Bakteriologie

[289] Bakteriologie (griech., hierzu Tafel »Bakterien«), die Lehre von den Bakterien, ihren biologischen Eigenschaften und ihrem Nachweis in verschiedenen Substanzen. Die Vorstellung, daß ansteckende Krankheiten durch kleinste, im Organismus schmarotzende Lebewesen erzeugt werden, findet sich schon bei römischen Ärzten, am prägnantesten bei Marcus Terentius VarroDe re rustica«). Athanasius Kircher fand 1646 kleinste Würmer in Pestbeulen, und seit den Entdeckungen Leeuwenhoeks 1675 gewann die Lehre vom Contagium vivum festern Boden. Die von letzterm entdeckten Bakterien wurden in der Folge von Gleichen-Rußwurm (1778), von O. F. Müller (1786) und Ehrenberg (1838) zu den Tieren gestellt, Perty betonte 1852 die Ähnlichkeit der sporenbildenden Bakterien mit den niedersten Algen, F. Cohn wies 1854 ihre pflanzliche Natur bestimmt nach, Nägeli stellte sie 1857 zu den Pilzen. Cohn begründete dann nach morphologischen und biologischen Merkmalen eine Systematik der Bakterien, während De Bary, van Tieghem und später Hueppe sich bemühten, eine Systematik der Bakterien auf entwickelungsgeschichtliche Tatsachen zu begründen. Diesen Bemühungen gegenüber standen die Ansichten andrer Forscher, welche die Möglichkeit der Abgrenzung von konstanten Arten mehr oder weniger bestimmt in Frage stellten. Inzwischen hatten Plenciz (1762) und Donné (1837) die Theorie vom Contagium vivum von neuem in Anregung gebracht, und 1837 entdeckte Bassi als Ursache einer miasmatisch-kontagiösen Krankheit der Seidenraupe einen Pilz, und Henle legte 1840 dar, daß nur in lebenden Organismen der Ansteckungsstoff epidemischer Krankheiten gesucht werden könne. Pollender entdeckte 1849 und Davaine 1850 den Milzbrandbazillus, den sie für die spezifische Krankheitsursache erklärten. Seit 1857 verfolgte Pasteur die Gärungserscheinungen und fand für verschiedene Gärungsvorgänge auch spezifisch verschiedene Gärungserreger. Auch für die Fäulnis entdeckte er Bakterien als Erreger. Lemaire schloß aus der gärung- und fäulnishemmenden Wirkung der Karbolsäure auf die Natur der Gärungs- und Fäulniserreger als lebender Wesen, und hierauf gründete Lister seine Methode der antiseptischen Wundbehandlung. Auch bei vielen andern Krankheiten wurden nunmehr eigentümliche Bakterien entdeckt, und 1873 fand Obermeier die Rekurrensspirille, deren unmittelbare Beziehung zum Ablauf des Fiebers nachgewiesen werden konnte. Besonders bedeutungsvoll aber wurde 1876 die Arbeit Kochs, der unumstößlich die ursachliche Beziehung der Milzbrandbazillen zum Milzbrand bewies und die Dauerhaftigkeit der Sporen als bedeutungsvoll für die Ansteckung darlegte. Diese Widerstandsfähigkeit der Sporen wurde auch von Cohn, Bert und Pasteur nachgewiesen. Den bedeutendsten Fortschritt sicherten dann der B. die Kulturmethoden von Koch, die zuerst exakte Forschung ermöglichten. Koch entdeckte 1878 spezifische Infektionskrankheiten der Mäuse und Kaninchen, die von spezifischen Bakterien abhängen, und die Differenz der Krankheitsdisposition der einzelnen Tierarten, 1882 entdeckte er den Tuberkelbazillus und 1883 den Cholerabazillus. Panum, Schmiedeberg, Brieger, Roux u. a. stellten zuerst die Gifte rein dar, welche die Bakterien durch ihren Stoffwechsel erzeugen, und Nägeli, Buchner, Zopf, Pasteur u. a. wiesen die Wandlungen nach, welche die Bakterien unter veränderten Boden-, Licht- und Temperaturverhältnissen erleiden. Aus der Erkenntnis dieser Wandelbarkeit ergab sich die Möglichkeit der Schutzimpfung, die auf der Abschwächung der Virulenz beruht. Um die bakterientötende Wirkung des Blutes zu erklären, wies Metschnikow 1884 auf das Verhalten der weißen Blutkörperchen gegen eindringende Bakterien hin und stellte die Theorie der Phagocytose auf. Buchner brachte 1889 den Nachweis, daß auch von Blutkörperchen freies Blutserum Bakterien tötet, und erklärte dies mit der Annahme von Abwehrstoffen (Alexinen) im Blute. Die Auffassung der Infektionskrankheiten als einer Giftwirkung der von den Bakterien produzierten Toxine führte zu der Annahme, daß im Körper bei der Heilung Gegengifte (Antitoxine) erzeugt werden, welche die Bakteriengifte neutralisieren. Aus dieser Hypothese entwickelte sich die besonders von Behring vertretene Serumtherapie, die dem kranken Organismus ein künstlich mit Antitoxinen bereichertes Blutserum aus einem Tierkörper zuführt und dadurch die Giftwirkung der Bakterien aufhebt.

