierung Philipp's II. das stolze Escurial, allein immer mehr verwandelte[333] sich im Laufe der Jahrhunderte die rührende Frömmigkeit demüthig-begeisterter Baumeister in die finsteren Grillen unduldsamen Aberglaubens, und das Schöne und Erhabene floh auch aus den Gebilden der Baukunst, um dem Nützlichen fortan die Alleinherrschaft zu gönnen. – Sehr bald zeichneten sich die Castilier durch Metallarbeiten aus; schon im J. 1400 wurde die erste Schlaguhr auf die Cathedrale von Sevilla gesetzt. Zu Ende des 13. Jahrhunderts hatte König Sancho von Castilien an Estabon Rodrigo bereits einen besoldeten Hofmaler. Im Anfange des 15. Jahrh. (1415) kam Dello, ein florentinischer Künstler, nach S., welcher zuerst auch der spanischen Sculptur eine höhere Ausbildung gab. Juan Alfonso verschönte um dieselbe Zeit eine Kapelle in der Cathedrale zu Toledo mit kunstreichem Pinsel. Mit der rührenden Einfalt Albrecht Dürer's malte Juan Sanochez de Castro in Sevilla, und seine Nachfolger Juan Runnez, der Meister im Kolorit, Alfonso de Castillo, Andres de Mexico etc., vor allen aber S's zweiter Raphael, Murillo, erhoben sich zu den höchsten Höhen der Kunst. Murillo – der göttliche! Vor einer Jungfrau von Raphael beugen wir unwillkührlich die Knie, was aber empfinden wir vor einer Madonna von Murillo anders, als Zärtlichkeit, Sympathie und Liebe? Zu Toledo blühte Pedro Bereuguet und Martel Vergara, in Valencia Pablo de Aregio und Francesco Neapoli; in Cordova Leoni und Carducho. Doch schon unter Philipp IV. schwand der eigenthümliche Geist der spanischen Malerkunst, und als die Bourbons den Thron bestiegen, verflüchtigte das heitere, künstlerische Reich der Farben zu leeren Phantomen. – Die romantische Chevalerie des Mittelalters verlangte nicht nur unerschrockene, kühne Kämpen, sondern ein vollkommner Ritter mußte bei Banketten und Festspielen auch die Laute zu schlagen wissen. Bald erklangen die Guitarren und Mandolinen von maurischen Romanzen; Serenaden ertönten in der milden Sommernacht der Geliebten, und die bald[334] sanft klagende, bald munter rauschende Melodie drückte den Triumph des glücklichen oder die Verzweiflung des unglücklichen Liebhabers aus. Heilige Gesänge durchhallten in kunstgerechter Harmonie die Tempel und in Salamanka wurde eine große Musikschule gegründet, die sich bis auf die neuesten Zeiten erhalten hat. Dessenungeachtet sind wenig ausgezeichnete Componisten und Virtuosen aus S. hervorgegangen. – Die Schauspielkunst wurde niemals in ihrer Individualität gefaßt: man ordnete sie zu sclavisch der reinen Poesie unter (s. Literatur und Poesie, spanische). Und wann werden die erstorbenen Künste wieder aus ihrem Todtenschlummer erwachen? Das Schöne vermählt sich so gern dem goldenen Frieden; das Schöne flieht vor dem Blute,... armes Hesperien, entbehre und blute!

–r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 333-335.
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