Episkopalsystem

[874] Episkopalsystem (Episkopalismus, Systema hierarchicum episcopale, von episcopus, »Bischof«), im katholischen Kirchenrecht diejenige Theorie, wonach die höchste kirchliche Gewalt der Gesamtheit der Bischöfe, der im Fall des Widerspruchs selbst der Papst unterworfen sein soll, zustehen soll, im Gegensatze zum Papalsystem (s. d.). Die großen Reformkonzile des 15. Jahrh. selbst, die bedeutendsten Theologen der Zeit und vor allem die Universität Paris entwickelten diesen Grundgedanken des Episkopalsystems mit größter Freimütigkeit und Konsequenz, wie denn die episkopalistischen Grundsätze in Frankreich immer festgehalten und geradezu in das System des gallikanischen Kirchenrechts aufgenommen worden sind. Aber auch in den Niederlanden und in Deutschland fand das E. bedeutende Vertreter, dort in Zeger Bernhard van EspenJus ecclesiasticum universum«, 1702), hier in dem unter dem Namen Justinus Febronius schreibenden Weihbischof von Trier, Nikolaus von HontheimDe statu Ecclesiae et legitima potestate Romani Pontificis«, 1763 ff.). Aber die römische Kurie hat diese Grundsätze nie anerkannt und ihnen schon durch Vereitelung der Emser Punktation (s. Emser Kongreß), seitdem aber nur mit steigender Konsequenz und allmählich auch mit fast unbestrittenem Erfolg entgegengewirkt. Das vatikanische Konzil (1870), das den unfehlbaren Papst als den Universalbischof proklamierte, bedeutet die unbeschränkte Anerkennung des Papalsystems. Diesem letztern gegenüber will das E. eine solche Kirchenverfassung (Episkopalverfassung), wonach der Papst nur als primus inter pares in Betracht kommen soll, indem behauptet wird, daß sein Sitz nur aus zufälligen Gründen geschichtlicher Natur in Rom sei, daß der Primat unter Umständen auch von da verlegt werden könne. daß jedenfalls alle Bischöfe nach Matth. 18,18 ihre Autorität unmittelbar göttlicher Verleihung verdanken, und daß nur in ihrer Gesamtheit die höchste Kirchengewalt zu erkennen sei. Vgl. b. Schulte, Die Stellung der Konzilien, Päpste und Bischöfe (Prag 1871); Janus (v. Döllinger), Der Papst und das Konzil (Leipz. 1869; neu hrsg. von Friedrich u. d. T.: »Das Papsttum«, Münch. 1892); Kurz, Der Episkopat (Wien 1877); Graf v. Hoensbroech, Das Papsttum in seiner sozial-kulturellen Wirksamkeit (Leipz. 1901 u. 1902, 2 Bde.).

Im protestantischen Kirchenrecht versteht man unter E. diejenige Theorie, die sich auf die historische Tatsache stützt, daß durch den Religionsfrieden von 1555 die geistliche Jurisdiktion der katholischen Bischöfe über die augsburgischen Konfessionsverwandten bis zur gütlichen Vergleichung der Religionshändel suspendiert worden ist, und annimmt, daß die bischöfliche Gewalt einstweilen auf die Landesherren übergegangen und in diesen also mit der Eigenschaft von Landesherren die von einstweiligen Bischöfen verbunden worden sei. Nachdem nämlich Fürsten und Magistrate vorläufig die oberste Verwaltung der Kirche gewissermaßen als Notbischöfe nach dem Rat angesehener Kirchenlehrer und unter Zuziehung der Landstände übernommen und aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern bestehende Konsistorien errichtet hatten, denen allmählich die gesamte Regierung der Landeskirchen unter fürstlicher Autorität zufiel, erfand die Wissenschaft, um den faktisch bestehenden Rechtszustand zu erklären, die Theorie von einer Übertragung (devolutio) oder sogar Rückübertragung (revolutio) der bischöflichen Gewalt auf rechtgläubige Fürsten kraft des Religionsfriedens. Die allgemeine Vorstellung, die dem E. zu Grunde liegt, findet sich schon um den Anfang des 17. Jahrh.; die genauere Begründung desselben aber versuchten zuerst M. StephaniDe jurisdictione«, Frankf. a. M. 1611) und Th. Reinkingk (»Tractatus de regimine seculari et ecclesiastico«. Gießen 1619, Basel 1623). Ihnen folgten die bedeutendsten Theologen und Kanonisten des 17. Jahrh. Der gewandteste Vertreter dieses Systems in der Neuzeit ist F. J. Stahl: »Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten« (2. Ausg., Erlang. 1862). Vgl. Sohm, Kirchenrecht, Bd. 1, S. 657 ff. (Leipz. 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 874.
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