Der gewaltige Aufschwung der B. ist besonders den durch Koch eingeführten und seither vielfach ausgebauten Untersuchungsmethoden zu danken. Bei der geringen Größe der Bakterien bedarf man[289] zur Untersuchung derselben der stärksten Mikroskope mit Abbeschem Beleuchtungsapparat und homogener Immersion. Lebende Bakterien untersucht man im hängenden Tropfen auf Größe, Gestalt und Beweglichkeit und stellt dann gefärbte Präparate dar, in denen die Bakterien deutlicher hervortreten (die Tafel zeigt derartige gefärbte Präparate). Zum Färben dienen besonders basische Anilinfarben, wie Bismarckbraun, Gentianaviolett, Fuchsin und Methylenblau. In Gewebsschnitten und im Blut wird auch das Protoplasma durch diese Farbstoffe gefärbt, doch läßt es sich durch Wasser, Alkohol, verdünnte Säuren, Jod wieder entfärben, weil die Bakterien die Farbstoffe sehr viel fester binden, und nach gewissen Methoden kann man sogar die Bakterien mit einem bestimmten Farbstoff und das Substrat, in dem sie liegen, mit der Kontrastfarbe färben. Zu genauerer Erforschung der Bakterien sucht man die mikroskopisch nachgewiesenen Formen voneinander zu trennen und jede derselben in Reinkulturen zu gewinnen, um sie gesondert auf ihre Eigenschaften zu prüfen. Um aber ausgesäte Bakterien vor zufälligen Verunreinigungen zu schützen, müssen die Geräte, Instrumente und die zur Züchtung bestimmten Nährböden von allen Keimen befreit, sterilisiert werden. Hierzu dient trockne Hitze von 150° oder strömender Wasserdampf. Geräte, welche die Hitze nicht ertragen, werden sehr sorgfältig gereinigt und mit Sublimatlösung gewaschen. Eine sehr schnelle Vermehrung der Bakterien erreicht man in fettfreier, schwach alkalisch gemachter Fleischbrühe mit etwas Pepton im Brütschrank. Eine Nährflüssigkeit ist aber ungeeignet zur Erzielung von Reinkulturen, weil sich in ihr die Bakterien so gleichmäßig verteilen, daß eine Trennung der einzelnen Arten so gut wie unmöglich ist. Man benutzt deshalb feste Nährböden, wie gekochte und in Scheiben geschnittene Kartoffeln, besonders aber Nährgelatine, die aus der obigen Fleischbrühe durch Zusatz von Gelatine hergestellt wird. Diese Mischung gibt auf Glas eine vollkommen durchsichtige Schicht, in der die Bakterien sehr gut beobachtet werden können. Sollen die Bakterien in der Nährgelatine bei Temperaturen über 25° kultiviert werden, so benutzt man statt Gelatine Agar-Agar, da die hiermit hergestellte Mischung erst bei 95° schmilzt. Um nun Reinkulturen anzulegen, schmelzt man Nährgelatine bei 30–40°, setzt eine kleine Platinöse voll der zu untersuchenden Substanz zu, mischt mit dem Platindraht, bringt dann von dieser Mischung drei Platinösen voll in andre Nährgelatine und stellt in gleicher Weise auch eine dritte und vierte Verdünnung her. Dann gießt man die Mischungen auf Glasplatten oder in flache Glasschalen (Petrischalen) aus und läßt sie erstarren. Selbstverständlich werden bei diesen Operationen alle erdenklichen Vorsichtsmaßregeln angewendet, um Verunreinigungen zu verhindern. Schon in der ersten, sicher aber in der zweiten Verdünnung sind so wenig Bakterien vorhanden, daß die sich entwickelnden Kolonien genügend weit voneinander entfernt bleiben, um einzeln untersucht werden zu können. Am zweiten oder druten Tage beobachtet man bereits auf den Platten Kolonien von verschiedenartigem Aussehen, da einzelne Bakterien die Gelatine verflüssigen (peptonisieren), während andre dies nicht tun. Noch deutlicher unterscheidet man die Kolonien unter dem Mikroskop, und mit Hilfe einer sterilisierten Platinnadel kann man nun kleine Proben einzelner Kulturen unter dem Mikroskop »fischen« und in Reagenzgläschen mit Nährgelatine übertragen, indem man die Nadel in die Gelatine einstößt (Stichkultur). Das Reagenzgläschen wird mit einem Pfropfen von sterilisierter Watte verschlossen, um den Zutritt fremder Bakterien aus der Luft zu verhindern. In diesen Reinkulturen kann man die Bakterien wochen-, selbst jahrelang aufbewahren, wenn man sie nur von Zeit zu Zeit auf frischen Nährboden überträgt. Bei der Untersuchung von Wasser, Luft, Boden gestalten sich die Methoden je nach dem einzelnen Fall eigenartig. Bei Infektionskrankheiten werden Blut, Eiter, Darminhalt unter den größten Vorsichtsmaßregeln untersucht, man begießt damit Gelatine- und Agarplatten und bringt letztere in den Brütschrank. Mit dem Blut impft man Kartoffelscheiben. Von den zur Entwickelung kommenden Mikroorganismen werden Stichkulturen in Gelatine angelegt, um Reinkulturen zu erhalten. Findet man auf diese Weise eine eigentümliche Bakterienart, so kann dieselbe doch nur dann als Erreger der Infektionskrankheit bezeichnet werden, wenn sie sich in allen Fällen der Krankheit in einer dieselbe genügend erklärenden Ausdehnung findet, wenn sie bei keiner andern Krankheit zu finden ist, und wenn sie, in Reinkulturen gezüchtet und auf Menschen oder Tiere übertragen, dieselbe Krankheit hervorruft. Zur Entscheidung über letztern Punkt müssen die Bakterien durch Verfütterung, Einatmung oder Impfung auf die Tiere (Mäuse, Kaninchen, Meerschweinchen) übertragen werden. Die Empfänglichkeit der Tiere für bestimmte Bakterien ist aber verschieden, und negative Resultate entscheiden nicht ohne weiteres über die nicht krankmachende Wirkung der betreffenden Bakterienart.

Literatur. Vgl. De Bary, Vorlesungen über Bakterien (3. Aufl., bearbeitet von Migula, Leipz. 1900); Migula, System der Bakterien (Jena 1837 bis 1899, 2 Bde.); A. Fischer, Vorlesungen über Batterien (Jena 1897); Hüppe, Naturwissenschaftliche Einführung in die B. (Wiesbad. 1896); Derselbe, Methoden der Bakterienforschung (5. Aufl., das. 1891); Flügge, Die Mikroorganismen (3. Aufl., Leipz. 1896, 2 Bde.); Günther, Einführung in das Studium der B. (5. Aufl., das. 1902); Kolle und Wassermann, Handbuch der pathogenen Mikroorganismen (Jena 1902); Fränkel und Pfeiffer, Mikrophotographischer Atlas der Bakterienkunde (2. Aufl., Berl. 1895); Lehmann und Neumann, Atlas und Grundriß der B, (2. Aufl., Münch. 1899); Itzerott und Niemann, Mikrophotographischer Atlas der Bakterienkunde (Leipz. 1895); Huber und Becker, Die pathologisch-histologischen u. bakteriologischen Untersuchungsmethoden (das. 1886); Heim, Lehrbuch der B. (2. Aufl., Stuttg. 1898); Lafar, Technische Mykologie (Jena 1896 ff.); Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bakterien (Leipz. 1887); Baumgarten, Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen (das., seit 1885); »Zentralblatt für B., Parasitenkunde und Infektionskrankheiten« (hrsg. von Uhlworm, Jena, seit 1887).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 289-290.
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